FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Autorinnenbild Yande Seck

Nils Heck

Buch

Yandé Seck: „Vieles droht auseinanderzubrechen“

In dieser Geschichte stoßen zwei ungleiche Schwestern aufeinander: Die eine ist eine linke, wütende Studentin und die andere eine Mutter und angehende Psychotherapeutin, die mit dem Lastenrad durch ihr gentrifiziertes Viertel düst. Mit ihrem Debütroman „Weiße Wolken“ zeigt Yandé Seck: Auch heutzutage können Ambivalenz und Konflikte ausgehalten und überwunden werden.

Von Livia Praun

Zazie und Dieo sind Schwestern. Sie haben eine deutsche Mutter, einen senegalesischen Vater und sie leben beide in Frankfurt. Hier hören die Gemeinsamkeiten der zwei eigentlich auch schon auf. Zazie kann wenig mit dem bürgerlichen Leben ihrer älteren Schwester anfangen, das sie mit ihrem Ehemann und Bitcoin-Fanatiker Simon aufgebaut hat. Dieo hingegen ist genervt von Zazies kritischem Blick auf die Welt. So denkt sie sich über ihre Schwester: „Es war, als wäre in ihr ein Scanner eingebaut, der jeden Satz aufnahm und durch ein Diskriminierungsprüfsystem laufen ließ.“

Ambivalenz kann ausgehalten werden

Da der Roman abwechselnd aus der Perspektive von Zazie, Dieo und Simon erzählt wird, lernen wir auch Zazies Blickwinkel gut kennen. Ihr Freund Max mag zwar gesellschaftspolitisch engagiert und lieb sein, aber „im Endeffekt ist er auch nur ein weißer Mann“. Ihr Schwager Simon hatte einmal Ideale, ist jetzt aber auch nur ein „Techfanatiker mit Geheimratsecken“ geworden. Bei Familientreffen hält sie die unreflektierten Bemerkungen von Verwandten kaum aus und hält sich mit ihrem Frust auch nicht zurück - auch nicht an Weihnachten.

yande seck portrait

Aaron Leithäuser

Yandé Seck wurde 1986 in Heidelberg geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Frankfurt am Main und arbeitet als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche.

Unter anderem deshalb geraten Zazie, Simon und Dieo mehrmals aneinander. Und trotz aller Unterschiede und Konflikte merkt man ihnen stets eine gewisse Verbundenheit, eine gewisse Nähe zueinander an. Der Autorin Yandé Seck war es wichtig, diese Ambivalenz zu zeigen, die intimen, familiären Beziehungen oft zu Grunde liegt, wie sie im Interview mit FM4 sagt:

„In der Zeit, in der wir jetzt leben, droht ganz vieles auseinanderzubrechen. Ich glaube, dass wir aus den Beziehungen der drei zueinander lernen können, dass Konflikte und Disparitäten nicht bedeuten müssen, dass etwas auseinanderbricht.“

In „Weiße Wolken“ werden viele Themen angeschnitten, die aktuell in jungen akademischen Bubbles verhandelt werden. Dieo und Zazie diskutieren etwa darüber, wie man mit Alltagsrassismus umgehen und darauf reagieren soll. Bei Dieo und ihrem Mann Simon sind die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und Mental Load ein großes Thema, während Zazie viel mit ihrer Identität hadert: „Wo sah sie sich in zehn Jahren, wenn sie siebenunddreißig war? Würde sie noch im JUZ (Jugendzentrum, Anm.) arbeiten (...)? Oder würde sie im Wissenschaftsbetrieb arbeiten? An der Uni? Hätte sie drei Kinder mit einem senegalesischen Aktivisten? Oder würde sie in einem Reihenhaus in Hanau leben?“

Sehnsucht nach Gemeinschaft

Yandé Seck ist Psychotherapeutin und lehrt an der Universität, was man ihrem Schreiben auch anmerkt. Sie nähert sich den Themen Identität, Zugehörigkeit und Gemeinschaft mit viel Feingefühl und bricht wissenschaftliche, recht abstrakte Überlegungen gut herunter.

Vor allem aber schafft sie es, ihren Protagonist:innen Tiefe und Komplexität zu verleihen. Es gibt kein simples Richtig oder Falsch, kein eindeutiges Gut oder Böse. Zazie ist zwar impulsiv und leicht genervt von den Leuten, die ihr nahe sind, trotzdem sehnt sie sich nach diesen Beziehungen, investiert weiter in sie, akzeptiert die Zuneigung und reproduziert sie.

Cover buch yande seck

Kiepenheuer & Witsch

„Weiße Wolken“ ist der Debütroman von Yandé Seck und ist 2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Letztlich hält sie die Ambivalenz in ihren Beziehungen aus, wohl auch, weil sie sich nach Gemeinschaft sehnt. Ein Thema, dass generell einen recht großen Stellenwert in „Weiße Wolken“ einnimmt. „Ich glaube, das ist nochmal bedeutsamer geworden, seitdem wir so wahnsinnig individualisiert und individualistisch leben“, sagt Yandé Seck.

Sie erzählt von Verwandten aus dem Senegal, die auf eine Hochzeit schnell mal mehrere hundert Leute einladen müssen: „Die sehnen sich nach Individualität.“ Etwas eigenständiger zu leben, hat „natürlich ganz große Vorzüge“, sagt sie, „aber wir geben damit auch was auf“. Häufig ist es nämlich die Familie, die einen in schwierigen Lebenssituationen auffängt und aushilft:

„Es gibt unglaublich viele Familien, wo die Verbundenheit zueinander kaum mehr Bedeutung hat. Und dann merke ich: Kinder betreuen, durch das Leben zu kommen mit allen Gefühlen und Krisen, das ist echt sehr viel leichter, wenn ich nicht alleine bin.“

Yandé Seck gelingt es, diese Überlegungen und Diskussionen in vielen Facetten abzubilden. Die Protagonist:innen vertreten oft verschiedene Meinungen und streiten sich auch. Schließlich sprechen sie aber miteinander auf Augenhöhe, und die Dialoge sind authentisch und klug.

Generell schlägt Yandé Seck in „Weiße Wolken“ optimistische und versöhnliche Töne an. Die Geschichte von Zazie, Dieo und Simon zeigt: Die Ambivalenzen und Konflikte der heutigen Zeit können überwunden werden - eine schöne und höchst aktuelle Message.

mehr Buch:

Aktuell: