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Felicitas Prokopetz: Wir sitzen im Dickicht und weinen

© Tina Herzl

Buch

Felicitas Prokopetz - „Wir sitzen im Dickicht und weinen“

Um Mutterschaft dreht sich der beeindruckende Debütroman von Felicitas Prokopetz. Schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen leicht und licht über mehrere Generationen erzählt in „Wir sitzen im Dickicht und weinen“.

Von Zita Bereuter

„Schmerzgrenze, ein Spiel für Mutter und Tochter mit einfachen Regeln. Die Mutter formuliert ein Problem, von dem sie nicht möchte, dass es gelöst wird. Die Tochter muss versuchen es zu lösen.
Wenn die Mutter weinen kann, weil die Tochter sie schlecht behandelt, ist das Ziel des Spieles erreicht. Oft hat Mama Lust auf eine zweite Runde.“

Das Verhältnis zur Mutter ist nicht immer einfach. Autorin Felizitas Prokopetz erzählt im Interview von einer „komischen Idealisierung von Mutterschaft“. Da gibt es einerseits „die heilige Mutter, von der man sich nie lossagen darf. Auf der anderen Seite hat man die ganze Psychoanalyse, die sagt: Achtung! Achtung vor der Mutter!“ In diesem Spannungsfeld liegt ihr Debütroman „Wir sitzen im Dickicht und weinen“. Die Protagonistin Valerie hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter Christina. Schon auf den ersten Seiten erfährt Valerie, dass Christina Krebs hat.

Felicitas Prokopetz: Wir sitzen im Dickicht und weinen

Eichborn Verlag

Verschiedene Biographien und deren Schnittstellen führen zu einem farbenfrohen Dickicht. „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ von Felicitas Prokopetz ist im Eichborn Verlag erschienen.

Ich verstehe, dass eine Krebsdiagnose keinen Aufschub duldet, stelle mir vor, wie schwer die vergangenen Stunden für Mama waren, weiß, dass sie jemanden an ihrer Seite braucht.
Warum nur, denkt es in mir, muss ich dieser Jemand sein.
„Ich lebe so gern“, sagt Mama in die Stille.
Die Tränen, die ich den ganzen Tag zurückgehalten habe, drängen nach draußen. Ich greife nach Mamas Hand und lege sie zwischen meine Handflächen.
Wir sitzen im Dickicht und weinen.

Im Dickicht

Es ist ein Dickicht von Gefühlen, Vorwürfen und Erinnerungen, in dem Mutter und Tochter feststecken. Ein Dickicht, dessen Wurzeln bis in die vorigen Generationen reichen. Ein Dickicht, in das Felicitas Prokopetz im Laufe des Romans Licht bringt. Denn leicht und licht erzählt sie von durchaus schweren und finsteren Familienmomenten.

Im Mittelpunkt steht Valerie, eine alleinerziehende Journalistin, Mitte 30, die rund um die Uhr für ihren 16- jährigen Sohn Tobi da ist. Tobi will für ein Jahr in England zu Schule gehen. „Weg von mir.“ ist Valeries erster Gedanke. Sie weiß gar nicht, wie sie damit umgehen soll, schließlich dreht sich ihr Leben nur um Tobi.
„Die letzten sechzehn Jahre war ich so damit beschäftigt, unsere Welt immer wieder neu zu erschaffen, dass ich nicht sehen konnte, was am Ende dieses Schaffensprozesses stehen wird: Ein Leben, in dem ich mich als mütterliche Erschafferin abgeschafft haben werde.“

Gerade am Beginn der Mutterschaft würden viele Mütter mit ihrer Rolle „struggeln“, erklärt Felicitas Prokopetz. Spannend findet sie aber die „Pubertät und Abnabelung“. „Dann stellen die Mütter auch wieder fest, dass das ein bissel alles eine Mogelpackung ist mit der Mutterschaft, so wie das in unserer Gesellschaft geregelt ist. Weil da plötzlich dieser Mensch, der so lange der Lebensmittelpunkt war, dann irgendwann dahin ist. Und da kommt ja auch niemand und sagt: ‚Herzlichen Glückwunsch! Das haben Sie ganz toll gemacht.‘ Sondern im Gegenteil, man hat ja eigentlich in der Regel ganz viele Einbußen in Kauf nehmen müssen. Finanziell, karrieretechnisch, selbstverwirklichungstechnisch, einfach auch nur in den eigenen Freiräumen, in der Autonomie, in der Altersvorsorge.“

Felicitas Prokopetz: Wir sitzen im Dickicht und weinen

© Tina Herzl

Felicitas Prokopetz hat Philosophie an der Uni Wien und Sprachkunst an der Angewandten sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Sie arbeitet und lebt als Texterin und Autorin in Wien.

Biographien von mehreren Frauen

Diesen interessanten Moment in einer Beziehung von einer Mutter zu ihrem Kind nahm Felicitas Prokopetz als Ausgangspunkt ihres Debütromans.
Aber schnell mischte sich beim Schreiben auch Valeries Mutter ein. Und bald kamen die Blicke in die Vergangenheit – die Großmütter haben eigene Stimmen erhalten. Und so erfährt man in kurzen Episoden die Biographien von mehreren Frauen. Manche wurden von ihren Müttern nicht gemocht, manche hatten immerhin ein gutes Verhältnis zum Vater, manche scheiterten an den gesellschaftlichen Vorstellungen und den vorgegebenen Rollen. All das erzählt sie weder wertend noch moralisierend.

Ihre Lieblingsfigur ist Christina, Valeries Mutter. „Weil sie so eine sehr widersprüchliche Figur ist. Und das ist irgendwie total interessant, so eine Figur zu schreiben.“ Felicitas Prokopetz wollte auch „eine gewisse Unauflöslichkeit“ in dieser Beziehung zeigen. Denn für sie ist „ein Märchen, dass dann, wenn irgendwann das Leben sich dem Ende zuneigt, plötzlich alles ausgesöhnt wird oder die Schwierigkeiten sich auflösen. Sondern ich glaube, das gibt es ganz schön oft, dass so Eltern-Kind-Beziehungen unauflöslich verstrickt sind und da auch gar nie rauskommen.“

Ein Familienzweig spielt in der Schweiz. (Übrigens mit einigen sehr guten Dialektpassagen, die sie von Natives übersetzen hat lassen.) Denn dort wurde ja etwa das Frauenwahlrecht im letzten Kanton erst 1991 eingeführt. Die Schweiz ist für Felicitas Prokopetz was „die Gleichberechtigung von Frauen betrifft, einfach ein sehr interessanter Ort, um dort ein Frauenschicksal zu verhandeln.“

All das ist gut verknappt und aufgebaut - so wie sie es im Studium der Sprachkunst an der Angewandten gelernt hat. „Ich habe so mit einem riesigen Board gearbeitet, wo ich Kapitel für Kapitel hatte und da immer wieder rumgeschoben hab. Und geschaut hab, fehlt vielleicht auch noch wo was.“ Der Plan ist aufgegangen.
„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist ein beeindruckendes Debüt!

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