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Rapper Kendrick Lamar performs during the 2016 Austin City Limits Music Festival

SUZANNE CORDEIRO / AFP

KUNG FU KENNY

Vor knapp einer Woche hat Kendrick Lamar sein neues Album „DAMN.“ veröffentlicht. Seitdem wird weltweit darüber diskutiert. Ein weiterer Meilenstein in der Diskografie des Rappers aus Compton.

von DJ Phekt

Seit fast einer Woche rotiert bei mir das neue Album „DAMN.“ von Kendrick Lamar. Bei jedem Hördurchgang entdecke ich ein neues kompositorisches Detail, einen Querverweis, ein verstecktes Zitat, eine smarte Metapher oder mehrdeutige Botschaft. Der wortgewandte Lyricist aus Compton fordert seine Hörerinnen und Hörer aufs Neue heraus, auf Albumlänge in seine Welt einzutauchen, und zementiert seinen Ruf, der eventuell „beste MC seiner Generation“ zu sein. Ob und warum das so ist, darüber wurde in den letzten Tagen weltweit heiß diskutiert. Mich persönlich beschäftigt die Rangliste, ob er nun „der Beste“, „der Zweitbeste" oder einer der „5 Top-MCs of all time“ ist, nicht besonders. Viel wichtiger finde ich die Tatsache, dass seine Alben im Gegensatz zu unzähligen anderen Releases herausfordern, überraschen und in ihren Bann ziehen. Das kommt im Zeitalter der kurzen Aufmerksamkeitsspanne nur mehr selten vor.

EREIGNIS.

Ganz ehrlich, wie oft passiert es gegenwärtig in eurem Freundes- oder Bekanntenkreis, dass ein Release tagelang Gesprächsthema ist, beim Mittagstisch, im Großraumbüro oder in gemütlichen Runden am Wochenende? In meinem Fall - und ich bewege mich wahrscheinlich in einer ungewöhnlich musik- bzw. rap-affinen Blase - nicht sehr oft.

„DAMN.“ war da eine Ausnahme. Schon am Tag der Veröffentlichung wurde heiß diskutiert, ob das Album nun im Vergleich mit „To Pimp A Butterfly“ besser oder schlechter ist. Wer ist Kung Fu Kenny? Und warum klingt plötzlich wieder alles mehr nach seinen früheren Mixtapes und Alben und weniger jazz-inspiriert? Die Produzenten Sounwave, DJ Dahi und The Alchemist? Boom Bap oder zeitgemäß? U2 und Rihanna als Gäste? Und dann klingen die nicht mal so cheesy wie erwartet? WTF. Kommt ein weiteres Album am Ostersonntag? Ist alles nur eine Finte? Warum stirbt Kendrick im Intro von „DAMN.“, um dann am Ende der Platte nach einem finalen Gunshot im Schnelldurchgang wieder an den Anfang zurückgespult zu werden? Was bedeuten die asiatischen Schriftzeichen? Es gibt genug Gesprächsstoff, wenn Kendrick Lamar ein Album veröffentlicht.

ROOTS.

Auf „DAMN.“ präsentiert Kendrick Lamar sein neues Alter Ego „Kung Fu Kenny“ und spannt damit den Bogen zurück in die frühe Anfangsphase von HipHop.

MAKE COMPTON GREAT AGAIN.

Dalia Ahmeds Gedanken beim ersten Hören von „DAMN.“

In den Siebziger Jahren war New York City sehr knapp bei Kasse, das spürten auch die Kinos, die als Konsequenz billig eingekaufte asiatische Kung-Fu-Filme in Dauerschleife zeigten und damit eine ganze Generation prägten. Diese Filme, die meist von jungen, mittellosen, lernwilligen Männern handelten, die sich bei einem alten Meister durch eiserne Disziplin von unten nach oben trainierten, um dann gegen „böse Herrscher“ für Gerechtigkeit zu kämpfen, waren identitätsstiftend. Vor allem für Kids aus dem Ghetto, die keine Vorbilder hatten und denen so das Konzept von Mentoren und Hartnäckigkeit vermittelt wurde. Es gibt mittlerweile wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema, das als wichtiger Baustein im Entstehen der Hip-Hop-Battle-Kultur gilt.

Der Wu-Tang Clan hat diese Thematik in den frühen Neunziger Jahren zu seiner Corporate Identity gemacht und sowohl den Bandnamen wie zahlreiche Sound- und Sprachsamples aus alten Kung-Fu-Filmen verwendet.

„Whatever happens on earth stays on earth.“

Dass Kendrick Lamar diese Thematik aufgreift und als Host zwischen den Songs die New Yorker Mixtape- und DJ-Legende Kid Capri wählt, ist ein weiterer Beweis dafür, wie raffiniert er die Gegenwart mit der Geschichte verwebt.

In seinem aktuellen Video „DNA“ ist der US-Schauspieler und Regisseur Don Cheadle (Colors, Hotel Ruanda, Oceans Twelve, uvm.) zu sehen. Das ist kein Zufall, sondern ein weiterer Beweis, wie detailverliebt Kendrick Lamar arbeitet. Don Cheadle hat einst im Film „Rush Hour 2“ einen Charakter namens Kung Fu Kenny gespielt, somit schließt sich der Kreis.

KONZEPT.

Überhaupt überlässt Kendrick Lamar nichts dem Zufall. Getrieben vom Anspruch, sich nicht zu wiederholen und sich künstlerisch, technisch und lyrisch permanent weiterzuentwickeln, entstehen seine Alben Takt für Takt und Zeile für Zeile. Unterstützt von einem Pool talentierter Menschen, die oft nur in den Liner Notes des Albums und nicht zum Namedropping erwähnt werden. Zum Beispiel Kamasi Washington, BadBadNotGood und Kaytranada bei „LUST.“, Thundercat als Bassist bei „FEEL.“ oder James Blake hinter den Akkorden bei „ELEMENT.“.

Das Endergebnis lässt sich wie ein anspruchsvoller Film konsumieren. Wer sich die Zeit nimmt, mit Kopfhörern und Song-Lyrics in der Hand in seine Alben einzutauchen, hat danach das Gefühl, einen Film gesehen bzw. die Story miterlebt zu haben.

Während das letzte Album von Kendrick Lamar noch geprägt war von lyrischem „empowerment“ der afro-amerikanischen community (die Single „Alright“ wurde zu einer Hymne der „Black Lives Matter“-Bewegung), zeigt sich Kung Fu Kenny auf „DAMN.“ wieder mehr als Battle-Rapper, der mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat.

„It was always me versus the world until I found out it was me versus me.“

Bewährte Stilmittel älterer Alben, wie z.B. abrupte Instrumental-Wechsel, Stopps, Rewinds oder gepitchte Stimmen, finden sich auch auf „DAMN.“ wieder. Allerdings nur da, wo es der Geschichte und dem Song dienlich ist.

Kendrick Lamar

Kendrick Lamar

DUCKWORTH.

Mein persönliches (aktuelles) Highlight von „DAMN.“ ist der letzte Song des Albums „DUCKWORTH.“ Im bürgerlichen Leben ist das der Nachname von Kendrick.

Mit dem Song beantwortet der Rapper, warum man ihn in einem Atemzug mit Eminem, 2Pac oder Nas nennen muss und warum er einer der besten Rap-Storyteller ist.

„DUCKWORTH.“ erzählt die Geschichte von zwei wichtigen Menschen in seinem Leben (Kendricks Vater „Ducky“ und der spätere TDE-Label Gründer Anthony Tiffith), deren Schicksal in den Achtziger Jahren fast einen fatalen Lauf genommen hätte.

Anthony war damals ein notorischer Gangbanger, der eine Fast-Food-Filiale überfallen wollte, in der damals Kendricks Vater gearbeitet hat. Hätte er seinen Plan damals durchgezogen, wäre Kendrick Lamar mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Vater aufgewachsen und Anthony hätte den Rest seines Lebens im Gefängnis verbracht und in Folge TDE Records nie gegründet bzw. den jungen Kendrick Lamar nie unter Vertrag genommen.

Viele Jahre später sind Anthony und Kendrick während einer Studio-Session zufällig draufgekommen, dass Ducky der Vater von Kendrick ist und dass oft ein kleiner Augenblick über das weitere Schicksal bestimmt.

Die von Soul-Samples geschwängerte Musik zu „DUCKWORTH.“ kommt von 9th Wonder, der mehrmals das Instrumental wechselt und dem Song so die perfekte Basis gibt. Nur ein Beispiel von vielen, warum „DAMN.“ sicher eine der wichtigsten HipHop-Platten des Jahres ist.

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