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Wie schaut es mit der Restitutionsdebatte in Österreich aus?

Lange war es in Österreich still, was die Frage der Restitution von kolonialem Kulturgut betrifft. Langsam tut sich aber etwas: Museen wie das Technische Museum befassen sich erstmals mit ihrer kolonialen Vergangenheit und auch auf politischer Ebene wird mit einem eigenen Fachgremium zur Thematik ein neuer Meilenstein gesetzt.

Von Melissa Erhardt

„Hier haben wir ein Beispiel der Otavibahn, die in Namibia gebaut worden ist. Im Vordergrund sehen wir den Weißen, der auf großen Forscher macht, mit neuester Technik und allem, und im Hintergrund eine spärlich bekleidete Schwarze Person, die Hilfsdienste leistet. Gerade in diesen Alben, die ja wirklich Propagandaalben der internationalen Eisenbahngesellschaften waren, sind teilweise wirklich unglaubliche Darstellungen drinnen. Und die haben wir eben im Bestand“, erzählt Martina Griesser, während sie durch Alben des Eisenbahnarchivs des Technischen Museums in Wien blättert. Seit letztem Jahr läuft dort das vom Kunst- und Kulturministerium geförderte Forschungsprojekt „Koloniale Objekte an österreichischen Bundesmuseen“, an dem auch das MAK, das Weltmuseum und das Naturhistorische Museum beteiligt sind. Das Ziel? Die Sammlungen Schritt für Schritt zu dekolonisieren.

Otavibahn

Archiv Technisches Museum Wien

Macht der Museen

Zu der Dekolonisierung zählt auch eine neue Beschlagwortung des Archivmaterials. Griesser: „Wir können nicht jedes Objekt einzeln beschreiben, deswegen ist die Beschlagwortung total wichtig. Nur so können wir in der Datenbank überhaupt was finden. Nur: Welche Wörter verwendet man? Also, zum Beispiel, verwenden wir nicht mehr Sklaverei, sondern Versklavung, weil es jemand gemacht hat. Das gleiche gilt für Personenbeschreibungen: Welche Worte wählt man? Da hat so eine traditionelle Institution wie das Technische Museum natürlich einiges nachzuholen, weil wir auch historische Schlagwörter in der Datenbank haben, die wir einfach übernommen haben.“

Die Ergebnisse des ersten Forschungsprojekts, das bereits abgeschlossen ist und sich vor allem mit der Provenienz, also der Herkunft, von Rohstoffen wie Kautschuk, Kaffee und Zucker beschäftigt hat, sollen in einem Sammelband veröffentlicht werden. Im aktuellen Projekt fokussieren Griesser und ihr Team vor allem auf Abbildungen in Alben oder Tagebüchern, wie etwa die der Otavibahn. „Diese Rezeptionsobjekte sind vielleicht nicht restituierbar, also zum Beispiel diese Fotos, aber sie spiegeln die Macht der Museen, Rassismen einfach zu multiplizieren und zu manifestieren. Sie dienen auch dazu, dass man sagt: Okay, Österreich hat eine koloniale Vergangenheit, die ist belegbar. Die Museen haben eine enorm wichtige Rolle in der Reproduktion von diesen Rassismen und Stereotypen.“

Fachgremium soll Empfehlungen ausarbeiten

Auch auf politischer Ebene nimmt die Debatte langsam Fahrt auf. So hat Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, Ende Jänner ein Fachgremium für den Umgang mit Sammlungsobjekten „aus kolonialen Erwerbskontexten“ einberufen. Den Vorsitz des Gremiums übernimmt Jonathan Fine, seit Juli Direktor des Weltmuseums, der zuvor bereits als Sammlungsleiter des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen in Berlin tätig war. Unter seiner Leitung soll im Laufe des Jahres und gemeinsam mit anderen Expert*innen an Empfehlungen für die Politik gearbeitet werden, wie mit Objekten aus kolonialen Kontexten und „etwaigen Rückgaben“ umgegangen werden soll. Im internationalen, interdisziplinären Gremium sitzen unter anderem die leitende Kuratorin der Anthropologischen Sammlung im National Museum of Namibia, Golda Ha-Eiros und Professor Walter Sauer von der Universität Wien.

Orientieren könne man sich für den Anfang zum Beispiel an Empfehlungen, die in den Niederlanden ausgearbeitet wurden. Dort unterscheidet man zwischen Objekten aus „direkten“ niederländischen Kolonien (für die eine bedingungslose Rückgabe angestrebt werden soll), Objekten aus „indirekten“ kolonialen Kontexten (wo eine Abwägung der Interessen der Niederlande und der Interessen der anderen Länder getroffen werden soll) und Situationen, wo sich Objekte durch Zufall in niederländischen Sammlungen befinden. Ganz übernehmen könne man diese Empfehlungen aber nicht, „weil Österreich mit wenigen Ausnahmen keine direkte Kolonialherrschaft ausgeübt hat“, so Fine.

