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Luca Kiesers Roman  "Weil da war etwas im Wasser"

Zita Bereuter

Buch

Luca Kieser: Weil da war etwas im Wasser

2021 gewann Luca Kieser mit „Chemie“ Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Der philosophierende Tintenfisch bzw. seine acht Arme erzählen in „Weil da war etwas im Wasser“ von einem Forschungsschiff, einer Familiengeschichte und mehreren 30-Jährigen, die von der Tiefsee fasziniert sind.

Von Zita Bereuter

Luca Kieser war nie in der Antarktis oder auf einem größeren Schiff. „Die Fähren über den Bodensee. Solche Schiffe bin ich gefahren. Das waren wahrscheinlich die Größten“, sagt er. Er war auch keines der Kinder, die Tintenfische liebten: „Ich habe auch nie Calamari gern gegessen oder getaucht und die gesehen oder so, das ist tatsächlich erst in den letzten Jahren gekommen.“ Den genauen Zeitpunkt erwähnt er im Roman: „Und dann, an diesem 1. April 2020, dachte er zum ersten Mal an einen Kraken.“

„Luca Manuel Kieser schreibt mit „Chemie“ die beste Geschichte“ - ein Portrait von 2021

Ein Jahr später hat er schon so viel über Kraken geschrieben, dass er einen Text bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb einschickt. Nicht irgendeinen. Den Besten. Er gewinnt Wortlaut. In „Chemie“ lässt er einen Tintenfisch, der von einem Wal geschluckt wurde, über seine Verwandlungen nachdenken. Von Amber über Globuli ist alles möglich - bis hin zur großen Liebe – wenn die Chemie stimmt.
Luca Kieser arbeitete an etwas Größerem und wusste, „auch diese Chemie-Geschichte wird ein Teil von dem Roman sein“.

Der Wortlautgewinn war dennoch wichtig für den Roman. „Weil das war ganz schön motivierend. Ich habe sehr viel schneller zu Ende geschrieben, als ich gedacht hätte. Die erste Rohfassung des Manuskripts war dann schon so im Frühjahr 2022, also drei, vier Monate später, fertig.“

Das Tier

Im Mittelpunkt steht also ein Tintenfisch. Genauer: Ein Kalmar. Noch genauer: Eine Kalmarin. Deren acht Arme erzählen verschiedene Geschichten, die letztlich alle zusammenhängen. Es gibt den süßen, hehren, blendenden, bisschen schüchternen, müden, halben und den eingebildeten Arm. Sie alle haben sich während des Schreibens organisch entwickelt, erklärt Luka Kieser. Angeregt durch die Diskussion um kulturelle Aneignung und nicht zuletzt durch sein Ethik- und Philosophiestudium wollte Luca aus der Sicht eines Tieres erzählen. „Ich habe mir so ein Bewusstsein vorgestellt, das in einem Wir funktioniert. Und in diesem Wir gibt es verschiedene Anteile, eben das Süße, das Müde, das bisschen Schüchterne. Und die müssen sich zusammen einigen, wie sie ihre Geschichte ihres Kalmars oder der Kalmarin erzählen und können dann aber auch jeder und jede eine eigene Geschichte noch erzählen.“ Seitlich auf jeder Buchseite ist immer der aktuell erzählende Arm vermerkt.
Immer wieder fordern die Arme auf, doch einige hundert Seiten nach vor- oder zurückzublättern. Das ist kein Grund, nervös zu werden, meint Luca Kieser. „Ich würde mir wünschen, dass man vielleicht am Ende vom Buch ein bisschen gelernt hat, dass man nichts falsch machen kann, sondern nur richtig machen kann. Und es ist ja auch nur eine Einladung.“ Ein verspielter Roman im besten Sinn.

Tintenfischarme

cocoparisienne/Pixabay

So begleitet man einerseits eine Crew auf einem Frosttrawler auf ihrem Weg in die Antarktis. Sie forschen und fischen Krill. Krill ist ein Teil des Planktons, der in großen Mengen gefangen wird und verarbeitet im Alltag häufig vorkommt.

