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Ausstellung mit Andy Warhols Porträts von Queen Elizabeth

AFP PHOTO / PETER MUHLY

robert rotifer

R.I.P. Elisabeth II., erste Königin des postkolonialen und des Pop-Zeitalters

Ein erster Versuch der Erfassung von Elizabeth II. als Königin eines schwindenden Empire und begleitende, lebende Metapher der britischen Popkultur.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Ich weiß nicht, was gerade schwerer wiegt in dem Land, wo ich nun schon seit über 25 Jahren wohne: die Trauer oder die schiere Angst davor, was jetzt kommt. Wie sich die nächsten Wochen anfühlen werden, wie die vom öffentlichen Konsens bestimmte nationale Psyche reagieren wird, wohin ihre Gefühle kanalisiert, und wie wir alle darin mitschwimmen werden.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Wir müssen uns irgendwie verabschieden von einem lebenden, jetzt gerade nicht mehr lebenden Anachronismus, das klingt hart, aber es muss gesagt werden, schon allein, weil ich nicht verleugnen kann oder will, wie sonderbar körperfremd sich schon das Platinum Jubilee im Juni angefühlt hat (ich hab es damals beschrieben), jene eigenartig ziellosen Feierlichkeiten, denen die 96-jährige Jubilarin zum großen Teil ferngeblieben ist. Weil sie, wie jetzt völlig klar ist, wohl einfach nicht mehr konnte.

Ihr letzter öffentlicher Akt die Übergabe der Premierminister*innenschaft von Johnson zu Truss, das war erst vorgestern, die neue Premierministerin, die als Jugendliche – es gibt ein Video davon, es kursiert in den sozialen Medien – die Abschaffung der Monarchie gefordert hatte, jetzt unterwürfig, wie es sich gehört, ein typisches Beispiel für die Autorität, die Elizabeth II. verkörperte. Eine rein symbolische Autorität, die nur existierte, wenn man hinschaute, untermauert durch echten Reichtum, durch Gepränge und Zeremonie, aber dann auch wieder nur Kostüm.

Elizabeth II. ist ihrem verstorbenen Vater im Jahr 1952 nachgefolgt, drei Jahre nach der London Declaration, die nach der Unabhängigkeit Indiens die Idee eines Britischen Empire in die Vorstellung von Großbritannien als weitgehend entmachtetes Mutterland eines vielfältigen Commonwealth überführte, vier Jahre vor der entscheidenden Erniedrigung der Suez-Krise, die das Ende dieses Empire brutal und unausweichlich klarstellte. So gesehen war Elizabeth also die erste postkoloniale Monarchin des Vereinten Königreichs, gemessen lächelnde Zeugin des Verfalls britischer Macht, verlässliche Konstante der Aufrechterhaltung der zunehmend sinnlosen Insignien jener verfallenen Macht. Und machen wir uns nichts vor: In gerade deren Sinnentleertheit lag das Sympathiepotenzial dieses gänzlich unbedrohlichen Staatsoberhaupts.

Queen Elzabeth während ihrer Krönung

APA/AFP/INTERCONTINENTALE

Dass die zweite Dekade ihres Regnums mit der Neuerfindung Großbritanniens als Pop-Land zusammenfiel, war das nur ein Zufall? Man kann sie jedenfalls nicht ganz voneinander trennen, die Queen und die Popkultur. Der erste Text, an den ich diesbezüglich denken musste, war eine Passage aus „X-Ray“, dem 1994 veröffentlichten semi-autobiographischen Roman von Ray Davies, dem Songwriter und Sänger der Kinks. Er erinnert sich dabei an die formelle Krönung Elizabeths im Juni 1953 (mehr als ein Jahr, nachdem sie Königin geworden war), wie er sie im Alter von gerade noch acht Jahren im Fernsehen miterlebte (meine Übersetzung, Anm.):

„Was für ein schöner Tag das war, die Krönung. Vom Schulunterricht befreit, Fahnen wehten von jedem Haus. Coronation. Das Wort verkörpert das Empire, den Commonwealth, das Gute, das über das Schlechte siegt. Die Krönung der Königin war sehr erotisch. Ein Land stand habt Acht, wie eine Massenerektion. Ich hatte wahrscheinlich den ersten Steifen meines Lebens am Krönungstag. Es hatte was zu tun mit all diesen alten Männern in schweren Mänteln, die dieser jungen, schönen Frau in der Westminster Abbey ihren Tribut zollten. Der sexieste Teil davon war, als sie den Thron abschirmten, damit die Welt nicht sehen konnte, was passierte. Sogar der gute alte Richard Dimbleby, der die Fernsehübertragung kommentierte, sprach im Flüsterton, als wäre es nicht vorgesehen, dass er da war. Mich berührte die ganze Vorstellung, dass Millionen etwas Verbotenem und vor ihnen Verborgenem zusahen, als etwas ziemlich Besonderes. Historiker mögen mein Urteil widerlegen, aber die Uhrzeiten 1 Uhr 30 und viertel nach drei kommen mir als jene der ultimativen erotischen Salbung in den Sinn. Ich erinnere mich sehr lebhaft an diese Zeiten. Der Rest sind bloß Pferdehufe, die Whitehall runter klappern, und kleine Union Jacks, die von gesichtslosen Verschwommenheiten gewedelt werden.“

Dieses Bild einer von der Königin erotisierten Jugend ist schwer aus dem Kopf zu bekommen. Und tatsächlich machte ihre offizielle Meinungslosigkeit diese Herrscherin wohl auch zum ultimativen Projektions-Objekt. Es lässt mich an die Bilder der Beatles denken, die von ihr 1965 ihre Orden als Members of the British Empire erhalten. Sie sehen dabei aus, als wären sie aus der fernen Zukunft in eine längst vergangene Welt gestolpert, aber sie grinsen dabei auch aufgeregt (und, wie wir heute wissen, bekifft). Vier Jahre später wird Paul McCartney ganz am Ende ihres (in Chronologie der Aufnahme) letzten Albums „Abbey Road“ (1969) sein mit augenzwinkerndem Sixties-Machismo beladenes, respektloses, aber doch irgendwie auch liebevolles „Her Majesty“ singen:

„Her Majesty’s a pretty nice girl but she doesn’t have a lot to say
Her Majesty’s a pretty nice girl but she changes from day to day
I wanna tell her that I love her a lot but I gotta get a bellyful of wine
Her Majesty’s a pretty nice girl, someday I’m gonna make her mine
Oh yeah
Someday I’m gonna make her mine“

Die Beatles mit ihren Orden als Members of Order of the British Empire

APA/dpa

John sollte der Königin im selben Jahr seinen Orden zurückschicken, aus Protest gegen die britische Außenpolitik im Speziellen und das historische Erbe des Britischen Empire im Allgemeinen. Paul dagegen sollte sich von der Königin zum „Sir“ schlagen lassen. Beides hat seine Stimmigkeit in der ambivalenten Beziehung der Popkultur zur Queen, am plakativsten repräsentiert durch – okay, Klischee, aber wie könnte ich es hier nicht erwähnen? - „God Save The Queen“ von den Sex Pistols, erschienen zum silbernen Krönungsjubiläum 1977, visuell verewigt durch Jamie Reids Artwork, auf dem Bandname und Songtitel Mund und Augen der Königin verdecken.

Plattencover von Sex Pistol's "God Save The Queen" mit Porträt von Queen mit überklebten Augen und Mund

Virgin

„God save the Queen / The fascist regime“, spuckte Johnny Rotten, mit der unsterblichen Schlussfolgerung „There ain’t no future in England’s dreaming“, die dem Autor und Zeitzeugen Jon Savage 1991 den Titel für sein ultimatives Punk-Buch „England’s Dreaming“ gab. Darin schrieb er (meine Übersetzung, Anm.):

