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APA/Roland Schlager

Der „neue Stil“ in der Verteilungspolitik

Sebastian Kurz beschwört in nahezu all seinen Reden den „neuen Stil“ der Regierung. Was bedeutet dieser neue Stil und die Neuauflage von Schwarz-Blau für den Sozialstaat, für Interessensvertretungen und für den Arbeitsmarkt? Politikwissenschaftler Philip Rathgeb mit einer Einschätzung.

Von Lukas Lottersberger

Der Begriff den „neuen Stils“ sei freilich symbolhaft zu verstehen und es ist klar, dass sich Sebastian Kurz mit diesem Schlagwort von der alten, großen Koalition abgrenzen möchte, meint Politikwissenschaftler Philip Rathgeb, der an der Universität Konstanz forscht und lehrt. Wir haben ihn zu seiner Meinung über einige Punkte im Regierungsprogramm gefragt und wie sich dort dieser „neue Stil“ äußert.

Politikwissenschaflter Dr. Philip Rathgeb

Universität Konstanz

Dr. Philip Rathgeb

War an der Uni Wien Student von Staatsforscher Emmerich Tálos.

Rathgeb lehrt und forscht zur Zeit an der Uni Konstanz zu den verteilungspolitischen Auswirkungen rechtspopulistischer Regierungsbeteiligung in europäischen Wohlfahrtsstaaten.

Was mit dem Begriff vermittelt werden soll: Die alte Koalition, die als Streit- und Stillstandskoalition wahrgenommen wurde, weicht einer Koalition, die Partnerschaftlichkeit und Konsens vermittelt. Wenig verwunderlich, meint Rathgeb, haben sich die Parteien dafür in gewissen Bereichen aufeinander zubewegt: „Die ÖVP auf die FPÖ im Bereich der Gesellschaftspolitik“, Stichwort Zuwanderung, Islam, Flüchtlinge. Umgekehrt hat die FPÖ in der Wirtschaftspolitik Zugeständnisse gemacht: Im Bereich der Abgabenquote, beim 12-Stunden-Tag und in der Arbeitsmarktpolitik.

„Der Sozialstaat wird betroffen sein“

„Interessant ist der Kontext, in dem der Sozialstaat reformiert werden soll. Das ist die Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent“, meint Rathgeb. Das soll mittels einer Senkung der Einkommenssteuer geschehen. Diese ist laut Rathgeb „die progressivste Einnahmequelle des Staates“ - Vielverdiener zahlen viel, Wenigverdiener eben wenig bis gar nichts.

Rechnerisch bedeute die Senkung der Abgabenquote, dass die Ausgaben um zwölf bis 14 Milliarden gesenkt werden, erklärt Rathgeb. Zum Vergleich: „Die größte Steuerreform in der Geschichte der zweiten Republik hatte ein Volumen von fünf Milliarden Euro“, unterstreicht der Experte. Führe man sich vor Augen, dass 60 Prozent der Staatsausgaben in den sozialen Bereich fließen, „muss man davon ausgehen, dass dieser Bereich von Kürzungen betroffen sein wird.“ Rathgeb sieht darin klar eine Umverteilung von unten nach oben und Wohlfahrtschauvinismus.

Dieser Wohlfahrtschauvinismus komme häufig in Ländern mit rechtspopulistischer Regierungsbeteiligung vor und bedeute, „dass Sozialleistungen Einheimischen vorbehalten bleiben sollen“, erklärt der Politikwissenschaftler. Im Regierungsprogramm äußert sich das etwa in der Arbeits- und Teilhabepflicht für alle Mindestsicherungsbezieher, der Deckelung der Mindestsicherung (die auch Österreicher betrifft), aber auch der Deckelung der Mindestsicherung für Flüchtlinge mit gültigem Aufenthaltsstatus. Letztere sollen künftig maximal 520 Euro bekommen - etwas mehr als die Hälfte des Existenzminimums.

