FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szene aus Leave The World Behind

Netflix

Beklemmendes Endzeit-Kammerspiel: „Leave the World Behind"

Julia Roberts, Mahershala Ali und Ethan Hawke kämpfen mit ihren Filmfamilien ums urbane Überleben: Im Streaming-Drama von „Mr. Robot“ Schöpfer Sam Esmail geht es sarkastisch, aufwühlend und realistisch zu.

Von Christian Fuchs

Wie oft die Welt auf der Leinwand schon untergegangen ist, lässt sich schwer schätzen. Heranrasende Kometen, Umweltkatastrophen, amoklaufende künstliche Intelligenzen führten die Menschheit bereits in unzähligen Filmen an einen Endpunkt. Von Zombie-Viren und dem Klassiker Atomkrieg ganz zu schweigen. Im Grunde hatten sich positive Zukunftsvisionen schon Anfang der 70er Jahre im Kino erledigt, im damaligen Angesicht von Öko-Krise und Terrorismus.

Heute setzt auch Netflix gerne auf die Apokalypse, besonders um die Weihnachtszeit herum. Glücklicherweise nicht in Form digitaler Zerstörungs-Orgien à la Roland Emmerich, die wirklich niemand mehr braucht. Der Streaming-Dienst, der mittlerweile oft einem trashigen Kabelfernseh-Kanal gleicht, packt da seine ambitionierten Prestigefilme aus.

In Adam McKays bitterböser Klimawandel-Warnung „Don’t Look Up“, veröffentlicht 2021, zerstört ein Asteroid die Erde, in „White Noise“, aus dem Vorjahr, konfrontiert ein Chemieunfall eine Familie mit Todesängsten. Noah Baumbach und Greta Gerwig („Barbie“) gelingt ein surreales Meisterwerk rund um das Thema Trauma-Bewältigung. Beide Filme waren gespickt mit Stars, das gilt jetzt auch für „Leave the World Behind“, ein Apokalypse-Kammerspiel der ungewöhnlichen Weise.

Szene aus Leave The World Behind

Netflix

Fast greifbare Atmosphäre der Bedrohung

Julia Roberts und Ethan Hawke überzeugen als gehetztes New Yorker Ehepaar, das sich mit beiden Kindern ein entspannendes Wochenende gönnen möchte. Die Sandfords mieten sich dazu online ein elegantes Haus in Long Island. Dass es plötzlich keine Internet-Verbindung gibt, stört die urbanen Faulenzer scheinbar wenig. Erst als der vermeintliche Besitzer des Hauses mit seiner Tochter plötzlich vor der Tür steht, kippt die Stimmung.

Mr. Scott und seine Tochter, perfekt gespielt von Mahershala Ali und Myha’la Herrold, begehren Einlass. In Manhattan sei nach einer Cyberattacke die Stadt lahmgelegt, das eigene Haus wohl der beste Zufluchtsort. Und dort verharrt der Film bewusst auch den Großteil seiner fast zweieinhalb Stunden Laufzeit.

Langweilig wird die Geschichte trotzdem nicht, denn bald fightet jede(r) mit jedem in der Luxus-Unterkunft. Julia Roberts als misanthrope Geschäftsfrau misstraut den afroamerikanischen Hausbesitzern, die GenX spöttelt über die GenZ und umgekehrt, ein Hauch von Rassismus liegt in der Luft, während sich draußen eine fast greifbare Atmosphäre der Bedrohung aufbaut.

Szene aus Leave The World Behind

Netflix

Gruseliges Gefühl der Unsicherheit

Spielfilm-Debütant Sam Esmail, bekannt durch die vom kreierte Verschwörungsserie „Mr. Robot“, sitzt bei der Verfilmung des Romanthrillers „Leave the World Behind“ souverän im Regiestuhl. Wo das Buch angeblich zur Gänze in der schicken Villa angesiedelt ist, schockt er zwischendurch mit verstörenden Bildern aus der Umgebung.

Ein Öltanker fährt gespenstisch auf einen Sandstrand zu, mysteriöse schrille Töne quälen die Gehörgänge, Zähne beginnen zu wackeln, Flugzeuge stürzen vom Himmel, Flugblätter mit Hassbotschaften werden abgeworfen.

Steckt ein Bio-Angriff, eine Terror-Attacke und/oder ein Team von Hackern dahinter? Der Film lässt alles bewusst im Dunkeln. Unweigerlich werden Assoziationen zum ersten Lockdown wach, diesem gruseligen Gefühl der Unsicherheit, damals funktionierten aber zumindest das Internet und die üblichen News-Kanäle. Die Schicksalsgemeinschaft in dem abgelegenen Haus rätselt und verfällt allmählich in Panik.

Szene aus Leave The World Behind

Netflix

Auftritt: Barack und Michelle Obama

Kollegin Pia Reiser kritisiert im neuen FM4 Film Podcast sinngemäß dieses zugegeben gestelzt wirkende Planspiel. Und ich kann ihr nicht einmal etwas entgegensetzen. Natürlich hat das Geschehen in „Leave the World Behind“, die Art, wie sich hier liberale Menschen Wortduelle liefern, etwas Theatralisches.

Im Grunde streiten hier Bürger:innen, die einer elitären Schicht angehören, über die Zukunft Amerikas, wie auf einer Showbühne. Dass der gesellschaftliche Diskus völlig gespalten ist, kann man nicht nur in den Staaten sehen, rechtsradikale Politiker:innen profitieren weltweit davon. Profilierte Stimmen warnen vor einem US-Bürgerkriegs-Szenario, sollte Mr. Trump die Wahlen gewinnen – und erst recht im Falle eines Verlusts.

Szene aus Leave The World Behind

Netflix

Diese gefährliche Aufgeladenheit spürt man in Sam Esmails Film, sie verleiht ihm allerdings, bei aller Konstruiertheit, einen Touch eisiger Realitätsnähe. Und dann ist da noch ein anderer Faktor, der die Beklemmung für mich steigerte: Barack und Michelle Obama waren als Produzent:innen stark involviert, einiges an Input kam von ihnen, sagt der Regisseur. Dass ein ehemaliger US-Präsident wahrscheinlich weiß wie so ein Weltuntergang tatsächlich abläuft, lässt die Gänsehaut nach dem Film noch länger nicht abklingen.

mehr Film:

Aktuell: