FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Charles Manson

dpa/A9999 Db

Alptraumgestalt der Popkultur

Charles Manson ist tot: Durch die Morde seiner Anhänger endete der Hippie-Traum friedlicher Subkulturen auf blutige Weise.

Von Christian Fuchs

Er galt als einer der berühmtesten Massenmörder der amerikanischen Kriminalgeschichte. Auch die Ermittler in der gefeierten aktuellen True-Crime-Serie „Mindhunter“ reißen sich um ein Interview mit ihm. Dabei passt die Bezeichnung „Serialkiller“ überhaupt nicht auf Charles Milles Manson, der am Sonntagabend mit 83 Jahren in einem kalifornischen Krankenhaus verstorben ist. Seine jugendlichen Anhänger töteten für ihn, er selbst verbüßte wegen „Verabredung zum Mord“ eine lebenslange Haftstrafe.

Horrornacht in Hollywood

Es passierte vor bald 50 Jahren, knapp vor der kollektiven Ekstase im Schlamm, vor dem kurzen utopischen Moment des Woodstock-Festivals. Ein Mordfall erschütterte die amerikanische Nation, der im Nachhinein die friedlichen Träume der Sixties abrupt beendete.

In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 wurde Sharon Tate, die Frau des Regisseurs Roman Polanski, gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden, in ihrer Villa in Los Angeles getötet. Das Haus über den Hügeln von Hollywood glich einem Schlachtfeld. Dreißig Minuten dauerte das Gemetzel, alle 20 Sekunden erfolgte ein Messerstich. Tate war hochschwanger gewesen.

Eine Gruppe verwahrloster jugendlicher Außenseiter zeichnete für das Blutbad verantwortlich. Tex Watson, Susan Atkins, Leslie Van Houten und Patricia Krenwinkel, alle zwischen 20 und 21 Jahren. Vor Gericht gaben sie an, blind und willenlos einem Mordbefehl gefolgt zu sein. Der Auftraggeber: ein charismatischer Ex-Häftling, von dem die desorientierten Kids als guruhafte Vaterfigur schwärmten - Charles Manson.

Sharon Tate

public domain

Einen Tag nach den Tate-Morden fuhr erneut ein jugendlicher Killertrupp los. Die Opfer: das Ehepaar La Bianca, die Besitzer einer großen Supermarktkette. In Leno LaBiancas Kehle steckte ein Messer, in seinem Unterleib eine Gabel und in seine Bauchdecke hatten die Mörder das Wort „War“ geschnitten. An Türen und Wände schmierte man, wie am Vortag, mit Blut Sprüche wie „Death To Pigs“ oder „Rise“.

Monate später führte eine Kette von Hinweisen zu den Tätern. Manson lebte mit seiner Anhängerschaft aus jugendlichen Ausreißern auf der desolaten Spahn-Movie-Ranch, in den Bergen von L.A. und im sonnenverbrannten Death Valley. Was nach außen hin wie eine typische Hippie-Kommune wirkte, entpuppte sich als gruppendynamisches Pandemonium.

Zeugen berichteten von Macht und Unterwürfigkeitsspielen, jeder Menge „befreitem“ Sex und gewalttätigen Eskapaden. Naive Sixties-Ideale vermengten sich mit Rassismus, übermäßiger Drogenkonsum und esoterischer Schnickschnack waren angesagt. Irgendwann, so diverse Quellen, kippte die Stimmung von Manson & Co. in einen paranoiden Abgrund.

Psychedelische Seifenblase

Zwei Jahre davor war die Welt noch heil gewesen. „In ganz Amerika verbreitete sich die Botschaft, um der Liebe und der Blumen willen nach San Francisco zu kommen“, schreibt der Rockmusiker und Gegenkulturchronist Ed Sanders. „Überall in den USA, in Hunderten von Städten, kam es in diesem Frühjahr und Sommer 1967 zu Love-Ins, Be-Ins, Share-Ins.“ 1969 zerplatzte die psychedelische Seifenblase. Man erwachte aus dem Traum von der friedlichen Lösung aller Probleme mit einem schrecklichen Hangover.

