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Elneny

APA/AFP/GABRIEL BOUYS

Blumenaus WM-Journal

Die Geschichte von Elneny, oder: Zuschreibung schafft Realität.

Heute haben sich Portugal, Uruguay und Spanien wieder ein Stück unsympathisch gemacht. Deshalb zu etwas ganz anderem:

Von Martin Blumenau

Weil die Erkenntnisse der heutigen Spiele wenig Neues bringen (nur dass auch Portugal und Spanien, klassisch wie Uruguay, eine knappe Führung über die Zeit zittern anstatt die schnelle Entscheidung zu suchen - mental keine gute Idee, aber bitte -, und dass der afrikanische Negativ-Lauf anhält, Marokko hätte vier Punkte verdient und scheidet aus) - ein Rückgriff auf gestern.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Wiewohl das Beispiel aus dem Russland - Ägypten-Spiel, von dem ich erzählen will, auch davor schon in anderen Matches sichtbar war. Aber egal: es geht um was Prinzipielles, weit über den Fußball oder den Sport Hinausgehendes, aber hier so schön Sichtbares.

Jedenfalls begab es sich, dass der ägyptische Coach in Halbzeit 2 sein System leicht umstellte, um Salah besser ins Spiel zu bringen: er schob seinen Spieler Elneny vom Zentrum, dessen gewohntem Spielort, auf die rechte Mittelfeldseite. Nun ist Elneny nicht nur ein sehr guter, sondern auch optisch auffälliger Spieler, mit seiner Größe und seinen kurzes Rastas (bissl wie Ruud Gullit) nicht zu übersehen.

Und es begab sich, dass der deutsche Kommentator (ZDF) ihn dann auch lobte. In Halbzeit 2. Für seine große Leistung im Zentrum - obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon nur noch die rechte Offensivseite befeuerte. Deutlich sichtbar.

Der deutsche Kommentator hatte Elneny aber nur im Zentrum auf dem Schirm, auf seinem Zettel, in seinem Kopf; dort wo ihn die Vorschau hingestellt hatte, dort wo er in Halbzeit 1 tatsächlich zu sehen war. Eine Veränderung ist nicht vorgesehen, die offizielle Aussendung ist bedeutender als etwa ein eigener Blick aufs Spielfeld. Weil nicht sein kann was nicht sein darf. Der könnte ja weniger objektiv sein als die offizielle Variante, die man ja schriftlich hat.

Der feste Glaube an das von Autoritäten Vorgegebene überlagert die eigene Erkenntnis. Der unbedingte Glaube an das eigene, feststehende, feststeckende Urteil, die Ablehnung von Veränderung, erschaffen die eigene Wirklichkeit, die subjektive Wahrheit, die alternativen Fakten, die unbeirrbar und mit großer Sicherheit präsentiert werden. Man hat schließlich die Autoritäten hinter sich; wer wird sich da schon auf den eigenen Blick verlassen. Womöglich würde der nicht der Mehrheitsmeinung entsprechen und schlecht ankommen - Gott bewahre.

Genauso wie Sprache die Realität schafft, tut es auch Zuschreibung: Elneny ist ein zentral-defensiver Mittelfeldspieler, egal was wirklich passiert.

Nun ist es vergleichsweise natürlich ein bissl wurscht, dass ein Einzelner ein Spiel nur als vorgebene Vorlage lesen kann und es nicht in seiner Dynamik erkennt. Zum einen, weil wir im deutschprachigen Raum und vor allem in Österreich seit wir denken können, mit entsprechenden Reportierungen konfrontiert wurden und es also selber nicht besser wissen bzw dann besser können; und zum anderen, weil es ja nur Fußball ist; bei aller Liebe zum Spiel.

Der Glaube an die Autoritäten, das Vorgegebene, die Zuschreibung und die damit einhergehende Weigerung die Dinge selber anzusehen, den Reality Check zu machen, ist aber mehr als nur ein Phänomen des Fußballs - es ist ein gesamtgesellschaftliches.

Und es ist ein Problem des Journalismus; sein massivstes, inmitten der Disruptionen. Und da nicht bloß eines des Sportjournalismus, dieser embedded agierenden, sich selber großteils desavouierenden Spaß-Variante, sondern eines des Journalismus in seiner Gesamtheit.

Um das an einem anderen, deutlich brisanteren Thema zu erklären. Der Glaube an die Autoritäten, das Vorgegebene, die Zuschreibung und die damit einhergehende Weigerung die Dinge selber anzusehen, hat den Begriff der „geschlossenen Balkanroute“ erst möglich gemacht, ein Begriff, der erst mit den Medien und durch die Zuschreibung existiert. Weder war die Route je geschlossen (was ja die aktuellen Angstmachereien aufs Schönste beweisen), noch existiert so etwas wie eine einheitliche (und somit auch schließbare) Route. Sie ist ein Konstrukt, Symbol einer politischen Inszenierung, Auswuchs einer strikten „Messege Control“.

Die Wirklichkeit ist deutlich differenzierter als es die ministeriellen Darstellungen zulassen. Nur wurde diese medial derart flächendeckend übernommen, dass sie plötzlich zu existieren begann; aus sich heraus, als überlebensgroßes Bild. Als Wirklichkeit, wie sie die Autoritäten wollen. Mittlerweile ist dieses Bild so mächtig, dass es niemand mehr anzuzweifeln wagt. Sprache und Zuschreibung haben Wirklichkeit kreiert.

Wer da mitspielt und den Blick aufs Spielfeld verweigert, aus Angst vielleicht eine Minderheiten-Position zu vertreten, ist ein Erfüllungsgehilfe und kein Journalist. Journalismus besteht im Kern aus dem genauen Hinsehen und der Analyse dessen.

Wer sich das erspart und die Zuschreibungen und Benennungen der Autoritäten übernimmt, macht nicht nur die Branche kaputt, sondern auch die auf einer gesunden Medienresonanz basierende liberale Demokratie. Und mit Elneny fängt es an.

1. Runde
Russland : Saudi-Arabien 5:0 Review
Ägypten : Uruguay 0:1 Review
2. Runde
Russland : Ägypten 3:1 Review
Uruguay : Saudi-Arabien 1:0
3. Runde
Uruguay : Russland 3:0
Saudi-Arabien : Ägypten 2:1

Gruppe A

Uruguay 3 0 0 5:0 9
Russland 2 0 1 8:4 6
Saudi-Arabien 1 0 2 2:7 3
Ägypten 0 0 3 2:6 0
Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D
Russland Portugal Frankreich Argentinien
Saudi-Arabien Spanien Australien Island
Ägypten Marokko Peru Kroatien
Uruguay Iran Dänemark Nigeria
Gruppe E Gruppe F Gruppe G Gruppe H
Brasilien Deutschland Belgien Polen
Schweiz Mexiko Panama Senegal
Costa Rica Schweden Tunesien Kolumbien
Serbien Südkorea England Japan

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