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Die Schrecken der Normalität

Der Brite Ben Wheatley zählt zu den spannendsten Regisseuren der Gegenwart, wie er auch mit seinem Thriller-Experiment „Free Fire“ beweist.

von Christian Fuchs

Vielleicht ist es bloß mein eingeschränkter Blickwinkel, aber manchmal kommt mir vor, hinter dem plakativeren Gegenwartskino stehen nur mehr Filmnerds. Auf den ersten Blick scheint das eine gute Nachricht. Sind die Regisseure von „Kong – Skull Island“, „Ghost In The Shell“, „John Wick: Chapter 2“ oder „Rogue One: A Star Wars Story“, um einige aktuelle Beispiele zu nennen, doch totale Auskenner, die in jeder Filmquizrunde brillieren würden.

Bei aller Liebe für das Kino und einem Gespür für visuelle Überwältigung fehlt den jungen Nerd-Filmemachern aber oft der Drang zum Neuen. Die Retro-Religion dominiert, minutiös werden alte Ästhetiken verehrter Meister nachgestellt. Was manchmal charmant sein kann, oft aber wie eine blutleere Instagram-Filter-Version der Vergangenheit wirkt. Nerds und Geeks im Regiestuhl haben noch ein weiteres Manko: Weil sie statt Menschen zu beobachten ständig auf Leinwände und Bildschirme starren, reihen sich in ihrem Schaffen einzig clevere Zitate aneinander. Zum richtigen, heftigen, argen Leben da draußen finden sie keinen Zugang.

Ben Wheatly bei den British Film Awards

AFP

Ben Wheatley bei den British Film Awards 2016

Familienväter als Auftragskiller

Ben Wheatley ist diesbezüglich eine Ausnahme. Der Mittvierziger aus der britischen Provinz zählt zwar eindeutig zur Kategorie der Filmverrückten, genauso wie seine Coautorin und Lebenspartnerin Amy Jump. Wheatley und Jump wollen aber mehr als einfach Referenzen aus ihren wilden Lieblingsfilmen der 70er und 80er Jahre rekombinieren. Ihnen geht es durchaus um eine singuläre Vision, um frischen Wind im Genrekino.

In seinem Debütstreifen „Down Terrace“, gedreht 2009, zeigt sich bereits auch noch ein anderes Merkmal der Filme von Ben Wheatley. Der Regisseur liebt beispielsweise wüstes Gangsterkino, aber es reicht ihm nicht, wie den Guy Ritchies dieses Planeten, artifizielle Kinogangster aufeinander loszulassen. Wheatley möchte auch etwas über den echten Alltag wirklicher Krimineller erzählen.

Unglaublich eindringlich gelingt ihm das in „Kill List“, seinem Durchbruchswerk, das 2011 international Aufsehen erregt hat. Zwei Familienväter (und Ex-Soldaten) aus der abstürzenden Mittelklasse verkaufen sich darin als Auftragskiller, um den häuslichen Pool und teures Kinderspielzeug zu finanzieren. Grimmiger Realismus aus der Mike-Leigh-Schule trifft auf Hardcore-Thriller-Momente, am Ende gewinnt dann blanker Horror die Überhand. Für mich in dieser Mischung immer noch einer der gruseligsten Filme der letzten zehn Jahre.

Filme mit Widerhaken

Mit dem Komikerpärchen Alice Lowe und Steve Oram dreht Ben Wheatley dann einen Serienkiller-Klamauk, bei dem einem das Lachen meistens in der Kehle steckenbleibt. Auch in „Sightseers“, der einem nerdigen Durchschnittspärchen auf einem blutigen Roadtrip durch England folgt, entspringt der Schrecken aus der Normalität. Wheatley und Jump wohnen in keinem Hollywood-Elfenbeinturm, sie verstehen die Typen im Pub nebenan - und ihre schäbigen, schattigen Seiten.

Das Schwarzweiß-Experiment „A Field in England“ vermischt dann unerwartet deftigen, britischen Humor (Hallo Monty Pythons!) mit psychedelischen Bilder und halluzinogenen Szenen. Ein extrem billig gedrehter Historienfilm der windschiefen Art, eine weirde Fingerübung, auf den dann ein Opus Magnum von Ben Wheatley folgt. „High-Rise“ entwirft nach dem gleichnamigen Roman von J.G. Ballard ein dystopisches Bild einer nahen eiskalten Zukunft, im Setting eines Luxus-Wolkenkratzers. Dabei spielt der futuristische Film, wie das Buch, in den 1970er Jahren.

Neben unbekannteren Stammschauspielern und Charaktergesichtern bietet „High-Rise“ erstmals echte Stars in einem Wheatley-Werk. Die Hauptrolle eines aalglatten und emotionslos durch das Chaos driftenden Doktors scheint maßgeschneidert für Tom Hiddleston. Sienna Miller, Luke Evans und Jeremy Irons wirken ebenfalls topbesetzt. Große Namen bedeuten aber nicht, dass sich der Regisseur kommerziellen Sehgewohnheiten unterwirft. Ben-Wheatley-Filme, das muss man schon auch deutlich sagen, stecken immer voller Widerhaken, ob dramaturgisch oder was ihre schmerzhaften Inhalte betrifft.

Keiner kommt hier lebend raus

Die 70ies lassen Ben Wheatley und Amy Jump jedenfalls nicht los. Auch wenn sie behaupten, ihr neuester Film spielt nur in dieser Dekade, weil es damals keine störenden Handys gab, „Free Fire“ weidet sich auch an den modischen Äußerlichkeiten der Schnauzbart- und Glockenhosen-Ära. Mit der Hilfe von Coproduzent Martin Scorsese versucht sich Wheatley an einer besonderen Aufgabenstellung: Nimm ein abgelegenes Lagerhaus und konfrontiere darin eine Gruppe IRA-Soldaten mit einer schmierigen Waffendealer-Gang. Frei nach dem Motto: Keiner kommt hier lebend raus.

Klingt natürlich im ersten Augenblick nach „Reservoir Dogs“ von einem gewissen Herrn Tarantino. Und wenn zum Einstieg von „Free Fire“ funkige Retro-Rocksongs ertönen, während die illustre Truppe lässig einmarschiert, zweifelt man kurz an der Originalität des Ganzen. Aber dann biegen Ben Wheatley und Amy Jump in andere Richtungen ab. Der 90minütige Nonstop-Shootout, der einem kurzen Spannungsaufbau folgt, orientiert sich einerseits an Aussagen von Zeugen echter Schusswechsel und bietet maximalem Realismus. Auf der anderen Seite flackern immer wieder stilisierte Momente auf, wo man an Italowestern und Sam-Peckinpah-Klassiker denkt.

Drei Männer in einem Lagerhaus

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Das Echte und das Künstliche kollidieren also wieder einmal, wie in allen bisherigen Filmen des Regisseurs. Wheatleys rebellische Ader blitzt in seinem bisher massentauglichsten Film, inklusive Cillian Murphy, Armie Hammer oder Brie Larson, im Schnitt auf. Sollen andere Actionregisseure auf ununterbrochene Hektik setzen, „Free Fire“ verzichtet auf sinnlose Stakkato-Edits. Untermalt vom fantastischen Score von Geoff „Portishead“ Barrow wirkt dieses Blutbad elegant, absurd-komisch und sehr eklig zugleich. Ben Wheatley weiß: Das Leben steckt voller Widersprüche und Gegensätze, sein großartiges Kino betont das noch.

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