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Zwei Frauen in einer U-Bahn. Der Waggon ist mit Graffiti besprüht.

Martha Cooper

Zeitreise ins New York der frühen 80er Jahre

Die amerikanische Fotojournalistin Martha Cooper hat vor mehr als 40 Jahren mit ihrer Kamera die Frühphase von Hip Hop visuell eingefangen und ist hautnah in die Welt der Graffiti-Künstler*innen eingetaucht. Ihr 1984 erschienenes Buch „Subway Art“ gilt als Graffiti-Bibel. Jetzt sind mit „Spray Nation“ weitere, bisher unveröffentlichte Fotos aus ihrem Archiv erschienen.

Von DJ Phekt

Martha Cooper ist eine neugierige Frau mit einem einnehmenden Lächeln. Kameras begleiten die 79-jährige Fotojournalistin schon ihr ganzes Leben. Ihr Vater hatte in Baltimore einen Laden für Fotoapparate und Equipment. Im Alter von drei Jahren schießt sie erste Bilder.

In den 60er Jahren arbeitet Marty, wie sie von Freunden genannt wird, als freiwillige Sprachlehrerin für den „Peace Corps“ in Thailand und reist danach alleine mit dem Motorrad via Afghanistan, Iran, Russland und Europa von Bangkok nach England. Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium der Ethnologie landet sie Ende der 70er Jahre als Fotojournalistin bei „National Geographic“ und der „New York Post“. Und da beginnt ihre Geschichte als frühe Beobachterin jener Subkultur, die heute unter dem Begriff „Hip Hop“ prägender Teil der internationalen Popkultur ist.

In den Straßen der Bronx

Während ihrer Reisen durch teils sehr arme Weltregionen schärft Martha Cooper ihren Blick fürs Wesentliche. Sie beobachtet zum Beispiel Kinder in Haiti, die aus Müll Spielzeug basteln - und findet im New York der 70er Jahre ähnliche Szenen. Die Stadt ist damals bankrott, ganze Viertel wie die South Bronx verwahrlosen und sind als autonome Freiräume gleichzeitig ein idealer Nährboden für kreative Entfaltung und Experimente.

Zufällig macht sie Bekanntschaft mit einem kleinen Jungen, den sie beim Sprühen seines Alter Egos HE3 beobachtet. Fasziniert von seinem Skizzenbuch und seiner Kreativität öffnet sich in diesem Moment eine für Außenstehende quasi unzugängliche Undergroundwelt. Denn HE3 bietet Martha an, ihr Dondi, den damaligen „King of Styles“ der Graffiti-Szene, vorzustellen.

Martha Cooper, 2014

Sally Levin

Vom U-Bahn-Tunnel in die Galerie

Martha Cooper gewinnt schnell das Vertrauen der anfangs durchaus skeptischen Graffiti-Künstler*innen. Was will diese neugierige weiße Frau mit dem Kurzhaarschnitt? Ist sie von der Polizei?

Doch ihre qualitativ hochwertigen Fotos bemalter U-Bahn-Waggons und Wände (die sie den Künstler*innen schenkt) werden heißbegehrt in der Szene, die die eigenen Werke meist nur mit billigen Wegwerfkameras festgehalten. Martha Cooper inszeniert die gesprühten Bilder atmosphärisch, vor Gebäuden, auf Brücken und mit Menschen davor. So dokumentiert sie nicht nur die gesprayten Werke, sondern portraitiert auch das Lebensgefühl von New York City jener Zeit. Und verewigt junge Menschen auf ihren Fotos, die später als Performer oder Künstler*innen zum Teil weltberühmte Superstars werden.

Buch Cover

Martha Cooper/Prestel

„Spray Nation“ von Martha Cooper und Roger Gastman mit 410 bisher unveröffentlichten, farbigen Abbildungen aus dem Archiv der Fotografin ist beim Prestel Verlag als Hardcover in englischer Sprache erschienen.

Martha wird zur Vertrauensperson, die aus erster Quelle erfährt, wer was wann wo gemalt hat. Und bekommt heiße Tipps, wann gewisse Züge wo vorbeifahren werden. Außerdem wird sie zu diversen illegalen Graffiti-Aktionen mit in das Tunnelsystem der U-Bahn genommen und bekommt so erstmals einen Einblick in die Techniken und Tricks der Szene. Sie lernt die Menschen hinter den mysteriösen bunten Wortkreationen kennen und wird Zeugin jener Phase, in der plötzlich Kunstgalerien in Manhattan Interesse an der bunten Graffiti-Kunst zeigen.

Mit dem Buch „Subway Art“ veröffentlicht Martha Cooper 1984 gemeinsam mit Henry Chalfant jenes Buch, das heute als „Graffiti-Bibel“ bezeichnet wird und das mitverantwortlich dafür ist, dass sich Graffiti rund um den Erdball ausgebreitet hat.

Durch ihre Fotos, die einen Einblick hinter die Kulissen der Szene geben, konnten Jugendliche auf der ganzen Welt plötzlich sehen, wie ein großflächig gesprühtes Bild entsteht. Die kulturelle Tragweite dieser international veröffentlichten Publikation wurde Martha Cooper erst viele Jahre später bewusst.

Neue Fotos aus dem Archiv

Man kann nur erahnen, welch umfangreiches Fotoarchiv Martha Cooper aus jener Zeit angelegt hat. Tausende unveröffentlichte Bilder schlummern in ihren Ordnern. Genau die hat sich der auf Graffiti-Kunst spezialisierte Kurator, Buchautor und Filmemacher Roger Gastman nun genauer angesehen. Gemeinsam mit Martha Cooper ist daraus das Buch „Spray Nation“ entstanden. Eine Sammlung von Fotos aus den frühen 80er Jahren, die jetzt zum ersten Mal gezeigt werden.

Anhand atemberaubender Bilder wird das Durchblättern des Buches zur Zeitreise in ein New York, wie man es nur mehr vom Hörensagen kennt, mit teils desolater Infrastruktur, Mode, Architektur und alten Werbetafeln. Dazu grandiose Graffiti-Kunstwerke und Portraits jener Menschen, die sie gemacht haben. Damals verhältnismäßig unbekannte Künstler wie Keith Haring, Jean-Michel Basquiat oder Madonna tauchen auf diesen Bildern als Teil der Party Crowd ebenfalls auf.

Noch immer aktiv

Martha Cooper ist noch immer aktiv und reist mit ihren Kameras permanent um die Welt. So hat sie zum Beispiel die notorische Graffiti-Crew 1UP eine Woche lang bei illegalen Graffiti-Aktionen begleitet (dazu gibt es ein Video) und das Buch „One week with 1UP“ veröffentlicht. Mit über 70 Jahren ist sie wahrscheinlich die älteste Frau, die jemals heimlich in der Nacht in U-Bahn-Tunnels mit maskierten jungen Männern unterwegs war. Angstfrei, aber immer fokussiert, um den perfekten Shot einzufangen.

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