Noch einmal Sanders: „Biker versuchten mit brutalen, sadistischen Methoden den LSD-Markt zu übernehmen. Teufelsanbeter und satanisch-brutale Todesfreaks überschwemmten die überfüllten Pennlager. Rassenunruhen kamen auf. Scheiße wurde als Heilsbotschaft verkauft. Die Szene war kaputt. Haight-Ashbury zog gemeine Verbrecher an, die sich langes Haar wachsen ließen.“

Charles Manson

APA/AFP/Califrornia State Prison/HO

Charles Manson

Ein perfektes Szenario für Manson, der den Großteil seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte und 1967, mit 33 Jahren, in die Hippie-Landschaft platzte. Sein in langen Zuchthausjahren aufgestauter Hass vermengte sich mit den nonkonformen Botschaften der Kids zu einer explosiven Mischung.

Der Ex-Zuhälter und Kleinganove Manson wurde zum Lieblingsfreak der „Beautiful People“. In Hollywood, wo gerade Sexorgien, schwarzmagische Messen und bunte Pillen hip waren, goutierte man Charlie als gerngesehenen Partygast. Auch im Haus Cielo Drivo Nr. 10005, der Villa von Polanski und Tate.

Sanders: „Von Mitte 1968 an behauptete Manson, er sei Christus und der Satan, oder Christus und der Teufel in einer Person. Es wurde bereits gesagt, dass Mansons Anhänger sich mit den Frühchristen verglichen - oder dem was sie für die Frühchristen hielten: sexuelle Gemeinschaft und ein Leben außerhalb der Gesellschaft. Manson verkörperte in seiner Final Church von was auch immer die Christus-Satan Gestalt.“

Blumenkinder des Bösen

Der Horrormythos der Manson-Family hallt bis heute nach, in unzähligen Filmen, Büchern und vor allem musikalischen Bezügen. Das Spektrum reicht von den Beatles, deren Song „Helter Skelter“ den durchgeknallten Charlie maßgeblich beeinflusste, über die Beach Boys, mit deren Mitglied Dennis Wilson die Sekte Kontakt hatte, bis zu Guns’N’Roses, die den Song „Look at Your Game, Girl“ von Manson coverten. Trent Reznor nahm sein legendäres Nine-Inch-Nails-Album „The Downward Spiral“ im Haus 10050 Cielo Drive in L.A. auf, dem Gebäude, in dem Tate damals ermordet wurde. Sein Zögling, der Industrialrocker Brian Warner, nannte sich nach einer ikonischen Schauspielerin und einem berüchtigten Mordanstifter Marilyn Manson.

Die popkulturelle Geschichtsschreibung hat sich jedenfalls geeinigt, dass Tates Hinrichtung in jener schwülen Sommernacht des 8. August 1969 für den Anfang vom Ende einer Ära steht, den Grabgesang auf eine Utopie. Nachdem ebenfalls 1969, beim Festival von Altamont, während des Auftritts der Rolling Stones, ein Afroamerikaner erstochen wurde, war klar: Die Jugendkultur hatte unwiderruflich ihre Unschuld verloren. Aus den Flower-Power-Kids waren zumindest in der allgemeinen medialen Wahrnehmung plötzlich Blumen (-Kinder) des Bösen geworden.

Stanley Kubricks 1971 gedrehter Film „Clockwork Orange“ fantasierte bereits von gewalttätigen Teenagerbanden zwischen Aggression und Langeweile. Viele Soundtracks kommender Generationen - Punk, Metal, Industrial, Grunge, Hardcore - knüpften an nihilistische Bands der Sixties wie The Stooges oder Velvet Underground an, die bereits mitten in der „Love and Peace“-Zeit den Untergang beschworen haben.

Manson als den Auslöser all dessen zu sehen, hätte was von einer bizarren Verschwörungstheorie. Aber er war einer der wichtigsten Teile im Mosaik des Traumas „1969“, über das Quentin Tarantino seinen nächsten Film dreht. Als Woodstock endete, war Tate gerade eine Woche tot.

Aktuell: