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Elon Musk posiert und hält beide Daumen waagrecht

APA/AFP/POOL/Britta Pedersen

interview

Elon Musk kauft Twitter - was jetzt?

Dass der reichste Mann der Welt sich einfach so eines der größten Social Media Services kauft, löst einen großen Aufschrei bei den User*innen aus. Doch ist dieser Aufschrei berechtigt?

Von Lena Raffetseder

Der reichste Mann der Welt übernimmt Twitter. Tesla-Chef Elon Musk übernimmt Twitter für 44 Milliarden US-Dollar (rund 41 Milliarden Euro). Sein Ziel sei es, die Redefreiheit hochzuhalten, betont er, doch Twitter, das gerade bei Politiker*innen und Journalist*innen besonders beliebt ist, steht nun unter seiner alleinigen Kontrolle. Was sich für Twitter konkret ändert, welche Sorgen gerechtfertigt sind und welche Regeln weltweit gelten, hat Lena Raffetseder Alexander Fanta gefragt, er ist Journalist bei netzpolitik.org.

Lena Raffetseder: Seit der Ankündigung gestern haben sich sehr schnell sehr viele eine ganz klare Meinung zum Thema Musk auf Twitter gebildet und auch gefestigt. Aber was ändert sich denn für Twitter jetzt konkret?

Alexander Fanta: Musk kann direkt durchgreifen bei Twitter. Er kann den Vorstand besetzen. Er kann aber vor allem auch die Regeln ändern, die für die Moderation von Inhalten gelten. Das heißt, wenn ich als Nutzer/Nutzerin etwas poste und das gegen die Twitter Richtlinien verstößt, dann entfernt der Konzern das. Und wenn Elon Musk jetzt anordnet, diese Regeln zu ändern, verschiedene Dinge durchzulassen, die bisher wegmoderiert wurden, dann würde das natürlich auf ganz grobe Art und Weise die Art, wie wir die Plattform wahrnehmen, ändern.

Musk sagt ja von sich, er sei ein „Free Speech Absolutist“, was zu Befürchtungen geführt hat, dass er jetzt jeglichen Inhalt erlauben könnte und Twitter dabei ein unmoderierter Space von Desinformationen und Hate Speech wird. Aber er kann ja nicht alles erlauben?

Es ist insofern interessant, weil Musk ja tatsächlich ein Libertärer ist, diese Ideologie, die im Silicon Valley sehr verbreitet ist. Er glaubt an das Recht der freien Meinungsäußerung und setzt das auch absolut. Das ist ja durchaus in der amerikanischen Politik gang und gäbe.

Dass Elon Musk quasi schon mit der Ankündigung reingeht, freie Meinungsäußerung quasi absolut zu setzen auf der Plattform ist einerseits PR, auf der anderen Seite wäre es aber wirklich schwer denkbar, dass er nicht zumindest nominell Schritte in diese Richtung setzt. Eine mögliche Konsequenz dieser Übernahme kann sein, dass zum Beispiel Donald Trump sein Konto zurückerhält und wieder frei twittern darf wie vorher. Dasselbe gilt auch für zahlreiche andere US-Republikaner und Figuren der amerikanischen Rechten, die einfach von Twitter und anderen Plattformen runter geworfen worden sind in den vergangenen Jahren. Da könnte sich schon eine ziemliche tektonische Plattenverschiebung herausbilden, sogar dann, wenn sich die Regeln nur für ein paar Promis ändern und nicht systematisch für alle Nutzerinnen und Nutzer.

Jetzt hat Musk ja bereits selber gesagt, dass sich das Unternehmen natürlich an die Gesetze halten muss, die in dem Land gelten, wo es seinen Sitz hat, in dem Fall die USA. An was für zusätzliche Regeln muss sich denn Musk mit Twitter in der EU halten?

Moderation läuft ja eh schon für jedes Land ein bisschen anders. In Österreich und Deutschland zum Beispiel müssen die Plattformen damit umgehen, dass hier so Dinge wie Holocaustleugnung gesetzlich verboten sind. Diese unterschiedliche Gesetzeslage in verschiedenen Ländern ist etwas, womit die Plattformen sich schon lang auseinandersetzen müssen.

Ich glaube, Elon Musk hat nicht so recht durchgedacht, dass die Regeln, die er mit Blick auf die USA setzen möchte bei Twitter dann ja auch trotzdem eine globale Wirkmacht entfalten bzw. sehr stark global abgeändert werden müssen, damit Twitter das dann in anderen Ländern so machen kann.

Das war immer auch ein bisschen eine Schwierigkeit bei dem Ganzen, dass eben Vorstellungen von Meinungsfreiheit aus dem Silicon Valley in anderen Weltgegenden ganz anders räsonieren. Auch Dinge, die in europäischen Ländern und den USA nicht problematisch sind, durchaus ziemlich problematische Konsequenzen anderswo haben können. Man denke nur zum Beispiel an die Vorwürfe gegen Facebook, dass sie mit ihrer laxen Inhalte-Moderation den Genozid an den Rohingya in Myanmar befeuert haben, weil sie nur einen einzigen der Landessprache mächtigen Content-Moderator hatten usw.

