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Wu Tang Clan

Patrick Muennich

Das Problem mit der Nostalgie

Der Wu-Tang Clan spielte gemeinsam mit Denzel Curry, J.I.D und den Waxolutionists in der Wiener Stadthalle. Es war leider eine Show, die vor allem über Nostalgie funktionieren hätte sollen, aber klanglich nicht aufgegangen ist.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Sie kamen wie ein Bienenschwarm. Erst setzten sich in der gleißenden Nachmittagshitze vereinzelte Gruppen auf die Bänke im Märzpark vor der Stadthalle, während Kinder sich an den Springbrunnen abkühlten. Kaum eine Stunde später war schon die ganze Gegend - inklusive der Essens-Stände am naheliegenden Urban-Loritz-Platz - voll mit den charakteristischen Ws in gelb oder weiß auf T-Shirts, Hosen und Hoodies (oder gar komplett koordinierten Outfits). HipHop-Fans von Zoomer bis Boomer waren aus allen Richtungen hierher geströmt, um den Wu-Tang Clan zu sehen. Die Supergroup von hungrigen Rappern aus Staten Island und Brooklyn hatte vor ziemlich genau dreißig Jahren den Klang des HipHop mit roh zusammengebauten Soul-Samples revolutioniert, danach die Industrie mit einer beispiellosen Barrage an Gruppen- und Solo-Alben der einzelnen Mitglieder (auf die größten Plattenfirmen aufgeteilt) für sich arbeiten lassen und schließlich auch noch ein textiles Imperium aufgebaut, dessen Erfolg an diesem Dienstagabend in Wien auch sehr sichtbar war.

Das wichtigste Gesprächsthema vor der Halle war, welche der neun Mitglieder denn nun wirklich da sein würden. Angekündigt war ja ein Konzert in voller Besetzung, was ziemlich sensationell gewesen wäre, angesichts der notorisch chaotischen Gruppendynamik der Rapper-Egos im Clan aber auch ein kleines Wunder. Am Ende würden mit dem RZA, dem GZA, Ghostface Killah, Raekwon, U-God und Cappadonna viele der wichtigsten Wu-Rapper auf der Bühne stehen, wenn auch die Abwesenheit des als Schauspieler vielbeschäftigten Method Man für Unmut sorgte.

Während draußen noch über die Aufstellung des Hauptacts spekuliert wurde, standen in der Stadthalle bereits drei Wiener Legenden auf der Bühne: Die Waxolutionists, spielten nach längerer Live-Abwesenheit in puristischer DJ-Trio-Besetzung. Im Zentrum stand die musikalische Turntable-Kunst, die Rap-Stimmen auf Hits wie Slangdunk oder Nachtschattengewächs kamen ebenfalls von Platten. Der Abend war wie eine kleines Festival programmiert, deshalb war vor dem allmächtigen Wu-Tang Clan etwa noch J.I.D an der Reihe. Der Rapper mit der hellen Stimme aus Atlanta begeisterte mit pfeilschnellen und präzisen Versen über 808-Beats, die er aber gerne mit den zugehörigen Soul- oder Jazz-Samples herleitete. J.I.D, der dem sehr produktiven Dreamville-Camp um J.Cole angehört, gab sich in den Zwischenansagen demütig: Er sei froh, hier zu sein und vor den New Yorker Legenden auftreten zu dürfen.

JID, Wu Tang Clan

Patrick Muennich

Über die Wichtigkeit des Wu-Tang Clan für Denzel Curry, den nächsten Namen am Line-Up, hatte er mir selbst etwas vor dem Auftritt erzählt. Die klassischen Alben hatten ihn mit ihren bildreichen Metaphern geprägt, so der im Großraum Miami aufgewachsene Künstler, und der Clan selbst mit seinen innovativen geschäftlichen Ideen auch bei seinen ersten Moves in der Musikindustrie inspiriert. Denzel Curry ist eine der faszinierendsten jungen Stimmen im Rap-Game, wie nicht zuletzt sein wütender Black Lives Matter-Song oder das psychedelische letzte Album bewiesen haben. An diesem Abend hilft ihm das leider nicht, denn die energetischen Mitmach-Aufforderungen gehen bei einem größeren Teil des Publikums ins Leere (ganz im Gegensatz zu seinem Auftritt vor zehn Tagen). Am Ende bleiben die vielen motherfuckin’ Animationsrufe des 28-Jährigen leider mehr im Gedächtnis als die Musik.

Denzel Curry, Wu Tang Clan

Patrick Muennich

Denn, trotz der eingangs erwähnten Altersvielfalt ist der überwiegende Teil der Besucher:innen an diesem Abend in den 1980er Jahren oder davor geboren (wie später eine Umfrage von der Bühne klären wird) - und sie sind natürlich für Wu-Tang da! Genauer gesagt für die frühen Alben und Klassiker des Clans, die bei vielen (inklusive diesem Schreiber) ein wichtiger Soundtrack der Teenagerjahre waren. Und jetzt soll uns - so der nostalgische Drang - die Musik wieder in diese unbeschwerte Zeit zurückversetzen. Can it be, that it was all so simple then? Global gesehen natürlich nicht, auch wenn wir uns damals alters- und prigilegienbedingt mit vielen komplizierten Dingen noch nicht auseinandersetzen mussten.

Wu Tang Clan

Patrick Muennich

Das Konzert des Wu-Tang Clan scheiterte aber nicht nur am unmöglichen Anspruch, uns die beste Zeit unseres Lebens zurückzubringen. Die kathedralengleiche Akustik der Stadthalle tat das ihre, sechs Rap-Mikrofone, die manchmal pfiffen oder zum richtigen Einsatz eines Rappers nicht zu hören waren, und die fünfköpfige Band sorgten zusammen für einen fast durchwegs matschigen Klang. Die Live-Instrumente, die im Idealfall mehr Druck auf der Bühne erzeugen sollen, taten eigentlich fast das Gegenteil: Wenn die Beats mehrheitlich vom DJ kamen, klang es an diesem Abend noch am Besten (die Acts davor hatten auch deshalb dieses Problem nicht). Dafür verfiel die Band, wenn sie nicht gerade die Real HipHop-Predigten des RZA mit einer Kirchenorgel untermalte, zu oft in Rock-Pathos, was in positiv gesagt überraschenden Covers von „Come Together“ und „Smells Like Teen Spirit“ gegen Ende der Show gipfelte.

Irgendwie verständlich: Ähnlich wie der Wu-Tang Clan symbolisieren Nirvana die wilden 90er Jahre, an die wir uns bei diesem Konzert ja verklärt zurückerinnern wollten. Und ja, in seinen besten Momenten hat das Jahrzehnt die rohe Energie sowohl von Rockbands als auch auf von Rap-Rabauken halbwegs harmonisch zusammengebracht: Auf Skateboard-Videos auf VHS oder dem Judgement Night Soundtrack. Aber 2023 ist das leider alles zu sehr Klischee, und abseits des RZA schienen auch die Clan-Rapper von diesem Finale nicht ganz überzeugt gewesen zu sein. Am Ende hätte man diese greatest hits des Wu-Tang Clan und von den Solo-Platten seiner Mitglieder wohl besser in ihren Studio-Versionen gehört - auch wenn die Live-Stimmung mit tausenden Enthusiast:innen natürlich etwas Besonderes ist. Aber ein Triumph sieht wahrlich anders aus!

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