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Buch "Packerl" von Anna Neata in Kasten vor weißem Hintergrund

Jenny Blochberger

Drei Frauen und ihre Packerl

Drei Generationen von Frauen tragen ihr „Packerl“ auf unterschiedlichste Arten. Die Salzburger Autorin Anna Neata beweist in ihrem Debütroman ein sicheres Gespür für das Lebensgefühl der jeweiligen Zeit.

Von Jenny Blochberger

Ähnlich wie in „Die Wirtinnen“ von Silvia Pistotnig folgt Neata in „Packerl“ drei Generationen von Frauen, die teilweise mit ähnlichen Entscheidungen konfrontiert sind und unterschiedlich damit umgehen.

1942 ff: Elli

Elli steht freudig aufgeregt vor dem Spiegel, denn gleich geht sie mit ihrer besten Freundin Hanni in Salzburg zum BDM-Treffen. Für dieses besondere Ereignis lässt sie sich noch von ihrer Schwester Ursel die Haare flechten. Ursel und die Eltern sind nicht ganz so begeistert von den neuen Machthabern, aber laut sagen traut sich schon lange niemand mehr etwas. An diesem Tag, ihrem 14. Geburtstag, wird Elli in gewisser Weise erwachsen werden. Die liebevolle Beziehung der Eltern wird von den Depressionen des Vaters überschattet, der Zusammenhalt der beiden Schwestern immer wieder durch Neid und Rivalität auf die Probe gestellt.

Wie lange redet sie schon nicht mehr mit dir. Zwei Jahre, drei Jahre sicher, oder? Die Ursel schaut sie fragend an, also die Alexandra, fügt sie noch hinzu, als gäbe es noch jemand anderen, der gerade nicht mit Elli spricht und für den es sich lohnen würde, in alten Schuhkartons nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort vom Alexander zu suchen (...).

1959 ff: Alexandra

Alexandras Vater ist abwesend, zu ihrer Mutter Elli hat sie eine angespannte Beziehung. Alexandra ist widerborstig und leidenschaftlich, politisch interessiert und rebellisch. Mit ihrem besten Freund Hannes schläft sie ab und zu, als festen Freund will sie ihn aber nicht. Mit 21 wird sie Erich heiraten, trotz – oder wegen – der Bedenken ihrer Familie, und später mit Milan eine Familie gründen. Ihre Suche als Erwachsene nach ihrem Vater ist zwar erfolgreich, doch eine Distanz zu der Person, die lange Zeit nur ein flüsternd erwähnter Name war, bleibt immer. Alexandra möchte es bei ihrem Kind anders machen als ihre Eltern bei ihr, und trotzdem fällt es ihr und ihrer Tochter Eva schwer, einander zu verstehen.

Was hatte sie die Mutti gestern zu der Schöndorfer sagen hören. Sicher ist es nicht einfach, wenn der eigene Vater nichts von dir wissen will, und Alexandra hatte in dem Gebüsch neben dem Wirtshaus Stein gelegen, an einer Tschick gezogen und durch die Zweige der Sträucher gesehen, wie die Schöndorfer milde mit dem Kopf geschüttelt hatte, und gehofft, dass der Hannes diese Mal ein bisschen länger braucht als sonst, damit er nicht sieht, wie ihr die Tränen die Wangen herunterlaufen.

Cover von "Packerl" von Anna Neata

Ullstein Hardcover

„Packerl“ von Anna Neata (368 Seiten) ist im Verlag Ullstein Hardcover erschienen.

