FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Paramore 2023

Zachary Gray

Ein musikalisches Band-Manifest: „This Is Why“ von Paramore

Das neue Paramore-Album ist endlich draußen. Es erzählt unterschwellig und deutlicher denn je die Geschichte von der Teenie-Pop-Punk-Band, die zum musikalischen Manifest ihrer Generation wird.

Von Alica Ouschan

Meine Lieblingsbands mit dreizehn waren – typisch rebellious angry Emo-Teenager - Rage Against the Machine und Paramore. Und irgendwie sind sie das natürlich noch immer, doch mit dem Erwachsenwerden ändert und verfeinert sich auch der Musikgeschmack, ebenso verändert sich der Sound von Künstler:innen. Gehört habe ich diese Bands in den letzten Jahren nur mehr sporadisch – denn bei der einen gab es keine neue Musik und die andere hat sich in eine Richtung entwickelt, die mir nicht mehr ganz so zugesagt hat. Eine Lovestory mit vielen Aufs und Abs.

This Is Why Albumcover

Atlantic Records

This Is Why ist am 10. Februar bei Atlantic Records erschienen.

Irgendwo zwischen der Pop-Punk-Welle der frühen 2000er formte sich rund um die damals 16-jährige Songwriterin und Sängerin Hayley Williams die Schulband „Paramore“ in Franklin, Tennessee. Fünf wohlbehütet aufgewachsene und christlich erzogene Privatschüler:innen bekamen nur ein Jahr nach ihrer Gründung beim aufstrebenden Alternative-Label Fueled By Ramen nebst namhaften Emo-Bands wie Fall Out Boy und Panic! At The Disco einen Vertrag.

Das ist mittlerweile stolze 18 Jahre her. Der große Erfolg ließ zwar bis zum zweiten Album „Riot!“, das im Jahr 2007 released wurde, auf sich warten, dann ging es aber so richtig los. Als eine der allerersten Pop-Punk/Emo-Bands mit Lead-Sängerin spielten Paramore in der Oberliga des ansonsten männlich dominierten Genres und inspirierten damit die Stars der aktuellen Pop-Punk Szene: Willow und Olivia Rodrigo.

Wegweisend und authentisch

Durch freche, teils empowernde, teils verletzliche Lyrics, harte aber melodische Gitarrenriffs und punkige Attitude sollte die Musik von Paramore wegweisend sein für einen nicht unerheblichen Teil einer ganzen Generation. Nämlich jene der vom Mainstream abgewandten Kidz, die bereits zu alt waren, um der GenZ anzugehören und gleichzeitig nicht mehr als Millennials durchgingen. Damals waren die Bandmitglieder alle noch unter 20 – was die Band noch authentischer, die Musik noch nachvollziehbarer machte.

Klar, dass sich seit ihrer Gründung vieles verändert hat. Break-Ups (persönliche wie auch solche zwischen Bandmembern), Neudefinierung der eigenen Musik und Mental Health Issues spielten eine große Rolle für die Weiterentwicklung von Paramore. Mit ihrem letzten Album „After Laughter“ aus 2017 schien es so, als hätten sich Paramore nun endgültig dem sehr kommerziell klingenden Indie-Pop zugewandt. Obwohl die Musik auf der Platte keinesfalls schlecht war, so sprach sie doch eine andere musikalische Sprache als noch in den 00er Jahren. Mit dem Release des neuen Paramore-Albums „This Is Why“ nimmt die Lovestory zwischen mir und der Band neue Fahrt auf.

Musikalische Nostalgie trifft auf textliche Offenheit

Die Songs auf der Platte wecken durch die Rückbesinnung auf Pop-Punk und härtere Gitarren nicht nur Nostalgie, sondern sind gleichzeitig eine konsequente Weiterentwicklung von Hayley Williams’ Soloausflug aus dem Jahr 2020. Damals hat die Songwriterin und Sängerin ihr erstes Album rausgebracht. „Petals for Armor“ kann unzweifelhaft als eine der besten Pop-Platten der letzten Jahre bezeichnet werden. Darauf stellt sie neben ihrem feinfühligen Songwriting erstmals ihre gesamte musikalische Palette zur Schau.

