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Ausschnitt aus Kolumne von Sunak und Meloni

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Die Menschlichkeit als „Luxus“ - Willkommen im neuen Faschismus

Die britischen Konservativen hielten diese Woche ihren Parteitag in Manchester ab. Und ich komme angesichts des dort Gesagten nicht mehr um das große F-Wort herum.

Von Robert Rotifer

Dies, sagte Penny Mordaunt, von Regierungsberuf Leader of the House of Commons, sei „der Wendepunkt“, und sie, eine Tochter der Hafenstadt Portsmouth, nützte ihre Zeit hinter dem Redner:innenpult, um zurückzublicken. Auf eine ihrer „ersten Kindheitserinnerungen“, als sie an einer der Hafenmauern gestanden und zugesehen habe, wie das Kriegsschiff HMS Hermes mit einer Einsatzgruppe an Bord in Richtung der Falklandinseln auslief. „Und ich stand an jenem Tag da, erfüllt von Stolz.“ Sie habe gewusst, dass einige der Männer auf diesem Schiff „nicht zurückkehren“ würden und das sei „tief berührend“ gewesen. „Es berührt mich immer noch, daran zu denken. Ihr seht: Dies war der Moment, wo ich begriff, dass Mut infektiös ist. Ihr seht: Das ist, wofür die konservative Partei steht. Das ist, wofür unsere Nation steht.“

Die österreichischen Fernsehzuseher:innen kennen Penny Mordaunt. Das ist die Frau, die vor fünf Monaten bei der Krönung von King Charles so schön feierlich das zeremonielle Schwert vor sich hertrug. Ich erinnere mich, wie damals auf Twitter einige ihren Anblick auffällig aufregend fanden.

Hier war sie also wieder, beschwor Thatcher, Churchill und „die Freiheit, unsere Straße zu benützen, ohne dass Protestierer:innen oder Politiker:innen einen daran hindern.“ (letzteres eine Anspielung auf Londons Abgasgebührzone ULEZ, ich hab darüber geschrieben bzw. vom Autoverkehr befreite Low Traffic Neighbourhoods).

„Steht auf und kämpft!“, rief sie den anderen in der Halle versammelten, bedrohten Autofahrer:innen und sonstigen Kriegsveteran:innen zu, „für die Freiheiten, die wir errungen haben gegen den Sozialismus, ob er nun aus Samt gemacht ist oder aus Eisen. Schöpft Mut und Überzeugung, denn wenn ihr das tut, dann bewegt ihr unsere Landsmänner, unsere Gemeinden und Kapital aller Arten für unsere Sache. Steht auf und kämpft! Denn wenn ihr aufsteht und kämpft, dann steht die Person neben euch auf und kämpft. Und wenn unsere Partei aufsteht und kämpft, dann steht die Nation auf und kämpft. Sie stehen auf und kämpfen für die Dinge, von denen der Fortschritt der Menschheit abhängt. Freiheit. Das ist, was Konservative tun. Das ist, was diese Nation tut. Habt Mut. Bringt Hoffnung.“ Sie hob ihre Hände. „Steht auf und kämpft! Steht auf und kämpft!“ Eine Pause. „Danke, Konferenz.“ Und Applaus.

Ich sah Ausschnitte dieser Rede, die Penny Mordaunt beim konservativen Parteitag in Manchester diese Woche hielt, in diversen sozialen Medien, während ich gerade auf Konzertreise in Österreich war, und von der Ferne her hatte das alles einfach was Kurioses an sich. Man konnte vergessen, dass die Frau, die diese gleichermaßen aufwiegelnde wie eigentümlich hohl klingende Schlachtrede hielt, eine nicht ganz unwichtige Rolle in der Regierung des Landes spielt, wo ich wohne.

Freitagfrüh, an meinem ersten Morgen zurück zu Hause, hatte mich dann das weniger lustige Gefühl der Realität wieder eingeholt bzw. die beliebte alte Frage meiner Jugend, wie es wohl aussehen würde, wenn dereinst der Faschismus wiederkehrt. Antwort: Man wird ihm eine Kolumne in einer britischen Tageszeitung mit altehrwürdigem Namen geben und so tun, als sei er die pragmatische Stimme der Vernunft.