„Im Sound von ‚God Save The Queen‘ lebten die Sex Pistols Malcolm McLarens ursprüngliche Fantasie aus, die Intensität des Fünfzigerjahre-Rock’n’Roll auf die Höhe der Zeit zu bringen. Da war blitzendes Leder und lauter Lärm; es war die Rückkehr der unterdrückten, bedrohlichen Gewalt, das ultimative Statement der immerwährenden Gegenwart des Pop, genau in dem Moment, wo die Massen eine Vergangenheit zelebrierten. […] ‚God Save The Queen‘ war schockierend, nicht nur weil es sagte, dass die Gegenwart eine Lüge war, sondern auch, weil es eine erbärmliche Zukunft voraussagte. In einem von Nostalgie ertränkten Land war das ein ernsthafter Etikettenbruch. ‚No Future‘ war gleichzeitig ein nüchternes Statement und eine furchtbare Warnung, mehrfach anwendbar, nicht nur auf den zerbröckelnden Nachkriegskonsens, sondern auf die ganze Idee der Jugendkultur und auf die Band selbst. Zurückblickend kann man die Sex Pistols als den letzten Atemzug der Jugendkultur als einfache, verbindende Kraft sehen – das Sixties-Ideal, das alle, die mit der Band zu tun hatten, gleichzeitig hassten und liebten. Sie behaupteten einmal noch das Primat des Pop als Wünschelrute der Zeiten, just zu demselben Moment, da sie den Verlust seiner Macht in den 1980ern voraussagten.“

Und tatsächlich war der Gitarrenpop der weißen britischen Songwriter bereits von einem prägenden, bestimmenden, unausweichlichen, zu einem kommentierenden, optionalen Medium abgestiegen, als Morrissey 1986 sein Titellied des Smiths-Albums „The Queen Is Dead“ sang.

Aber es sagte auch etwas über den Machtverlust der Königin selbst aus, dass sie hier in der dichterischen Darstellung eines tatsächlichen Anti-Royalisten nicht mehr als Verkörperung des faschistischen Regimes erscheint, sondern als humorvolle, harmlose Dame, die dem Eindringling Morrissey schnippisch mitteilt, dass er nicht singen kann.

„So I broke into the Palace with a sponge and a rusty spanner
She said, ‚Eh, I know you, and you cannot sing’
I said, ’That’s nothing, you should hear me play piano’“

Die schleichende Verniedlichung der Queen bis hin zu jener verstockten, aber liebenswerten Figur, als die sie später in Gestalt Helen Mirrens („The Queen“, 2006) oder in „The Crown“ (ich gestehe, ich hab nur eine Staffel gesehen, ihr wisst es besser) ihre semi-fiktive Neuerfindung erfahren sollte, war bereits weit fortgeschritten, als die Pet Shop Boys auf ihrem Album „Very“ (1993) den Song „Dreaming of the Queen“ singen sollten. Der Erzähler träumt eine Begegnung mit der Queen und Lady Diana, er ist dabei nackt, was der prüden Königin gar nicht behagt. Vor allem aber legt Neil Tennant ihr einen Kommentar zum annus horribilis 1992 in den Mund, als die düstere Innenseite der Ehe zwischen ihrem Sohn Charles und Prinzessin Diana bloßgestellt wurde:

„The Queen said, ’I’m aghast
Love never seems to last
However hard you try’
And Di replied
That there are no more lovers left alive
No one has survived“

Zeilen, die vier Jahre später mit Dianas Tod noch eine weitere makabre Dimension erhalten sollten, die aber auch die Melancholie ausdrücken, die die Königin als popkulturelle Gestalt angenommen hatte. „And the Queen, she’s gone round the bend / Jumped off Land’s End“, sang Damon Albarn in „This Is A Low“, dem düsteren De facto-Schlussstück von Blurs „Parklife“ (1994).

2007 ließ er sie im Namen seiner All-Star-Band The Good, The Bad & The Queen (sozusagen als versöhnliche Alternative zu „The Ugly“) wieder auftauchen. Ein Text im Besonderen aus diesem Album klingt für diesen heutigen Moment wahrer und zutreffender als alles, was ich mir jetzt schon mit Schaudern an kommenden Tributen ausmale. Und zwar, „The Kingdom of Doom“. Hier zum Abschluss ein Auszug:

“Friday night in the Kingdom of Doom
Oh ravens fly across the moon
All in now, there’s a noise in the sky
Following all the rules
And not asking why

When the sunset wheel begins
Turning into the night
I see everything in black and white and then
Drink all day ’cos the country’s at war
You’ll be falling off the palace wall
I can’t be any more than I say
Oh in the flood, we all get washed away”

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