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Mix aus den Gesichtern von Holly Herndon und Jlin im Video zu dem Track "Godmother"

Youtube Screenshot

Von Holly Herndon bis Grimes: Wenn Künstliche Intelligenzen Musik machen

Ein kleiner Überblick darüber, wie sich die Schnittstellen von KIs und Popmusik derzeit anhören.

Von Katharina Seidler

Künstliche Intelligenzen können einparken, Sprachen erfinden und die Schach- und Go-Weltmeister besiegen. Sie können Krankenbefunde interpretieren, Cyberattacken voraussagen und neuerdings können sie aufgrund sämtlicher im Internet verfügbarer Informationen sogar eine - wenngleich unseriöse - Einschätzung darüber abgeben, ob jemand oder etwas politisch eher rechts oder links steht.

Und natürlich können sie auch Musik komponieren. Im Stil von Johann Sebastian Bach, von Elvis, den Beatles, Jack Johnson und so weiter - mit unterschiedlichen Erfolgen. Software-Programme wie Amper oder Flow Machines werden hierfür mit allen möglichen Informationen gefüttert, zuallererst einmal Musik, Musik, Musik, aus der sie dann Parameter extrahieren: Tempo, Tonart, Aufbau, und so weiter.

Die US-amerikanische Spießerpop-Sängerin Taryn Southern ließ 2018 ihr Album „I am AI“ erstmals gänzlich von einer Künstlichen Intelligenz produzieren; im selben Jahr brachte das französische Kollektiv Skygge das Album „Hello World“ auf Basis der Algorithmen von Flow Machines heraus. Für den Song „Je vais te manger“ etwa analysierte die Software französische Chansons aus den 1960er Jahren und baute daraufhin die folgende Geisterproduktion zusammen:

„I feel like we’re in also the end of art. Human art. Once AIs can totally master science and art, which could happen in the next ten years, it’s just going to be so much better at making art than us.“ (Grimes)

Dieser euphorische Ausblick auf die Zukunft der KI-Musikproduktion stammt natürlich von Grimes. Die kanadische Musikerin hat nicht erst seit ihrer Beziehung mit dem Tech-Milliardär Elon Musk ihr enormes Interesse an neuen Technologien bekräftigt. In den letzten Jahren hat Grimes unter anderem die KI-Girlgroup NPC ins digitale Leben gerufen oder für ihren Sohn das KI-Schlaflied samt dazugehöriger Schlaf-App „AI Lullaby“ generieren lassen:

Auch andere Weiterdenker*innen der Musikproduktion wie der Ambient-Music-Erfinder Brian Eno oder die Elektronik-Avantgardistin Arca interessieren sich natürlich für die neuen Möglichkeiten von KI-basiertem Musikmachen. Arca hat etwa ihren Track „Riquiqui“ in 100 verschiedenen KI-Remixes veröffentlicht:

Und Brian Eno hat sein Ambient Album „Reflection“ aus 2017 auch als App released, in der die Musik in einem Endlos-Loop immer neu generiert wird. Trotz seiner Begeisterung für die neuen, intelligenten Produktions-Softwares betont Brian Eno in Interviews, dass die Computer beim Kunstmachen auch viele Fehler machen – Eno nennt es „Artificial Stupidity“ anstatt „Artificial Intelligence“ – er interessiert sich aber genau für diese Fehler; für die Grenzen der neuen Technologien.

Zum Weiterlesen:

Einer der besten Texte über die aktuellen Möglichkeiten von Musik-KIs ist dieser Artikel auf Pitchfork, der auch auf die rechtlichen Probleme rund um die neuen Technologien eingeht: Will AI Lead to New Creative Frontiers, or Take the Pleasure Out of Music?

Tatsächlich ist bei KIs, die Musik im Stile von großen Artists wie, sagen wir, Katy Perry oder Coldplay erschaffen sollen, noch einige Luft nach oben. So klingt etwa ein „Rock“-Stück, das die Open-Source-AI Jukebox „im Stil von Elvis“ komponiert hat.

OpenAI · Rock, in the style of Elvis Presley - Jukebox

Am eingehendsten unter den bekannten Musiker*innen hat sich bisher die US-amerikanische, in Berlin lebende Medienkünstlerin und Musikerin Holly Herndon mit den neuen technischen Errungenschaften befasst. Sie hat einerseits eine eigene KI namens „Spawn“ programmiert und trainiert, mit der sie 2019 ihr Album „Proto“ produzierte. Spawn bekam dabei tonnenweise Musik von Herndons bester Freundin, der Juke-Ikone und Beat-Zerhäckslerin Jlin zu essen, und daraus baute sie alleine den von ihrer „Godmother“ inspirierten, gleichnamigen Track. Am Ende des Videoclips sieht man Jlin selbst im grenzenlosen Erstaunen über die Kreation ihres „Patenkindes“:

Neuerdings hat Holly Herndon außerdem eine zweite eigene Software namens Holly+, die auf stunden- und tagelange Samples ihrer eigenen Stimme zugreifen und diese daher täuschend echt nachahmen kann. Diese Demonstration lohnt es sich wirklich bis zum Ende anzusehen:

Die Möglichkeiten, mit Künstlichen Intelligenzen Musik zu machen, sind wenig überraschend grenzenlos. Ein paar Jahre wird es aber wohl noch dauern, bis sie, wie Grimes sich das wünscht, der menschlichen Kunst wirklich den Rang ablaufen können. Man möchte sich inzwischen vorstellen, was passiert, wenn die KIs mit dem Gesamtwerk von Autechre oder Aphex Twin gefüttert werden. Wer weiß, vielleicht kommt es dann ja einfach zu einer Implosion der digitalen Synapsen - Musik, die in ihrer atemlosen, menschlich erdachten Grenzenlosigkeit und Genialität die Algorithmen aus dem Konzept bringt, so intelligent sie auch sein mögen.

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