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Immortality

Sam Barlow

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Diva im Heuhaufen

Das neue Spiel von Sam Barlow („Her Story“) ist eine faszinierende Recherche im Leben einer vergessenen Filmgöttin mit dunklem Geheimnis.

Von Rainer Sigl

Marissa Marcel ist eine Diva - oder zumindest beinahe. In drei Hollywoodfilmen von legendären Regisseuren hat sie seit den 60ern bis in die 90er Jahre die Hauptrolle gespielt. Und doch war sie nie im Kino zu sehen, denn aus unterschiedlichen Gründen wurde keiner der drei Filme je veröffentlicht. Die wunderschöne Schauspielerin ist dann urplötzlich verschwunden. Geblieben ist nur ein Archiv voller Filmszenen, mit Schnipseln der drei Filme, Interviews und Material vom Dreh.

In diesem riesigen Haufen suche ich nach Hinweisen, was mit Marissa geschehen ist, und komme dabei einem dunklen Mysterium auf die Spur. Das ist „Immortality“, das neue Spiel von Sam Barlow.

Unterwegs im Videolabyrinth

Wer die früheren Spiele des britischen Indie-Entwicklers Barlow („Her Story“ und „Telling Lies“) gespielt hat, weiß, was in „Immortality“ zu tun ist: In den Videoclips des Archivs liegt ein Netz aus Hinweisen, das ich nach und nach aufdecken kann.

„Immortality“, entwickelt und vertrieben von Sam Barlow/Haf Mermaid, ist für Windows und Xbox erschienen.

Einen vorgeschriebenen Weg gibt es dabei wie gewohnt nicht, dieses Mal komme ich aber ohne das Eintippen von Suchbegriffen aus. Stattdessen klicke ich einfach im Standbild auf Gesichter oder Gegenstände und springe so zum nächsten Clip, in dem dasselbe zu sehen ist - eine Art visueller Hyperlink und eine spielmechanische Vereinfachung. Dafür ist der Berg an Filmschnipseln größer als zuvor, neben Szenen aus den (natürlich, wie die Figuren selbst, fiktiven) verlorenen Filmklassikern gibt es in umfangreichen Aufnahmen immer wieder Szenen vom Dreh oder Videofundstücke aus dem öffentlichen und privaten Leben der Schauspieler*innen zu sehen.

Die sind nicht nur hochprofessionell und großartig, allen voran die wunderbare Manon Gage in der Hauptrolle als geheimnisvolle Marissa, sondern managen ihre komplizierten Rollen mit Bravour - als Schauspieler, die Schauspieler bei und neben ihrer Arbeit spielen, und das noch dazu in einem nicht-linearen Videospiel; keine kleine Leistung.

Immortality

Sam Barlow

Meisterwerk mit alten Schwächen

Bis das Geheimnis von „Immortality“ gelüftet ist, dauert es mindestens drei bis sechs Stunden, je nachdem, wie schlau man sich beim Weg durch dieses Videolabyrinth anstellt. Wer wirklich alle Clips entdecken will, ist aber erheblich länger beschäftigt.

Das grundlegende Problem der Spiele von Sam Barlow bleibt allerdings auch hier, in seinem bislang ambitioniertesten Spiel, bestehen: Die Interaktivität beschränkt sich eigentlich darauf, sich einen Reim auf die gefundenen Hinweise zu machen. Abgesehen davon ist man eigentlich nur Zuseher. Dass man sich trotzdem als Detektiv fühlt und die reine Recherchearbeit samt Notizenmachen am Block neben dem Monitor als Gameplay zu schätzen lernt, ist die große Leistung von „Immortality“, und doch bleibt seine offene Struktur auch eine altbekannte Schwäche.

Vor allem anfangs kann es dauern, bis sich aus dem großen Knäuel an Material eine spannende Spur ergibt. Wer nicht darauf vertraut, dass hier etwas Besonderes verborgen ist, wendet sich unter Umständen zu früh gelangweilt ab. Trotzdem: ein großartiges Spiel, mit packender Handlung, tollem Cast und perfekter Produktionsqualität - nur nicht für jede*n.

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