Kolumne von Sunak und Melone

Robert Rotifer

In der Times, deren Paywall mich dazu zwingt, sie analog auf Papier zu kaufen, hatte unser Premier Rishi Sunak nämlich gemeinsam mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Kolumne veröffentlicht, zur Feier ihres Schulterschlusses gegen „illegale Migration“ beim Treffen der sogenannten European Political Community in Spanien. Unter der Überschrift „Wir müssen uns gemeinsam den Schmugglern entgegenstellen“ schrieben die beiden darin: „Wir sind stolz, dass Italien und das UK in diesem Thema gemeinsam führend sind, denn in diesem und vielen anderen Bereichen sind unsere Perspektive und Ziele dieselben. Tatsächlich sind wir heute zwei der engsten Freund:innen in Europa.“

Das klang ganz bewusst nach mehr als bloß einer Zweckgemeinschaft zwischen dem Parteichef der Conservatives und der Chefin der neo- oder postfaschistischen Fratelli d’Italia. Hier demonstrierten zwei Gleichgesinnte, der eine ein leidenschaftlicher Brexiteer, die andere die flammend nationalistische Euroskeptikerin, nach außen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, und eines ihrer vielen geteilten Ziele und Perspektiven ist dabei die Umfunktionierung der Krise globaler Fluchtbewegungen aus verschiedenen dringlichen Ursachen zu innenpolitischem Kapital.

In Großbritannien, wo ich mich zugegeben weit besser auskenne als in Italien, funktioniert das etwa so, dass man einerseits rechtlich und institutionell verhindert, dass Fliehende auf legalem Weg ins Land kommen bzw. außerhalb des Landes um Asyl ansuchen können, und anderseits Panik vor jenen verbreitet, die dies daraufhin ohne Erlaubnis auf dem Seeweg versuchen (ich schrieb über Sunaks Lieblings-Slogan „Stop the boats“ schon diesen März).

Es ist ein zynisches, aber wirksames Spiel mit gewissen Nuancen. Denn Meloni/Sunaks Kolumne las sich keineswegs nach fremdenfeindlicher Hetze, ganz im Gegenteil: „Gemeinsam suchen das UK und Italien ernsthafte, langfristige Lösungen für die größten globalen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen“, resümierten sie staatstragend. „Deshalb werden wir den Brennpunkt auf illegale Migration richten und deshalb sind wir entschlossen zu tun, was immer nötig ist, um die kriminellen Gangs zu stoppen. Um diese moralische und humanitäre Krise ein für alle Mal zu beenden und Legalität in der Migration wiederherzustellen.“

Einmal abgesehen davon, dass das Wort „illegal“ im Fall legitimer Suche nach Asyl im Sinn der UN-Flüchtlingskonvention irreführend falsch gebraucht ist (92 Prozent der zwischen 2018 und März 2023 per Boot im UK angekommenen Menschen stellten Asylanträge, davon wurden 86 Prozent anerkannt), klingt der letzte Satz ja beinahe so, als wäre man bereit, das Einzige zu tun, was das Geschäftsmodell Schlepperei tatsächlich beenden würde: nämlich die Öffnung legaler und schneller Routen zu einem Asylantrag noch vor der Einreise (wie es Großbritannien in den Fällen Ukraine und Hong Kong und nur sehr begrenzt im Fall Afghanistan zustande brachte). Aber so war das natürlich nicht gemeint.

Die im Gegensatz zur Daily Mail, dem Express oder dem Telegraph gemäßigte Tory-Wähler:innen ansprechende, auf ihren moderaten Ruf bedachte Times versah ihren Bericht von diesem „diplomatischen Sieg“ Sunaks gegenüber der EU, die sich einer Flüchtlingspolitik im „UK-Stil“ annähere, aber auch mit einer taktischen Distanzierung von Sunaks Rechtsaußen-Innenministerin Suella Braverman. Jene hatte auf dem konservativen Parteitag die „nie dagewesene Massenmigration“ als eine „der mächtigsten Kräfte“ bezeichnet, die unsere Welt „neu formen“ würden: „Der Wind der Veränderung, der meine eigenen Eltern während des 20. Jahrhunderts quer über den Globus trug, war ein bloßer Windstoß verglichen mit dem Hurrikan, der im Kommen ist.“

Zur Erklärung: Die „winds of change“, von denen Braverman da sprach, sind natürlich nicht die aus dem Scorpions-Song von 1990, sondern die aus der Rede des britischen Premiers Harold Macmillan in Südafrika drei Jahrzehnte davor angesichts der damals immer unaufhaltsamer werdenden Emanzipationsbewegungen in Großbritanniens Kolonien.

