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"The Idol" Szenenbild Lily-Rose Depp und The Weeknd

HBO/Sky

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Ist „The Idol“ wirklich so übel?

Die HBO-Serie von The Weeknd und Sam Levinson wurde von Publikum und Kritik so richtig gehasst. Zu Recht?

Von Martin Pieper

Es gibt online längst den Hot Take, dass „The Idol“, die fünfteilige HBO-Serie von Sam „Euphoria“ Levinson und Abel „The Weeknd“ Tesfaye, ein unverstandener Geniestreich sei, eine präzise Bestandsaufnahme gegenwärtiger Popkultur. Der weitaus größere Teil der Zuseher:innen war weniger bezaubert, sondern eher verstört von unterirdisch schlechten Dialogen, hölzernem Schauspiel, einer unklaren Mischung aus Botschaft und Sexploitation, dramaturgisch hanebüchenen Wendungen und schlechten Frisuren. Stichwort Popkultur: Damit ist die Serie tatsächlich bis in die letzten Fasern von Hauptdarstellerin Lily-Rose Depps Wimpern getränkt. Hier werden ein paar der dringendsten Fragen beantwortet.

188. FM4 Film Podcast: The Idol

Dank seiner gefeierten Teenage-Drama-Serie „Euphoria“ gehörte Showrunner Sam Levinson bisher zu den Vorzeige-Kreativen der Streaming-Institution HBO. Jetzt steht der Regisseur aber im Zentrum von viel Kritik. Seine neue Miniserie „The Idol“, entwickelt zusammen mit R’n’B-Sänger Abel „The Weeknd“ Tesfaye, erregt die Gemüter im Netz.

Pia Reiser, Christian Fuchs und FM4s Martin Pieper als special guest diskutieren die Kontroversen rund um die Popstar-BDSM-Saga mit Lily-Rose Depp.

Montag, 17.7.2023, ab Mitternacht auf FM4 und überall, wo es Podcasts gibt.

Warum die ganze Aufregung um „The Idol“?

Der Showrunner, Regisseur und Mitautor von „The Idol“ ist Sam Levinson, der mit seiner Serie „Euphoria“ neue Maßstäbe in der Darstellung aktueller Teenager-Befindlichkeiten gesetzt hat. Sein kontroverser Umgang mit Nacktheit, Drogen, Transthemen und Gewalt hat auch im Vorfeld der Dreharbeiten von „The Idol“ für Aufregung gesorgt. Die ursprünglich für die Regie der Serie vorgesehene Amy Seimetz warf das Handtuch, nachdem schon 80 Prozent der Serie abgedreht waren.

„Künstlerische Differenzen“ nennt man das gerne, es ging angeblich um die „zu weibliche Perspektive“, die „The Idol“ eingeschlagen habe. Sam Levinson ist kurzerhand eingesprungen, aus sechs Folgen wurden fünf und ein Artikel im Rolling Stone über die Probleme der Produktion haben eine gewisse voyeuristische Vorfreude angefacht. Schon nach den ersten Reaktionen auf der Premiere beim Filmfestival in Cannes war abzusehen, dass das Produktionsteam um Schadensbegrenzung bemüht war. Bald war die Kommunikationslinie von Cast und Crew: „Ihr versteht das alles nicht richtig!“ Auch weite Teile des TV-Publikums hat sich geeinigt: „The Idol“ ist statt der erwarteten Bad-Boy-Schockserie mit Popstarbeteiligung eine überraschend schlecht zusammengebrauter Mix aus 90er-Jahre-SM-Erotikthriller und Musikbusiness-Satire.

Worum geht’s?

Die Hauptfigur – das titelgebende „Idol“ - ist die Popsängerin Jocelyn, gespielt von Model/Actress Lily-Rose Depp. Wir treffen sie am Beginn der Serie an einem frühen Tiefpunkt ihrer Karriere in ihrem bombastischen LA-Haus mit Garten. Sie hat eine Tour abgesagt, kämpft mit den Folgen eines Nervenzusammenbruchs und wird von einer ganzen Armee von Manager:innen, Tourproducern und Assistent:innen mit neuer Single und neuem Image auf Vordermann gebracht. Dann trifft sie in einem Club den mysteriösen Tedros (Abel „The Weeknd“ Tesfaye), einen offenbar sexuell sehr attraktiven, aber irgendwie auch „rapey“ Typen, mit dem sie sich in eine Geschichte voller Drogen, Sex und Leidenschaft begibt. Klingt in der Zusammenfassung sehr nach „Basic Instinct“ von Paul Verhoeven und ist auch ungefähr so subtil. Fun Fact: The Weeknd hat auch schon in der Verfilmung von „50 Shades of Grey“ mitgewirkt. Vielleicht ist er da auf den Geschmack gekommen.

