„Kleine Probleme“, große Unterhaltung von Nele Pollatschek
Von Zita Bereuter
Silvester ist ja für viele der Tag, an dem sie etwas endlich noch fertig machen wollen. So auch für Lars, den Ich-Erzähler in „Kleine Probleme“ der Journalistin und Autorin Nele Pollatschek.
Es war Freitag, der 31. Dezember, und ich musste noch was erledigen. Also alles.
Galiani Berlin
Lars ist Schriftsteller. Also vielmehr wäre er gern Schriftsteller. Seinen fixen Job beim Fernsehen hat er vor Jahren hingeschmissen, um sein Lebenswerk, „Das beste Buch der Welt“, zu schreiben. Aber bis er damit anfangen kann, hat er noch andere Dinge zu tun.
„Ich musste oft noch was erledigen, meistens morgen, manchmal aber auch später oder nächste Woche oder demnächst. Das Problem ist, dass es meistens nicht später war, sondern eben jetzt, und jetzt rauchte ich noch eine Zigarette, las noch einen Artikel, starrte auf mein Telefon, wischte dem Weltuntergang hinterher, schaute nur dieses eine Video noch zu Ende, ging nochmal eben aufs Klo, machte schnell noch einen Kaffee, bevor ich dann gleich anfing, also bald, also nachher, also vielleicht doch besser morgen, es war ja auch schon spät.“
Lars ist eine sensible Mischung aus Träumer und Chaot, mit einem Hang zur Realitätsverweigerung und Selbstüberschätzung. Dinge zu erledigen, zählt nicht zu den Stärken des 49-Jährigen.
Wenn es hart auf hart kommt, kann man alles schaffen, aber meistens kommt es weich auf weich, und da bleibt man besser liegen.
Während seine Frau Johanna und seine zwei bald erwachsenen Kinder Lina und Yannis gut organisiert sind, scheitert Lars an den kleinsten Alltagsdingen, sieht darin aber kein Problem. „Johanna sagt, dass sie beim Putzen immer die besten Ideen hat, ich beim Fernsehen, deswegen teilen wir uns das meistens auf.“
An diesem 31. Dezember brennt der Hut. Die ganze Familie ist unterwegs und Lars will die Zeit allein nutzen und Dinge erledigen, die er schon ewig aufgeschoben hat, um das neue Jahr als organisierter Mensch zu beginnen. Blöderweise ist irgendwann der 31. Dezember und es wird knapp. Also schreibt er sich eine To-do-Liste:
„1. Antworten
2. Linas Bett
3. Putzen
4. Steuer, Post usw.
5. Geschenke einpacken
6. Vater anrufen
7. Nudelsalat
8. Feuerwerk
9. Regenrinne
10. Lebenswerk
11. Johanna
12. Mit dem Rauchen aufhören
13. Es gut machen“
Was folgt, sind einige Stunden im Leben eines Königs im Prokrastinieren. Es sind fantastische Stunden, denn wenn Lars auch kein Macher ist, er verfügt über einen feinen Sprachwitz und trockenen Humor. Dank der vielen Youtube-Videos, die er stundenlang angeschaut hat, ist er extrem praktisch, zumindest theoretisch. Dazu die Ambitionen von Homer Simpson und der Ordnungssinn von Dave.
Er ist ein Mann der Sprache und so ärgert er sich in seinem Tatendrang über schlechte Gebrauchsanweisungen des schwedischen Möbelhändlers. „Deswegen musste ich auf Bilder starren, anstatt es mir einmal kurz erklären zu lassen, weil es irgendwelche koreanischen Technokraten billiger kommt, mich zu quälen, als eine ordentliche Anleitung zu machen, es ist zum Heulen oder zum Fluchen, Fluchen ist Heulen mit Sprache.“
Urban Zintel
Nele Pollatschek hat einen grandiosen, tragikomischen Roman geschrieben, der mit seinen gekonnten Übertreibungen und Zuspitzungen möglicherweise näher an der Realität ist, als vielen lieb ist. Ein Roman, der fantastisch unterhält und dabei den scharfen Blick auf die Gegenwart nicht verliert. Wer über Lars nicht lachen kann, hat noch nie schnell was erledigen wollen. „Kleine Probleme“ ist große Unterhaltung. Man sollte den Roman lesen. Möglichst sofort.
Publiziert am 30.12.2023