Egal ob Synth-Pop oder R’n’B, Hayley Williams’ Stimme sind scheinbar keine Grenzen gesetzt. Und auch textlich gibt sie mehr denn je ihr Innenleben preis, singt über ihre toxische Ehe, die nicht mehr ist, familiäres Trauma und Missbrauchserfahrungen. Erfahrungen mit Selbstsabotage, Depressionen, Coping-Mechanismen sowie die Auseinandersetzung mit Weiblichkeit und dem eigenen Körper werden in die Auslage gestellt.

Umso schöner, dass sich diese Offenheit auch in der neuen Paramore-Platte widerspiegelt. Persönliche Gedanken treffen hier auf die post-pandemische Lähmung und brennende Wut über den Zustand der Welt. In Interviews erzählen die übrig gebliebenen Bandmitglieder Hayley Williams, Zac Farro und Taylor York von ihrer strengen christlichen Erziehung und wie sie sich davon emanzipiert haben. Heute spricht sich die Band beispielsweise für Abtreibungsrechte aus und macht lautstark auf Queerfeindlichkeit und rassistische Strukturen in den USA aufmerksam.

Eine Lieblingsband

Erstmals äußert sich die Band auch in ihren Songs zu politischen Belangen. Der Song „The News“ ist ihr lautester Song seit Langem, sowohl musikalisch als auch textlich – es geht um den nie enden wollenden 24h-Fluss an schlechten Nachrichten, die einem die zurückgewonnene Freiheit versauen. Das titelgebende „This Is Why“ knüpft ebenfalls daran an: „This Is Why, I don’t leave the house. You say the coast is clear, but you won’t catch me out “. Und auch das „Running Out Of Time“ enthält eine deutliche Anspielung auf die unaufhörliche, den unzähligen Krisen geschuldete Lähmung, wie sie jede:r in irgendeiner Art fühlt.

Das Spannende daran ist, dass Paramore thematisch damit eben jene Gefühle der Orientierungslosigkeit, der Zukunftsangst und des Alleingelassenwerdens wieder aufgreifen, die schon zu Beginn der Bandgeschichte Thema waren und eine Verbindung zwischen Hörer:in und Band hergestellt haben. Vielleicht ist genau das der Grund, warum das Album „This Is Why“ so gut funktioniert – es holt einen gefühlstechnisch ab, erinnert an die Gründe, warum Paramore eine Lieblingsband ist und passt perfekt in die Zeit des Pop-Punk-Revivals der letzten paar Jahre.

Unaufhaltsame Energie

Die Platte nimmt die gesamte erste Hälfte ordentlich an Fahrt auf und schafft bis zum letzten Drittel hin eine ordentliche Spannung. Die Musik klingt nicht mehr Pop-, sondern Post-Punk-inspiriert, sich aufbauende Riffs explodieren in psychedelischen Klängen, Dub-Beats und anderen abenteuerlichen Experimenten. Die Texte sind direkt und klar formuliert, trotzdem glänzt Hayley Williams auch hier mit altbekannter Raffinesse. Gegen Ende hin gibt es einen sehr abrupten Energiewechsel – auch die emotionalen Gitarrensongs, die einen in die Untiefen von Hayley Williams’ sensibler und mächtiger Stimme ziehen, gehören zu einem wirklich guten Paramore-Album dazu.

Kompromisslos und unerschrocken erinnern Paramore mit „This Is Why“ an ihre Wandelbarkeit. Keiner der unzähligen Besetzungswechsel, keine Machtkämpfe in- und außerhalb der Band, keine Pandemie und keine Solokarriere vermögen es, die kreative Energie dieser Band zu mildern. Mit ihrem ersten Album seit fünf Jahren verteidigen Paramore ihren Platz als wegweisende Band ihrer Zeit und schaffen gleichzeitig ein Manifest, das nicht versucht, irgendwelche alten Hits zu toppen, sondern mit sich selbst im Einklang ist und eine unaufhaltsame Energie entfaltet.

FM4 Musikpodcast: Warum das Emo-Revival?

Hört man das Wort Emo, dann denken viele an Teenager:innen mit schwarzen, geglätteten Haaren und skinny Jeans, die in Parks herumlungern, andere an besonders emotionale Gitarrenmusik. Polarisierend ist Emo auf jeden Fall. Aber warum ist das so? Ist das ein Genre, ein Lifestyle oder ein Vibe? Wo kommt Emo her? Und wo geht die Musikrichtung nach dem neuesten Revival hin? Darüber sprechen Christoph Sepin und Berni Wagner im FM4 Musikpodcast.

mehr Musik:

Aktuell: