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Das Tor des KZ Mauthausen

APA/HARALD SCHNEIDER

Wider das Vergessen, auch fiktional

Nach über 50 Jahren ist der Roman „K.L. Reich“ des KZ-Überlebenden Joaquim Amat-Piniella auf Deutsch erschienen. Packend erinnert das Buch daran, wie wenig allgemein über das Konzentrationslager Mauthausen bekannt ist.

von Maria Motter

„Der Mensch ist ein Depp heute. Wenn Sie heute jemandem helfen, sind Sie ein Depp“, sagt Aba Lewitt, kürzlich in einem Interview mit der Zib24 anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch US-amerikanische Soldaten am 5. Mai 1945. Aba Lewitt ist einer der Überlebenden. „Die Gier ist so groß, dass man keine Rücksicht auf gar nichts nimmt", äußert er sich zur Jetzt-Zeit und übt damit Kritik an Prinzipien, die heute vielfach ausgegeben werden und jedem solidarischen Handeln entgegenwirken. „Abendstille. Aufräumarbeiten nach 100 Jahren Selbstverwirklichung. Vor dem Schlafengehen noch etwas Holocaust und dann ab in die Bubumaschine“, sang Peter Licht in seinem Song „Marketing“ und das war 2008, auch schon wieder eine Zeit her.

Buchcover

Czernin Verlag

Joaquim Amat-Piniella: K.L. Reich. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt, Czernin Verlag

Aber vor dem Schlafengehen noch etwas über den Holocaust zu lesen oder vielleicht eher an einem Wochenendnachmittag, ist immer wieder notwendig und Augen öffnend. Zu viele und zu vieles droht, vergessen zu werden und viel zu lange dauert die Bearbeitung und Aufarbeitung, wie ein aktuelles Beispiel aus der Literatur zeigt: Endlich, nach über 50 Jahren, ist der Roman „K.L. Reich“ von Joaquim Amat-Piniella in deutschsprachiger Übersetzung zugänglich. 1946 begonnen, ist das Buch 1963 als Erstausgabe in spanischer Übersetzung und erst später im katalanischen Original erschienen.

In „K.L. Reich“ erzählt Joaquim Amat-Piniella, was ihm in nationalsozialistischer Gefangenschaft, vor allem im Konzentrationslager Mauthausen, widerfahren ist. Aber er tut das in fiktionaler Form. „Ich habe mich für die Romanform entschieden, weil sie mir der inneren Wahrheit derer näher erscheint, die wir dieses Abenteuer bestanden haben“, schickt der Autor voraus.

Die Ansichten, ob über die nationalsozialistischen Massenmorde, über die Konzentrations- und Vernichtungslager Romane geschrieben werden sollen, gingen in den Jahrzehnten nach dem Ende des zweiten Weltkriegs auseinander. Sehr bekannt ist das - verkürzte - Zitat Theodor W. Adornos, nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Dem gegenüber steht die Fiktionalisierung autobiografischen Schreibens, wie etwa Imre Kertész mit seinem Werk „Roman eines Schicksalslosen“.

Romane erweitern unser historisches Vorstellungsvermögen

Was bringen uns LeserInnen Geschichten, die Geschichte und noch dazu die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung als Fiktion verarbeiten? Der Historiker und Germanist Christian Angerer, der auch an der Gedenkstätte Mauthausen arbeitet, sagt, Romane erweitern unser historisches Vorstellungsvermögen. Dass die Erfahrungswelten der Überlebenden und der Außenstehenden auseinanderklaffen, ist nicht zu bezweifeln, sagt der Historiker Angerer.

„Mit diesem Buch will ich einen Eindruck vom Leben und Tod dieser Menschen aus aller Welt vermitteln, die dem Nationalsozialismus die internationale Gemeinschaft des Schmerzes entgegensetzten. Ich erzähle hier nicht die Geschichte eines bestimmten Lagers, sondern schildere eine Gesamtheit von Szenen, Situationen und Persönlichkeiten, die ich in den Lagern erlebt habe“, schreibt Joaquim Amat-Piniella im Vorwort seines Romans. Die Geschichte gestaltet er auch als die Erzählung einer Freundschaft zweier Männer.

„Rot-Spanier“ in NS-Konzentrationslagern

Nach dem Spanischen Bürgerkrieg im April 1939 flohen Katalanen und Spanier nach Frankreich, weil sie die Verfolgung durch die Faschisten unter der Führung Francisco Francos fürchteten. In Frankreich beteiligten sich viele der sogenannten „Rot-Spanier“ an der Résistance und wurden von deutschen Besatzungstrupps aufgegriffen und in Konzentrationslager deportiert.

Joaquim Amat-Piniella erzählt seine Geschichte mit einer Handvoll Hauptfiguren. Er schildert den tagtäglichen Überlebenskampf, die menschenverachtenden Schikanen, Peitschenhiebe und Tritte aus der Perspektive der Opfer, Juden aus ganz Europa, Homosexuelle oder politisch Andersdenkende wie die „unerwünschten Ausländer“ aus Spanien. So entsteht ein großes Bild über die Zeit des Nationalsozialismus und der systematischen Vernichtung von Menschen in den Konzentrationslagern. Durch die Fiktionalisierung ergeben sich mehr Möglichkeiten der Erzählung als etwa in einer Autobiografie.

„Eine ganze Reihe Betten war schon leer, als der Kapo zurückkam und sich Francesc zuwandte. Der schlug die Decke zurück. Er wäre gern ohne fremde Hilfe aus dem Bett aufgestanden und auf eigenen Füßen ins ‚Tötungszimmer‘ gegangen, aber er war zu schwach. Auf zwei Krankenpfleger gestützt, ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen. Jetzt sehe ich zum letzten Mal diese Betten, dachte er, diese Zimmerdecke, diese Tür, diesen Gang. So wenig war ihm geblieben.“

Der Versuch, die monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus zu erzählen

Spannend sind die Beschreibungen der Beziehungen der Menschen im Konzentrationslager, vom Angekarrtwerden ins Lager bis in die Tage nach der Befreiung (von den unterschiedlichen Positionen, für die Gefangene eingeteilt wurden, bis hin zum Versuch Emilis, seinen Freund Francesc noch vor der Tötung mit einer Benzin-Injektion durch einen SS-Arzt zu retten; die Verwunderung der SS-Männer über einen schwarzen Spanier und die Weitergabe von Kleidungsstücken ermordeter Frauen an Prostituierte).

Manche Passagen sind beim Lesen ob der drastischen Gewaltbeschreibungen schwer auszuhalten. Der Roman „K.L. Reich“ ist ein Versuch, diese monströsen Verbrechen zu erzählen. Das Als-ob, das die Wahl der Form Roman bietet, ermöglicht LeserInnen, auch einen Schritt zurück zu machen und Distanz zu gewinnen, sagt der Historiker Christian Angerer und verweist auf die Tatsache, dass sich auch historische Darstellungen literarischer Grundformen bedienen. Ob sich die fiktionalisierte Geschichte als angemessene Form herausstellt und welche Strategien ein Buch verfolgt, ist jeweils zu klären.

Was „K.L. Reich“ angeht, so ist die Hoffnung Joaquim Amat-Piniellas aufgegangen und sein Bemühen um ein lebendiges, ja vermittelndes Schreiben ist gelungen. 1973 ist er verstorben. Sein Roman macht einem bewusst, was das Wort „Konzentrationslager“ bedeutet.

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