Für eine tatsächliche Rückgabe der Artefakte sei auf jeden Fall ein gesetzlicher Rahmen notwendig. Denn ohne Gesetz gibt es auch keine Rückgabe: Die Bundesmuseen allein können nicht über die Restitution von Objekten bestimmen, da sie sich in Staatsbesitz befinden. Ein Vorteil für Österreich sei jedoch das Kunstrückgabegesetz von NS-Raubkunst: „Das ist eine Stärke der österreichischen Situation, dass man gesagt hat: Wir machen ein Gesetz und dieses Gesetz ist transparent und nachvollziehbar. Das fehlt für Objekte aus kolonialen Kontexten.“

Auch Simon Inou, Journalist und Medienkritiker, bemerkt in der Restitutionsdebatte rasche und positive Veränderungen. Er setzt sich seit drei Jahren intensiv mit der Thematik auseinander und hat gemeinsam mit Daniel Bitouh, dem Leiter des Vereins AFRI-EUROTEXT, das Projekt 3RRR: Restitution, Rehabilitation und Reconciliation ins Leben gerufen. Dass immer noch über Richtlinien und rechtliche Aspekte diskutiert wird, stört ihn:

Für mich ist das eine Art Gewalt. Man kommt zu dir nach Hause, nimmt dir deine Sachen weg, und wenn du später sagst: Ich will meine Sachen zurück, dann sagen sie: Naja, das gehört dir nicht, das gehört uns, und wir bestimmen, wie wir das rechtlich regeln.

Geht es nach Jonathan Fine, sind die Forderungen aber auch in den scheinbar deutlichsten Fällen nicht ganz so klar, etwa auch bei den berühmten Benin-Bronzen im Weltmuseum: „Ich gebe zu, es klingt merkwürdig, aber es gibt sehr viele offenen Fragen. Ich kann es vielleicht wagen, einen Vergleich zum NS-Kontext zu ziehen, obwohl es natürlich sehr viele Unterschiede gibt. Aber auch in Fällen, wo klar ist, dass ein Objekt von ehemaligen, jüdischen Besitzern enteignet wurde, ist oft unklar, an wen man restituiert, wann man restituiert und in welchen Situationen.“

Benin-Sammlung

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In vielen europäischen Museen werden immer noch Kunstobjekte ausgestellt, die aus afrikanischen Ländern gestohlen wurden. So auch im Weltmuseum in Wien, wo unter anderem die berühmten Bronzefiguren aus dem ehemaligen Königreich Benin ausgestellt sind, die seit Jahrzehnten zurückgefordert werden. Das Museum geht offen mit diesem Umstand um, kann aber sonst nicht viel ändern.

Die Frage ist, wer sich mit diesen Einzelheiten beschäftigen soll. Simon Inou sieht in solchen Debatten häufig noch neokolonialistische Ansätze aufblitzen: „Darüber möchte ich manchmal nicht mehr diskutieren. Das ist genau das gleiche, wie Afrikaner*innen als Kinder wahrzunehmen. Heute im 21. Jahrhundert kann man sagen: Das ist der Staat Österreich, das der Staat Nigeria. Was Nigeria damit macht, ist nicht das Problem von Österreich. Die Afrikaner*innen vor Ort sind frei, diese Objekte in Museen zu geben, oder aber zu sagen: Das interessiert uns nicht mehr. Aber es muss auf jeden Fall zurück.“

Restitution nur erster Schritt

Mit ihrem Projekt 3RRR möchten Inou und Bitouh die Debatte dahin lenken, dass Restitution allein nicht reicht. Es gehe vielmehr darum, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Europas zu führen. Inou: „Europa lehnt es bis jetzt ab, sich konkret mit den Fragen des Kolonialismus, der Gewalt, der organisierten Raubzüge und Tötungen zu befassen. Restitution ist nicht nur: Alles was aus Benin kommt, geben wir zurück nach Nigeria. Wir müssen die Grundgedanken dieser Gewalt hinterfragen, die sich ja bis heute im Rassismus manifestiert“. Zudem sei es auch wichtig, die Diskussion nicht nur auf die Benin-Bronzen im Weltmuseum zu beschränken: „Es geht auch um ägyptische oder nubische Antiquitäten, die im Kunsthistorischen Museum zu finden sind. Das wird sehr wenig thematisiert, weil man glaubt, Ägypten gehört nicht zu Afrika. Das sind diese rassistischen Theorien, die seit dem 18. Jahrhundert herrschen.“

Gerade hier, in der Anregung der Diskussion in Österreich, sieht Jonathan Fine aber auch eine wichtige Rolle des Gremiums: „Meine Hoffnung ist, dass dieses Gremium dazu beitragen kann, dass die Diskussion hier wirklich Fahrt aufnimmt und wir uns mit der Frage der Verantwortung für koloniale Kontexte beschäftigen. Österreich hat zwar mit wenigen Ausnahmen keine direkte Kolonialherrschaft ausgeübt, aber Österreich hat eben doch Objekte aus kolonialen Kontexten in öffentlichen Sammlungen.“

Dass dieser Prozess Zeit braucht, weiß auch Johnathan Fine: „Ein Problem mit dem Kolonialismus ist, dass solche Entscheidungen bisher hauptsächlich von Europäern getroffen wurden, ohne Rücksicht auf die Leute, die die Konsequenzen tragen mussten. Wir müssen gemeinsame Lösungen finden. Das dauert Zeit. Aber wir reden hier über Kontexte, die jahrzehntelang entstanden sind und die über unsere Generationen hinaus Konsequenzen haben werden. Ich glaube, da ist es kein Luxus zu sagen, dass wir die Zeit brauchen, gute Lösungen zu finden, die dann für die Zukunft tragen können.“

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