Bravermans Eltern hatten tatsächlich, wie so viele im Dienst des britischen Kolonialreichs beschäftigte Menschen indischen Ursprungs (so auch Rishi Sunaks Eltern), nach Erlangung der Unabhängigkeit der Kolonien (in ihrem Fall Mauritius und Kenya) im Mutterland des Empire Sicherheit gesucht und gefunden.

Und Braverman sprach dieses Motiv zur Migration in ihrer Parteitagsrede auch offen an: Der Traum, von einem ärmeren in ein reicheres Land zu ziehen, sei Ausdruck des Rechts, nach einem besseren Leben zu streben, als solches „einer der Ecksteine unserer Philosophie als Konservative, und in der Tat, ohne diesen Traum würde ich heute nicht vor Ihnen stehen“. Aber Konservative seien auch praktisch und realistisch, fuhr Braverman fort, und es gäbe einfach weit mehr Menschen aus ärmeren Ländern, als Großbritannien aufnehmen könne, „selbst wenn wir unsere Landschaft zubetonieren und unsere Städte in eine riesige Baustelle verwandeln und Wolkenkratzer von Eastbourne bis Elgin und von Hull bis Holyhead errichten würden, wäre es immer noch nicht genug“.

Mit dieser Schreckensvision eines auf britischem Boden zu Beton erstarrten, turmhohen Hurrikans von Einwander:innen in den Köpfen ihres Publikums, kam Braverman zur Konsequenz, dem nötigen harten Durchgreifen zum Anhalten dieser Bedrohung. Man sei, „lassen Sie uns ehrlich sein, viel zu zimperlich darüber gewesen, als rassistisch verleumdet zu werden, um ordentlich Ordnung in das Chaos zu bringen. Aber unter Rishi Sunaks Führerschaft ändern sich die Dinge. We’re raising our game.

Und so schwang sie sich auf zu einem Frontalangriff auf den von der Erfahrung von Massenmord, Verfolgung, Vertreibung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Holocaust geprägten Nachkriegskonsens: „Unser Land ist verstrickt in die Maschen eines dichten Netzes internationaler Regeln, die für eine andere Ära geschaffen wurden“ (sie meint die Europäische Menschenrechtskonvention, aus der sie Großbritannien ausgliedern will). Die letzte Labour-Regierung habe das mit ihrem „fehlbenannten“ Menschenrechtsgesetz noch verschlimmert. „Es überrascht mich, dass sie es nicht das Kriminellenrechtsgesetz genannt haben.“

Und so stellte sie, nebst der Forderung, dass ausländische Kriminelle mit dem Stiefel aus dem Land getreten würden (wörtlich „booted out of Britain“) eine vermeintliche Dichotomie von „criminal justice“ und „social justice“ her. Letztere, die soziale Gerechtigkeit, sei, und auch da müsse man wieder „ehrlich“ sein, ein „luxury belief“, eine Luxusüberzeugung.

„Was meine ich damit? Unsere politisch korrekten Kritiker:innen haben Geld. Sie haben Status. Sie haben laute Stimmen. Sie haben den Luxus, verführerische, aber verantwortungslose Ideen zu verbreiten, in der Sicherheit ihres Wissens, dass ihr Privileg sie von jedem Kollateralschaden isolieren wird.“

Hier verließ Braverman nun eindeutig das Fahrwasser der Realität (die Sunaks sind eine der reichsten Familien Großbritanniens, sie selbst hat die laute Stimme einer Innenministerin, ihr Mann ist Manager bei der britischen Dependance von Mercedes Benz), aber auch jenes des britischen Konservatismus, der traditionell Vermögen als Beleg menschlicher Größe und Bedeutung ehrt: „Die Luxusüberzeugungsbrigade sitzt in ihren Elfenbeintürmen und erzählt gewöhnlichen Menschen, dass sie moralisch mangelhaft sind, weil sie es wagen, über die Folgen illegaler Migration, der Netto-Null oder gewohnheitsmäßiger Verbrecher verärgert zu sein.“ Menschen mit Luxusüberzeugungen würden bei der nächsten Wahl Labour zuströmen, „denn auf diese Art bekommen sie die Gesellschaft, die sie wollen. Sie wollen offene Grenzen. Die Migrant:innen, die hereinkommen, werden ihnen nicht ihre Jobs nehmen. Es ist tatsächlich wahrscheinlicher, dass sie ihre Rasen mähen und ihre Häuser putzen. Sie lieben sanfte Rechtsprechung. Die Kriminellen, die von solch demonstrativem Mitgefühl profitieren, werden nicht ihre Straßen terrorisieren oder ihre Kinder verführen. Sie sind verzweifelt darauf aus, den Brexit umzukehren. Sie halten Patriotismus für peinlich und haben keine Verwendung für einen britischen Pass, außer dass er sie zu ihren Zweithäusern in der Toskana oder der Dordogne bringt. Für diese Leute habe ich eine simple Botschaft: Ihr habt ein Recht auf eure Luxusüberzeugungen, aber das britische Volk wird nicht mehr für sie bezahlen.“

