„American Fiction“ ist ein zynischer Kommentar auf die Gesetze des Buchmarktes
Wichtig und notwendig soll der Inhalt sein, eine unterrepräsentierte Geschichte eines unterrepräsentierten Schreibers - das verkauft sich. Aber das schreibt der Afroamerikaner Thelonious Ellison, genannt Monk, nicht. Der Schriftsteller stammt aus einer Arztfamilie in Boston, ein intellektueller Anzugträger, der an der Uni Literatur unterrichtet. Sein Agent findet keinen Verlag für sein aktuelles Werk, eine Neuinterpretation von „Die Perser“ von Aischylos. Als Grund nennt der Agent: das Manuskript sei nicht Schwarz genug.
„American Fiction“ ist bei uns nicht in die Kinos gekommen, aber auf Amazon Prime zu streamen.
Ungewöhnlich für den Mainstream
Monk, gespielt von Jeffrey Wright, ist eine für den Mainstreamfilm recht komplexe Persönlichkeit: er ist zynisch, neigt zu Wut und Aktionismus, legt sich etwa mit einem Mitarbeiter in einem Buchladen an, wo er seine eigenen Bücher aus der Ecke der „African-American History“-Abteilung umsortiert. Gleichzeitig im Umgang mit dem plötzlichen Tod seiner Schwester, der fortschreitenden Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter und einer holprigen Liebesgeschichte mit der Nachbarin sehr liebenswert.
„American Fiction“ - auch das ist ungewöhnlich für den Mainstream – hält sich nicht mit Handlungsgeplänkel auf. Monk schreibt die erste Szene eines von Klischees triefenden Schwarzen Romans, in der nächsten Szene ist er mit dem fertigen Manuskript bei seinem Agenten. Der Film traut dem Publikum zu, zu verstehen, dass zwischen der einen und der anderen Szene ein – schlechter – Roman aus dem Ärmel geschüttelt wurde. Monk hat unter Pseudonym geschrieben, sein Agent rät ihm, die Identität eines Schwarzen Gangsters anzunehmen, der sich vor der Polizei verstecken muss.
Orion Releasing LLC
In weiterer Folge exerziert „American Fiction“ durch, was passiert, wenn ein sehr großer Verlag einen Bestseller wittert. Das Buch geht durch die Decke. Die Figuren des schwulen Marketingmanagers und der superslicken Verleger-Managerin treiben dabei ihrerseits spezifische Marktstereotype vor sich her; Monk fühlt sich zwar zusehends unwohl, kann den Hype um seine fake Ghetto-Schriftsteller-Personality aber nicht mehr aufhalten.
Historisch gewordener Stereotyp
In seiner Verhandlung von künstlerischem Risiko versus Marktergebenheit ist „American Fiction“ auf der Höhe eines Personality-verliebten Kapitalismus. In seiner Verhandlung der Schwarzen künstlerischen Stereotype zwar nicht weniger bissig, aber ein bisschen angegraut. Monk sagt, sein Roman handle von „Deadbeat Dads, Rappers and Crack“, weil es das ist, was die Menschen von einem Schwarzen Autor erwarten. In meiner Wahrnehmung sind Versagerväter, Rapper und Crack als Schwarze Klischees 20 Jahre alt. Heute ist das akzeptierte Themenspektrum auch in der marktfähigen Schwarzen Literatur wesentlich breiter, etwa werden in „Such a Fun Age“, „Luster“ oder „Girl, Woman, Other“ (alle drei auf Deutsch übersetzt, alle drei haben Preise gewonnen, alle drei in den letzten fünf Jahren erschienen) Geschlechtsidentität, Rassismus und Sexualität verhandelt.
Insofern hängt „American Fiction“ einem mittlerweile historisch gewordenen Stereotyp nach, handelt in seiner unterhaltsamen Kompaktheit aber trotzdem eine schwindelerregende Vielzahl anderer (Reiz-)Themen ab: Politische Korrektheit und Wokeness, künstlerisches Risiko versus Marktergebenheit, genauso wie Geschwisterkonkurrenz und familiäre Tragödien. Dass am Ende die jahrzehntelang treu gediente Schwarze Haushälterin den glücklichsten Plotausgang bekommt, ist der Gipfel der Ironie von „American Fiction“.
Publiziert am 04.03.2024