1999 ff: Eva

Die Beziehung, die sich durch Evas Leben durchziehen und ihr Halt geben wird, ist die zu ihrem besten Freund Konrad aka Stups, dem Sohn von Hannes. Eva spürt schon als Kind das Geflecht der familiären Konflikte, Beziehungen, Geheimnisse um sich herum; mit Fotografieren versucht sie, dieses Geflecht für sich abzubilden und aus dem Ganzen schlau zu werden. Das ständige Umziehen lässt nicht zu, dass sie Wurzeln schlägt, so muss sie sich eben an ihren familiären Wurzeln festhalten. Ihre Rebellion äußert sich in Verweigerung - eine Haltung, die Alexandra nicht nachvollziehen kann. Eva hängt am Liebsten mit den Kids mit den bunten Haaren ab, die alternative Schule, die ihre Eltern für sie ausgesucht haben, interessiert sie wenig. Später lässt sich Eva durchs Leben treiben und kämpft mit Depressionen. Ihre Mutter drängt sie, ins Ausland zu gehen und etwas von der Welt zu sehen, doch Eva möchte Salzburg nicht verlassen. Der Rückzug in ihr privates Biedermeier ist ihre Art, sich gegen Alexandra und die Anforderungen der Welt aufzulehnen.

Letztens hatte das Mädchen Eva zur Rede gestellt, mit Tränen in den Augen. Irgendjemand hatte gesagt, dass irgendjemand gesagt hatte, Eva hätte gesagt, das Gruftiemädchen wäre gern etwas, was sie nicht ist. Aber Eva war im Schulflur hart geblieben, mir doch egal was du sein willst oder was ich gesagt habe, und streng genommen hatte sie es wirklich nicht verstanden. Die schwarzen Klamotten, die ganzen Ringe, das dunkle Augen-Make-up und dann aber so fröhlich und nett sein wie eines der Kinder von Bullerbü, das hatte für sie einfach nicht zusammengepasst. Da war Eva konsequent. No Future hörte bei ihr ja auch nicht bei den grünen Haaren auf.

Jeder Generation ihr Packerl

Elli, Alexandra und Eva haben alle ihr Packerl zu tragen – ein österreichischer Ausdruck, der die Geschichte auch sprachlich verankert, ebenso wie die Verwendung von Artikeln vor Namen: die Elli, der Hannes.

Die Geschichte(n) der Protagonistinnen sind zwar großteils linear, aber ineinander verschränkt erzählt. So begegnet man am Anfang allen drei Frauen in einer Szene, die 1999 spielt, wird aber dann der kindlichen Elli vor dem Spiegel vorgestellt, und während sich ihre Geschichte über die Zeit entwickelt, werden die zwei Jüngeren eingeführt. So erfährt man jede Person sowohl aus ihrer eigenen Perspektive als auch aus der der anderen beiden. Dabei beweist Anna Neata ein gutes Gespür für Zeitgeistigkeiten: die Passagen, die in den Vierziger Jahren spielen, lesen sich wie ein zeitgenössischer Jugendroman, während die Szenen in den Siebziger und Achtziger Jahren gefärbt sind von Zigarettenrauch, bürgerlicher Revolte und politischen Diskussionen. Evas Jugendzeit in den Neunziger und Nuller Jahren ist haltlos, suchend, unruhig; die Erwartungen ihrer Eltern beantwortet sie mit Verweigerung.

Die Erzählung stellt oft mehr Fragen als sie Antworten liefert, spricht oft Erinnerungen an Ereignisse an, bei denen man gerne direkt dabei gewesen wäre; vieles bleibt dadurch ein wenig schemenhaft. Neatas literarischer Stil borgt mitunter von Christine Nöstlinger, mit gelegentlichen Einsprengseln von launigen Formulierungen, wie man sie von Wolf Haas kennt. Ihre Sprache ist allerdings lakonischer und nüchterner, zu ihren Figuren wahrt sie eine gewisse Äquidistanz, als wollte sie sichergehen, keine der drei zu bevorzugen. Sie ist interessiert an den Schicksalen ihrer Protagonistinnen, aber ohne übermäßige emotionale Verstrickung – was „Packerl“ vor Kitsch bewahrt, aber eben auch davor, die Leser:innen so richtig mitzureißen.

Anna Neata im Stiegenhaus

radio FM4/Jenny Blochberger

Anna Neata, geboren 1987 in Oberndorf bei Salzburg. Studium der Film- und Theaterwissenschaften, Bachelor-Abschluss Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. 2020 Gewinnerin des Hans Gratzer Stipendiums/Schauspielhaus Wien mit dem Stück Oxytocin Baby. Beim FM4 Literaturwettbewerb „Wortlaut“ war ihr Text 2022 bei den besten 10 und damit auch im Sammelband zum Thema „Ausreden“ vertreten.

