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Der „Minihorror“ des Alltags

Barbi Marković lebt in Wien, ist mit Literaturpreisen dekoriert, ihre Bücher wurden schon mehrmals fürs Theater adaptiert und beim Bachmannpreis hat sie auch schon gelesen. Für ihren aktuellen Roman „Minihorror“ hat sie jetzt den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten.

Von Conny Lee

Barbi Marković auf der Leipziger Buchmesse

Radio FM4 | Zita Bereuter

Bei der Leipziger Buchmesse 2024 hat Barbi Marković am 21.3. den hochkarätigen Preis in der Kategorie Belletristik gewonnen.

In „Minihorror“ begleiten wir die Hauptcharaktere Mini und Miki durch diverse Episoden, in denen ihnen unangenehme bis furchtbare Dinge passieren. Zum Beispiel trifft Miki einen alten Freund, von dem er eigentlich dachte, er sei gestorben. Den restlichen Tag hat Miki Zweifel, ob er selbst eigentlich noch lebt oder schon tot ist. Oder: Die Wohnung von Mini und Miki wird von Schimmel und Insekten übernommen, sodass sie sich eine neue suchen müssen.

„Zwei Stromkabel führen in ein von innen ausgeleuchtetes, orangefarbenes Zelt in der Mitte des Wohnzimmers. Drinnen sitzen Miki und Mini und druchforsten die Immobilienportale. Sie versuchen, leere, überteuerte Wohnungen mit schiefen Dächern oder seelenlosen Mitbenutzungsgärten zumindest in ihrer Fantasie bewohnbar zu machen. Während sie traurige Bestlagen und Albtraumausblicke, unbefristete Einzimmergefängnisse, sonnige Shitwohnungen mit Blick auf Neuroseninnenhöfe und großzügige Milliarden-Euro-Vergnügen anklicken, bis ihre Hirne schmerzen, kriechen fingerlange Würmer über den Parkettboden.“

Barbi Marković nimmt in ihrem neuen Buch den Horror des Alltäglichen unter die Lupe. Sie überhöht, spitzt zu und führt ad absurdum. Minihorror ist witzig und eine Empfehlung nicht nur für Fans des Horrorgenres oder der Lustigen Taschenbücher.

Foto Autorin Barbi Marković

Apollonia Theresa Bitzan

FM4: Was ist Horror für dich, und wie entsteht der Horror bei dir, im Buch?

Barbi Marković: Uff, gleich eine schwierige Frage (lacht). Also ich habe Horror als Genre für mich verstanden als eine Art Übung der Angst, weil in Horror als Kunstform, also als Film, Literatur und so weiter, kann dir als Zuschauer nichts passieren, und es fokussiert die Aufmerksamkeit auf eine schöne Art und Weise. Es erlaubt einige reale Probleme des Lebens und der Gesellschaft zu thematisieren und sie zu übertreiben, sodass man am Ende doch über das Normale und Reale geredet hat, aber sich schön gegruselt hat dabei.

Buchcover vor verschwommenem Hintergrund

Residenzverlag

„Minihorror“ ist im Residenz Verlag erschienen.

FM4: Warum diese Episodenform, in der die Geschichten so gar nicht zusammenhängen? In der einen Episode trennen sich Mini und Miki zum Beispiel und in der nächsten sind sie aber wieder zusammen.

Barbi Marković: Außer der Tatsache, dass es ein Horror-Buch ist, ist es auch eine Art Lustiges Taschenbuch. Miki und Mini, das sind die Hauptcharaktere. Und so wie in den Lustigen Taschenbüchern Mickey und Minnie jedes Mal aus ihrem gewöhnlichen Leben raus in ein nächstes Abenteuer geraten, ohne dass das immer zusammenpasst, ist das bei mir auch.

FM4: Warum gerade diese zwei Disney-Mäuse als die Hauptfiguren?

Barbi Marković: Ich habe etwas gebraucht, um diese Geschichten zu verbinden und sie lustig zu machen. Ich wollte nicht nur einen blassen Horror von mir geben, und für mich hat es sofort Farbe bekommen, sobald mir das eingefallen ist. Es gibt ein Zitat von Disney, wo er über Micky Maus sagte, dass er ein kleiner Kerl ist, der sich dauernd bemüht, alles gut zu machen. Solche Charaktere wollte ich haben: Charaktere, die eigentlich nur das Beste wollen und sich bemühen. Die zweite Sache war, dass diese Mäuse die Möglichkeit der Identifikation für alle bieten.

FM4: Wie viel Barbi steckt in Mini?

Barbi Marković: Oder in Miki? Ich stecke in allem drin. Ich habe nur mein Hirn zur Verfügung, und die meisten Sachen, die ich über die Welt weiß, kommen über meine Erfahrung. Das heißt, ich stecke sehr viel drinnen, aber nicht überall. Es stecken auch andere Leute drinnen. Manchmal weiß ich nur etwas oder habe es irgendwo gehört, und das kommt dann auch rein. Insofern ist es eine Mischung, und man kann sich nicht sicher sein, was ich bin in dieser Mini und was nicht.

FM4: Wie schon in „Die verschissene Zeit“ ist hinten im Buch auch wieder ein Rollenspiel drin. Bei „Die verschissene Zeit“ hast du eine Rollenspiel-Runde gemacht und daraus ist ganz viel Material für die Geschichten entstanden. War das diesmal wieder so?

Seite aus Minihorror

Residenz Verlag

Im Bonusmaterial finden sich unter anderem „105 weitere mögliche Horrors mit Mini und Miki“

Barbi Marković: Diesmal ist das und die Geschichte von Mercedes Kornberger und die kleinen Horrors im Anhang alles Bonusmaterial, eben wie in einem lustigen Taschenbuch. Wer nicht wirklich lesen will, kann sich nur diese Sachen anschauen (lacht). Ich dachte einfach, diese Sachen passen eigentlich ganz gut dazu. Und das Spiel von Thomas (Brandstetter, Anm.) passt gut zu der Geschichte „Small Axe “ über die Party.

FM4: Du hast in einem Interview gesagt, Optimismus sei nahezu lebensgefährlich, und deine Strategie sei es, an das Schlechte zu denken, dann sei das Leben besser. Übertragen auf das neue Buch: Erwartest du auch in deinem Alltag überall Minihorror?

Barbi Marković: Vielleicht erlebe ich die Welt ein bisschen so. Mich schrecken Sachen oft. Es ist vielleicht nicht so schlimm wie im Buch, die Atmosphäre in meinem Kopf, aber es kann oft sein, dass die kleinen Dinge groß sind in meinem Hirn, im Nachhinein, nachdem sie passiert sind.

FM4: Was ist für dich der schlimmste Alltagshorror? Ein Setting, vor dem dir am meisten graut im Alltag, wie: auf einer Party sein und Smalltalk führen, so dieser Horror.

Barbi Marković: Im Callcenter arbeiten müssen. Also auf Deutsch. Ich habe es machen müssen. Als ich erst nach Wien gekommen war und ich noch viel schlechter Deutsch konnte, da hat man mir einfach das Handy in die Hand gedrückt und ich sollte Leute anrufen und wusste nicht genau, wie man überhaupt am Telefon spricht. Ich hatte keine Übung, es war einfach nur eine Erniedrigung. Das war ein Horror.

„Minihorror“ von Barbi Marković im Theater am Werk, Uraufführung am 8. Oktober 2023, Regie: Aslı Kışlal

FM4: Am Sonntag schon hat das Theaterstück zu „Minihorror“ Premiere gehabt. An welchem Zeitpunkt ist die Idee dazu entstanden?

Barbi Marković: Ich war gerade fertig mit dem Text und habe einfach Aslı Kışlal (die Regisseurin, Anm.) getroffen. Und wie die meisten coolen Dinge in meinem Leben war das einfach Zufall. Sie hat dringend einen Text gebraucht, ich habe ihr eine Version geschickt, und wir haben uns geeinigt. So kam es, dass das Stück quasi noch vor dem Buch rauskommt.

FM4: Wie sollen die Leute, die dein Buch lesen, rausgehen aus der Lektüre? Was gibst du ihnen mit, mit dem Horror-Erlebnis?

Barbi Marković: Also mein Gefühl ist, dass ich denen gar nicht so viel Horror-Erlebnis biete, wie ich ursprünglich wollte. Mein persönliches Gefühl ist, und jetzt zitiere ich Miki aus einer Geschichte im Buch: „Hihihihihi.“ Ich glaube, das ist, womit die Leute vielleicht rauskommen.

FM4: Hast du eine eine Lieblingsepisode?

Barbi Marković: Es wechselt immer, aber im Moment liebe ich „Die Bestie“. Das ist die Geschichte, in der Mini von einer Journalistin interviewt wird. Das habe ich, glaube ich, nach einem Interview geschrieben und da habe ich mich extrem gefreut, über diese Hannibal-Lecter-Mini.

„Näher“, sagt Mini.
Die Journalistin kommt einen Schritt näher, mit einem unguten Gefühl.
„Näher“, sagt Mini wieder.
Die Journalistin streckt die Hand, so weit sie kann, aber sie macht keinen weiteren Schritt.
„Ich bin kurzsichtig“, sagt Mini, „kommen Sie näher. So ist es gut.“ Als die Journalistin ihr den Ausweis fast bis an die Nase hält, lächelt Mini: „Freie Mitarbeiterin, ach so. Gut, dass Sie verheiratet sind."
Die Journalistin zeiht ihre Ringhand weg und unterdrückt ihre Wut, dann versucht sie die Kontrolle ein wenig zu übernehmen.

FM4: Ich habe die Szene gelesen, mit unserem Interview im Hinterkopf, und dachte mir schon, puh, okay...

Barbi Marković lacht.

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