Die Europäische Union hat sich ja erst vor wenigen Tagen auf das Gesetz für digitale Dienste geeinigt. Das ist ein großes Gesetz, das die Art regeln soll, wie soziale Netzwerke mit Inhalten von Nutzerinnen/Nutzern umgehen. Dieses Gesetz schränkt im Grunde auch den Spielraum ein, für jemanden wie Elon Musk, quasi im großen Stil die Moderation von Inhalten runterzufahren. Das ist schon ein Grund, warum die Befürchtungen übertrieben sind, dass Elon Musk jetzt alles ändert auf Twitter und das zu einem „Hotspot“ für rechte Trolle macht, weil die Europäische Union hier gesetzlich gewisse Mindeststandards bei der Inhalte Moderation vorschreibt.

Musk ist der reichste Mensch der Welt. Was macht es denn generell mit so einem digitalen Raum, wenn Milliardäre sich einfach diese Plattform mit Millionen von User*innen kaufen können?

Wir leben ja in dem Zeitalter des digitalen Kapitalismus. Es ist ja jetzt schon so, dass die Plattformen einfach in privatem Besitz sind, quasi privatisierter öffentlicher Raum, wie ein Park, der einer Firma gehört und auf dem man zwar normalerweise gehen darf, aber die Firma kann relativ arbiträr entscheiden, einzelne Personen auszuschließen oder bestimmte Handlungen in diesem Park zu verbieten. Und in genau der Situation sind wir mit den Plattformen. Wenn jetzt jemand die Firma kauft und damit auch der Park den Besitzer wechselt, dann ist das etwas, womit wir leben müssen. Daran ändern auch die EU-Gesetze bislang überhaupt nichts. Die Frage ist, ob man dann vielleicht einen anderen Zugang finden muss, indem man zum Beispiel sagt, man verstaatlicht diese quasi öffentlichen Räume oder unterwirft sie noch weitaus strengeren Regeln, als das bisher der Fall ist.

Mit der Verkündung der Musk-Übernahme ist dann Mastodon (alternatives Social Media, Anm.) auf Twitter getrended und Betreiber*innen hat auch von einem Zulauf neuer User*innen gesprochen. Was müsste denn mit Twitter passieren, damit du auch zu Mastodon wechselst?

Ich habe schon einen Mastodon Account. Ich benutze ihn nur einfach nicht, weil Mastodon irgendwie Opfer des Netzwerkeffekts ist. Also je mehr Nutzer eine Plattform hat, desto relevanter wird es dann auch für jeden einzelnen Nutzer, was auf der Plattform passiert. Dieser Effekt, der gilt einfach für soziale Netzwerke und der macht eben ein Facebook oder Instagram oder ein TikTok in der jeweiligen Zielgruppe quasi unwiderstehlich bzw unverlassbar. Und mit diesem Effekt hat auch Mastodon zu kämpfen gehabt. Das ist eine offene Plattform. Das heißt jeder kann seinen eigenen Mastodon-Server machen, es gibt da nicht eine zentrale regulierende Instanz wie bei Twitter oder bei Facebook, die dann entscheiden kann „du bist User und du bist nicht die User“.

In einer gewissen Community gibt es schon lange Debatten, wie toll das nicht wäre. Sogar der frühere Twitter-Chef Jack Dorsey hat ja schon einmal angekündigt, dass er ein Team gründet, das sich überlegt, wie kann man Twitter dezentralisieren? Das ist halt nie passiert. Wenn es eine entscheidende politische Intervention geben würde in den USA oder in der EU oder sonst wo, dann könnte dies so aussehen, dass der Gesetzgeber den sozialen Netzwerken vorschreibt, sich zu dezentralisieren, also dass der Gesetzgeber sagt: „Ihr müsst jetzt Schnittstellen zu anderen sozialen Netzwerken aufmachen.“ Wer in Twitter ein Nutzer ist, kann dann auch Posts von einem Facebook-Freund sehen. Und so weiter und so fort. Das wäre eine Möglichkeit, diesen Netzwerkeffekt zu brechen, die Macht von einzelnen sozialen Netzwerken über unser Leben aufzubrechen. Das ist diskutiert worden, aber das gibt es bisher nicht.

Die Sorgen, die seit Veröffentlichung der Nachrichten über den Kauf durch Musk, laut geworden sind, sind die gerechtfertigt oder wird da sehr viel übertrieben?

Ich glaube schon, dass diese Sorge gerechtfertigt ist. Es ist dann eine Einzelperson, die maßgebliche Eingriffe machen kann in die Art, wie wir diese Plattform nutzen. Das ist die arbiträre Macht eines einzelnen Eigentümers. Das ist schon schlimm. Allerdings muss man dazu sagen und das ist, glaube ich, vielleicht auch der Grund, warum diese Sorgen etwas übertrieben sind, dass es einen ganzen Apparat gibt von Leuten, die Ratschläge geben, also Juristen, Expertinnen/Experten für Content-Moderation, auch der ganze Apparat, den Twitter aufgebaut hat mit tausenden Leuten weltweit, die heute Inhalte moderieren. Und ich glaube, dass vieles von dem, was Elon Musk gesagt hat, nicht so recht durchgedacht ist. Und wenn dann Abwägungen getroffen werden, wo es auch um Millionen an Werbegeld geht, zum Beispiel von Firmen, die Werbung auf Twitter schalten, die dann sagen „Na ja, wenn hier Hass und Hetze kaum noch moderiert wird, dann wollen wir hier nicht sein,“ dann kann sich diese Einstellung von Elon Musk womöglich sehr bald wieder ändern. Also in dem Sinn, glaube ich, wird es dann vielleicht nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

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