Jenny Blochberger/FM4: „Packerl“ spielt ja in 3 Zeiten – und es liest sich auch jeweils sehr authentisch, als wäre man in 3 Filmen, die ganz unterschiedlich aussehen. Wie hast du das angelegt?

Anna Neata: Ich lese zwar viel, aber ich schaue auch extrem viele Filme. Und auch wie ich schreibe ist sehr filmisch. Bei „Packerl“ habe ich mir das so vorgestellt, dass jedes Kapitel wie ein Foto aus einem Fotoalbum ist und man wird dann in dieses Foto und in diese eine Situation reingezogen. Vor Kurzem habe ich „Once Upon A Time In America” von Sergio Leone gesehen, das war sozusagen eine Inspiration im Nachhinein. Bei dem Film ist es cool, dass er ganz viele Zeitebenen hat, die auch gegeneinander geschnitten werden, also nicht chronologisch sind. Bei „Packerl“ wollte ich dadurch, dass es nicht chronologisch abläuft, diese Gleichzeitigkeit zwischen den Figuren herstellen.

Der Roman spielt hauptsächlich in deiner Heimatstadt Salzburg. Kann man sagen, dass du eine komplexe Beziehung zu dieser Stadt hast?

Zum Beispiel die Salzburger Festspiele: da wird dann immer so getan, als ob diese Stadt so offen ist für alles, was von außen kommt, und jeden willkommen heißt. Und dann wächst man dort auf und merkt, dass es sehr viel Kulisse ist. Und man denkt ja, seit Thomas Bernhard hat man schon alles über Salzburg gehört und es ist eigentlich ein furchtbares Klischee. Man wächst quasi in einem wahr gewordenen Klischee auf - und das kann einen nicht kalt lassen. Es ist wie ein Aufwachsen in einem einzigen Widerspruch.

Deine Figuren sprechen miteinander nicht über Wesentliches. Oft ist es ja so, dass man erst außerhalb der Familie über bestimmte Dinge reden kann, weil einem dann gewisse Tabus und Rollen nicht mehr im Weg stehen.

In Familien tut man sehr wenig, um sich kennenzulernen und geht dabei eigentlich davon aus, dass man sich schon immer kennt. Dadurch, dass man nicht über Dinge redet, können sich die Dinge einfach immer wiederholen. Und andererseits muss man dem Gesagten eigentlich genauso misstrauen wie dem Schweigen.
Der Kleber, der die Geschichte in „Packerl“ zusammenhält, sind die ungewollten Schwangerschaften und das Loslösen aus teils gewaltvollen Beziehungen. Dadurch, dass keine darüber spricht, ist es für jede, die es erlebt, immer das erste Mal, dass so was passiert.
Was mich am meisten interessiert ist die Frage nach individuellem Glück. Es ist ja auch ein unheimlicher Erfolg, sich aus einer Beziehung heraus zu lösen. Also warum spricht man nicht darüber? Warum ist das nicht eigentlich genauso ein Erfolg wie ein guter Schulabschluss?

Du warst 2022 unter den besten 10 des FM4 Kurzgeschichtenwettbewerbs „Wortlaut“ und warst auch im Sammelband vertreten. Wie wichtig war die Teilnahme an Wortlaut für dich?

Wortlaut ist für mich sehr wichtig gewesen. Ich wollte unbedingt einmal dabei sein. In dem Wortlaut-Buch waren auch Geschichten dabei, die ich so noch nicht irgendwo gelesen habe. Und das mag ich eigentlich immer. Ich mag immer gerne das, was man woanders nicht findet.

Du schreibst am liebsten vormittags. Wie ist deine Schreibroutine?

Für mich ist morgens die Zeit, wo Unsicherheit voll in Ordnung ist. Ich finde, es gibt keine andere Tageszeit, wo man einfach so unsicher sein darf. Und diese Unsicherheit kann unheimlich viel öffnen. Weil wenn ich anfange zu schreiben, dann möchte ich ja nicht, dass etwas zu ist, sondern ich möchte, dass am Anfang noch alles offen bleiben kann.

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