Leser:innen aus Kontinentaleuropa oder den USA werden diese Rhetorik, die eine allmächtige liberale Elite imaginiert und sich vorgeblich auf die Seite der sozialen Verlierer:innen des neoliberalen Zeitalters stellt, gleichzeitig aber soziale Gerechtigkeit zum Luxus für verweichlichte Luschen erklärt, sofort wiedererkennen. Aber sie klingt doch ein bisschen kleinbürgerlich/proletarischer, als sie einem Boris Johnson (oder auch einem Rishi Sunak) je über die Lippen gekommen wäre. Und hier bin ich bei dem F-Wort, das ich oben schon ganz bewusst und ohne Leichtsinn gebraucht hatte: Ja, sie klingt auch noch ein gutes Stück faschistischer.

Denn ich hatte vorhin durchaus nicht nur die italienische Seite dieses Schulterschlusses gemeint, als ich von der salonfähigen Wiederkehr des Faschismus sprach, sondern auch die britische.

Erst diesen Mai hatte ich von der stramm rechten Londoner Konferenz zum Thema „nationaler Konservatismus“ berichtet. Auch dort hatte Braverman bereits in denselben Tönen gesprochen.

In der Zwischenzeit ist diese „nationalkonservative“ Agenda in der Mitte der Tory Party angekommen. Ihre Fremdenfeindlichkeit wird begleitet von offensiv illiberalen sexuellen Kulturkriegsparolen des Premierministers („Wir sollten uns nicht den Glauben aufdrängen lassen, dass Menschen jedes Geschlecht haben können, das sie wollen“, sagte Sunak in seiner Rede. „Das können sie nicht. Ein Mann ist ein Mann, und eine Frau ist eine Frau, das sagt einfach der Hausverstand.“).

Dazu kommt noch die „Das Boot ist leider voll“-Logik offensichtlich als bloßen Deckmantel des Rassismus enthüllende, gleichzeitige Forderung nach mehr einheimischer Fruchtbarkeit als quasi-völkische Alternative zur Einwanderung (Der Immigrations-Staatssekretär Robert Jenrick erklärte beim Parteitag, britische Familien sollten mehr Kinder haben, um die Pflege der älteren Bevölkerung zu sichern).

Und ein Verkehrsminister, Mark Harper, der vom Parteitagspult aus paranoide Online-Verschwörungstheorien über Verkehrsberuhigungsmaßnahmen als „sinistres“ Überwachungskomplott linker Stadtgemeinden verbreitet.

Es ist dabei noch nicht ganz klar, welche Rolle eine Suella Braverman in diesem historisch allzu vertrauten Arrangement der Demagogien spielt. Ob als Sunaks sprichwörtlicher Kettenhund mit der Lizenz, lauter zu bellen und ein bisschen böser die Zähne zu fletschen als er? Oder ob sie bzw. Penny Mordaunt sich als seine mögliche Nachfolgerin an der Spitze einer in der kommenden Opposition weiter radikalisierten Partei sieht (Labour führt in den Umfragen haushoch, die nächste Wahl muss und wird innerhalb eines Jahres stattfinden, vermutlich früher)?

Die zunehmend als Archiv der Internet-Vergangenheit fungierende, alternde Plattform Facebook hat mich neulich jedenfalls an eine Titelseite des Londoner Evening Standard aus dem Jahr 2015 erinnert: „KICK OUT THE BOGUS REFUGEES SAYS HOME SECRETARY.“

Die Innenministerin, die damals – noch acht Monate vor der Brexit-Abstimmung - mit dem Stiefel „betrügerische Flüchtlinge“ aus dem Land treten wollte, war eine gewisse Theresa May, heute gern rückblickend (irrigerweise) als die letzte Pragmatikerin ihrer konservativen Art verklärt.

Schlagzeile des Evening Standard 2015

Robert Rotifer

Keine Frage, die Zeichen waren damals schon da und klar erkennbar. Sie sind es auch jetzt, allerdings in einer seither merklich veränderten globalen politischen Landschaft. Und sie weisen den Weg in Richtung einer rechtsextrem, ja, man muss es offen benennen, einer faschistisch regierten Welt.

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