Szenenbild "The Idol", "Nostalgia", "Transformers: Aufstieg der Bestien"

HBO/Sky, Disney, polyfilm

Ist Abel „The Weekend“ Tesfaye der neue Prince?

Zumindest macht er über seine Verehrung des Meisters kein Geheimnis. In einer der zahllosen und ziellosen Zwischenschnitte sieht man ihn sogar von einem Prince-Gemälde im Anwesen des Popstars nachdenklich nach vorne schauen. Vielleicht dachte The Weeknd, dass „The Idol“ sein „Purple Rain“ werden könnte. Das war immerhin kommerziell der Durchbruch für Prince, der zwar vieles konnte, aber auch nicht gerade als Schauspieltalent in die Geschichte eingehen wird. Ein Rewatching von „Purple Rain“ in all seiner 80er-Jahre-Realness ist aber zeitsparender und ergiebiger als „The Idol“ durchzusitzen.

Wer spielt denn da noch aller mit?

Das Ensemble von „The Idol“ ist prächtig besetzt. Fast jede Pop-Nische bekommt ein einschlägiges Testimonial, stets ein bisschen gegen den Strich besetzt. Die Kalkuliertheit dieser Casting-Entscheidungen hinterlässt allerdings einen sauren Beigeschmack. Als ältester Freund und „Creative Director“ tritt Troye Sivan auf, der im echten Leben gerade mit seinem Sommerhit „Rush“ und dem dazugehörigen hot girl/boy summer Video die queere Community hinter sich versammelt. Er ist als Teenie-Idol wahrscheinlich schon einiges gewohnt, aber die Szene, in der er mittels elektrischem Halsband gefoltert wird, ohne dass man so richtig wüsste warum, war für seine Fans in erster Linie verstörend.

Der K-Pop-Star Jenny Ruby Janes von Black Pink darf in ein paar Szenen als quasi Zweitbesetzung von Popstar Jocelyn ein bisschen tanzen. Moses Sumney, eigentlich ein fantastischer Alt-R’n’B-Sänger, der in „The Idol“ leider nicht viel zu tun bekommt, außer das lebende Klischee des „Freaks“ darzustellen. Zu erwähnen wäre auch noch der Real-life-Musikproduzent Mike Dean, der Platten von Kanye West und von, man hat es sich gedacht, The Weeknd produziert hat. Für „The Idol“ hat er seine größten Bongs mitgebracht und den einen oder anderen Kifferwitz. Allen Erwähnten ist gemeinsam, dass sie nichts gemeinsam haben, sie wirken wie aus unterschiedlichen Serien.

Basiert „The Idol“ auf realen Vorbildern?

Das Haus des fiktiven Popstars Jocelyn ist im echten Leben die Bel-Air-Villa von Abel Tesfaye. Dort spielt auch der allergrößte Teil von „The Idol“. Das ist ein bisschen creepy, vor allem, wenn man an seine Figur Tedros denkt, die als kontrollierender und manipulativer Superbösewicht die meiste Zeit das Heft in der Hand hat. Popstar Jocelyn ist ein bisschen Britney Spears während der Vormundschaft. Vor allem aber fühlte sich Selena Gomez zumindest mitgemeint, die 2017 eine kurze Beziehung mit Abel Tesfaye unterhielt, damals auch eine Tour absagen musste und ihre mental health struggles öffentlich gemacht hat. Auch in fünf Stunden Sendezeit schafft es die Serie allerdings nicht, aus Lily-Rose Depp alias Jocelyn einen überzeugenden weiblichen Popstar für das Jahr 2023 zu kreieren. Die tatsächlich aktuellen Versionen davon, von Taylor Swift bis Doja Cat, singen ganz andere – selbstbestimmtere – Lieder als die arme Jocelyn, die auch noch „echten Sex“ haben muss, um „richtig deepe“ Popkunst zu machen.

Ist „The Idol“ das neue „Showgirls“?

„Showgirls“ ist ein legendärer Flopfilm der 90er Jahre. Das Las-Vegas-Stripperinnen-Drama wurde von der Kritik zerrissen, vom Publikum gehasst und hat Paul Verhoevens Hollywood-Karriere beendet, genauso wie die kurze Karriere der Hauptdarstellerin Elizabeth Berkley. Viele Jahre später wurde der Film dann endgültig „verkultet“. Ein missverstandenes Meisterwerk? So schlecht, dass es schon wieder gut ist? Ja, sagen alle, die „Showgirls“ zum campen Klassiker umgedeutet haben. „The Idol“ hat zumindest den ersten Teil dieser Geschichte schon bravourös gemeistert. Vielleicht entdecken wir die Serie in 20 Jahren noch einmal neu. Bis dahin schauen wir uns lieber das neue Troye-Sivan-Video an.

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