Das offizielle Ziel solcher Reformen ist laut Rathgeb, Langzeitarbeitslose und - so paradox es klingt - Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu bringen. Was die Langzeitarbeitslosen betrifft, sei das jedoch „sachlich schwer zu begründen“, denn Österreich befindet sich gerade in einer Hochkonjunktur und hat eine sinkende Arbeitslosigkeit. Zudem erziele man bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit seit über zwei Jahrzehnten bessere Ergebnisse als Deutschland: „31 Prozent der Arbeitslosen in Österreich sind langzeitarbeitslos. In Deutschland liegt dieser Wert über 40 Prozent.“

Geplante Arbeitsmarktreformen

Kurz nachdem die Regierung angelobt wurde, kündigte man an, dass Wenigverdiener entlastet werden sollen, indem man die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senkt. Nicht lange hat es gedauert, bis erste kritische Stimmen bewiesen haben, dass untere Einkommen gar nicht davon betroffen sind und Menschen mit mittleren Einkommen nur marginal von der Maßnahme profitieren.

Die Regierung zeige jedoch damit, „dass sie es mit ihren arbeitsmarktpolitischen Reformen ernst meint“, sagt Philip Rathgeb. Der erste Schritt dieser arbeitsmarktpolitischen Agenda sei, dass man die Beiträge auf Arbeitnehmerseite senkt, womit die Einnahmen für den Staat sinken. Auf der anderen Seite sollen auch die Ausgaben gesenkt werden.

„Hier findet sich ein Bündel von Maßnahmen“, betont Philip Rathgeb. So wird künftig etwa die Arbeitslosenunterstützung degressiv ausgestaltet. Das heißt, je länger man arbeitslos ist, umso weniger Geld bekommt man. Zudem sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft werden. „Eines der Kernstücke dieses Reformbündels ist die Abschaffung der Notstandshilfe nach Vorbild des deutschen Hartz IV“, sagt Philip Rathgeb. Das Ziel dieses Maßnahmenbündels im Arbeitsmarktbereich ist für den Politikwissenschaftler klar: „Der Druck auf Arbeitslose soll verschärft werden.“ Stichwort: Leistung muss sich wieder lohnen.

Rathgeb bezweifelt, dass verschärfter Druck auf Arbeitslose ein probates Mittel zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist. „Aus der Evaluationsforschung wissen wir, dass Langzeitarbeitslose in der Regel ein Problem haben: Sie sind niedrigqualifiziert“, erklärt er. So banal es klingt: „Nichts wäre naheliegender, sie besser zu qualifizieren“, meint der Politikwissenschaftler. Das würden auch vergangene Berichte des Wirtschaftsforschungsinstituts nahelegen.

Interessensvertretungen

Während des Wahlkampfs und der Regierungsverhandlungen hatte die FPÖ immer wieder gefordert, über die Kammern-Pflichtmitgliedschaft abstimmen zu lassen. Vor kurzem haben sich die Koalitionspartner darauf geeinigt, sie doch beizubehalten. Philip Rathgeb glaubt, dass die von der ÖVP kolportierte „Veränderung“ dennoch die Sozialpartnerschaft in irgendeiner Form treffen könnte, in der die Kammern vertreten sind. „Bei der FPÖ hingegen ist es so, dass sie ja nie Teil dieses Systems war und ihm deshalb schon immer eher feindlich gegenüberstand“, fasst Rathgeb zusammen.

Weiterhin aufrecht bleibt die Forderung der FPÖ, die Arbeiterkammer zu reformieren - etwa, indem man die Mitgliedsbeiträge senkt. Philip Rathgeb ortet in Forderungen wie dieser eine Strategie, die man bereits aus anderen Ländern kenne und hinter der ein klares Ziel stehe: „Carsten Jensen hat in seinem Buch ‚The Right and the Welfare State‘ gezeigt, dass es unter rechtsgerichteten Regierungen eine beliebte Machtstrategie ist, zunächst den Widerstand der Arbeitnehmervertretungen zu schwächen, um dann hochkontroverse Reformen zu erleichtern.“

Forderungen wie der 12-Stunden-Tag, die geplanten Arbeitmarktreformen aber auch das Mietrecht würden die arbeitgeberfreundliche Agenda der Koalition unterstreichen. Dementsprechend sei auch „mit einer Schieflage in der Interessensrepräsentation zu rechnen“, vermutet Rathgeb - und zwar zu Lasten der Arbeitnehmer-Interessensvertretungen, wie der Arbeiterkammer oder den Gewerkschaften.

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