Die Familie

Im zweiten Teil liegt der Fokus auf einer Familie, die über Generationen immer wieder auf unterschiedlichste Weise mit Tintenfischen in Kontakt gekommen ist. „Heute würde man eine Familie wie die Mackes neureich nennen und in der Hoffnung, dass man sie so nicht zu Gesicht bekommt, nach Sülz, in den siebten Bezirk, nach Schleusig, Schwabing oder in den Prenzlauer Berg abschieben. In der Zeit der Mackes aber war die Pflege der Privilegien für diejenigen, die nicht genügend Anstand besaßen, um DAS REICH zu verlassen, der beste Schutz gegen schmutzige Hände.“

Die Männer

Jules Verne

CC0

Jules Verne mit einem Kalmar in einer Karikatur von 1884

Die Tintenfischarme erzählen aber auch von verschiedenen Männern, die vom Leben im Meer fasziniert waren und dies in Literatur oder Film verarbeiteten. Vom Science-Fiction Autor Jules Verne (der u.a. „20.000 Meilen unter dem Meer“ geschrieben hat) über Peter Benchley (der Autor von „Der Weiße Hai“) bis zum Bühnenbildner Robert Mattey (er baute u.a. den Riesenkalmar in der Disneyverfilmung von „20.000 Meilen unter dem Meer“) bis zu einem gegenwärtigen Autor, der sehr viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten mit Luca Kieser hat.

Diese Männer haben sich zwar alle in unterschiedlichen Zeiten und Jahrhunderten mit Meerestieren auseinandergesetzt, aber sie waren damals alle in etwa gleich alt: 30 Jahre. „Mich hat dieser Moment interessiert, auch bei mir selbst, dem letzten dieser Männer. Was das für ein Moment ist, wenn man künstlerisch tätig ist oder schreibt und dann etwa 30 ist.“

Diese historischen Momente beschreibt Luca Kieser ebenso schlau und gekonnt wie verknappt und verdichtet. Die enorme Recherchearbeit, die dahinter stecken musste, sieht Luca Kieser als „Fleiß“. „Am anstrengendsten fand ich die Recherche zu mir selbst. Da denkt man ja eigentlich, da muss man gar nicht recherchieren, alles ist da. Aber gerade das macht es so tricky, weil man viel weiß, was Lesende nicht unbedingt wissen. Und man muss erst mal diesen Abstand gewinnen, den man bei allen anderen schon hat.“

„Aber Unsicherheit ist ja schön, alles andere ist bloß Wahrheit.“ (aus „Weil da war etwas im Wasser“)

Luca Kiesers Roman  "Weil da war etwas im Wasser"

Zita Bereuter

„Weil da war etwas im Wasser“ von Luca Kieser ist bei Picus erschienen.

Das Tagebuch

Im letzten Teil liest man im Tagebuch einer jungen Frau, die auf dem Forschungsschiff ein Praktikum absolviert. „Tagebuch zu führen macht auf einem Schiff keinen Sinn. Für ein richtiges Tagebuch passiert einfach zu wenig und ein Traumtagebuch geht auch nicht, ich träume hier nämlich nicht.“ Folglich schreibt sie mehr über ihre Vergangenheit.

Luca Kieser

Luca Kieser erzählt autofiktional und offen von einem jungen Mann, von seinem Schreiben, aber auch von den Problemen mit seinem Penis. Darüber zu schreiben sei eine schwierige Entscheidung gewesen, von der ihm auch einige Freundinnen und Freunde abgeraten hätten. Aber ebendiese meinten, nachdem sie es gelesen hätten:„Dass das doch ein gutes Statement ist, wie man vielleicht doch auch heute noch als junger Mann über seinen Penis schreiben kann.“

„Weil da war etwas im Wasser“ ist ein großer Wurf. Eigenwillig und mutig in Form und Inhalt schwimmt Luca Kieser gegen den Strom und sticht aus dem Meer der Neuerscheinungen heraus. In diesen Roman einzutauchen – um noch eine letzte Wassermetapher zu verwenden – lohnt sich. Anfangs braucht man eventuell einen langen Atem, aber dann bleiben besondere Erinnerungen.

Luca Kieser stellt das Buch bei den o-tönen am 17. August in MQ in Wien vor.

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