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Ein Ende mit Schrecken

Die französische Bestseller-Autorin Virginie Despentes schließt mit „Das Leben des Vernon Subutex 3“ ihre von Kritikern gefeierte Trilogie über den aktuellen Zustand der Pariser Gesellschaft ab. Das Ende kommt anders, als man es erwartet.

Von Lisa Schneider

Look up here, I’m in heaven
I’ve got scars that can’t be seen
I’ve got drama, can’t be stolen
Everybody knows me now.

Den dritten Teil ihrer Romanreihe „Das Leben des Vernon Subutex“ beginnt die französische Schriftstellerin Virginie Despentes mit den Zeilen des Songs „Lazarus“, mit denen David Bowie kurz vor seinem Tod ebendiesen auf erschreckend prophetische Weise vorausgesagt hat. Es ist nicht nur der popkulturelle Verweis, den Virginie Despentes auch im dritten Teil der Triologie aufs Genaueste pflegt, der das Buch im Hier und Jetzt verortet; es ist vor allem auch die Vorahnung, dass im Roman Schreckliches passieren wird.

Virginie Despentes wurde 1969 in Nancy geboren und war vor der Subutex-Triologie - in Frankreich bereits 2015 vollständig erschienen, jetzt vollständig auch auf Deutsch in der Übersetzung von Claudia Steinitz - vor allem für ihren skandalträchtigen Roman „Baise-Moi“ („Fick Mich“) bekannt. Sex, Zorn, Gewalt, Vergewaltigung, Feminismus waren immer die Themen der Virginie Despentes, die vor ihrer Literaturkarriere unter anderem als Sexarbeiterin tätig war. Sie ist der leibhaftige Rock’n’Roll-Star der französischen Literaturszene, oft auch als der „weibliche Zola“ oder der „weibliche Houellebecq“ bezeichnet.

Letzten Sommer hat Philipp L’heritier den ersten Band „Das Leben des Vernon Subutex 1“ gelesen.

„Das Leben des Vernon Subutex 1“ (auf französisch schlicht „Vernon Subutex“) erhielt Preise, ein riesiges mediales Echo, wird momentan auch als französische Serie verfilmt. Dieser Gedanke liegt nahe, Despentes selbst hat von Anfang an gemeint, ihr Schreiben passe sich immer mehr ihrem erhöhten Serienkonsum an, und man spürt das im Laufe des Lesens, im Laufe aller drei Bücher.

Unterschiedliche Arten des Versagens

Es sind Episoden, die sie erzählt, von verrückten Charakteren, die oft verschiedener nicht sein könnten. Da ist Charles, ein scheinbar mittelloser Mann, der seinen Lottogewinn verheimlicht. Da ist Kiko, ein kokainsüchtiger, schwerreicher Ex-Trader. Da ist Alex Bleach, ein verstorbener Rocksänger, der im Buch auch nach seinem Tod omnipräsent bleibt. Da ist Véro, die abgehalfterte Geliebte von Charles. Da ist Pamela, ein computersüchtiger Ex-Pornostar, der in den bürgerlichen Alltag zurück will. Und da ist natürlich Vernon Subutex, notorischer Dandy, betrunkener Charmbolzen, feuriger Musikliebhaber, liebenswerter Egoist, der Guru seiner Jünger.

Im ersten Band lernt man Vernon Subutex als wenig erfolgreichen Chef eines Plattenladens kennen. Wir befinden uns in den 80er Jahren, das Geschäft mit Vinyl läuft schlecht. Vernon verliert sein Geschäft, landet auf der Straße, wird von Freunden von Couch zu Couch geschoben - und so lebt er dahin, auf einigen Um- und Abwegen, Drogen, Alkohol, Sex, Dreck - bis der dritte Teil der Triologie beginnt.

Cover "Das Leben des Vernon Subutex 3" Virginie Despentes

Kiepenheuer & Witsch

Auch der dritte Band der Romantriologie rund um Vernon Subutex von Virginie Despentes erscheint im Verlag Kiepenheuer & Witsch, in der Übersetzung von Claudia Steinitz.

Rock’n’Roll Jesus

Vernon hat sich zum Leader gemausert, der eine Gruppe seltsamer Menschen um sich gesammelt hat; seltsam, weil das Leben sie eben so geprägt hat. Statt in Paris zu sein, wie in den ersten beiden Teilen, zieht es die Gruppe um Vernon jetzt zumeist hinaus, aufs Land, wo sie an verschiedenen Orten ihre „Convergences“ abhalten. Lange erfährt man nicht, was dort genau passiert, man darf es sich als eine Art Hippie-Rave vorstellen. Vernon oben an den Turntables, gewappnet mit der gesammelten Musik vergangener Jahrzehnte, legt auf, was nicht zusammenpasst, es kommt trotzdem, auch bei den anfangs Ungläubigen, zur kollektiven Hypnose. Etwas ist drin, in seiner Musik, in seinem Auftreten, er wird zur Legende.

Geld hat außer dem reichen Kiko niemand, und solange das so bleibt, ist alles gut. Als der Lottogewinn von Charles ans Licht kommt, geht es natürlich los mit den Streitereien. Zankereien, Diskussionen, und „die Erlösungsstimmung, die sie verrückt macht“ - es ist keine heile Hippie-Utopie, die Virginie Despentes hier beschreibt; es ist der Zusammenschluss von aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, die bisweilen ohne Geld, aber mit Alkohol- und Drogenproblemen die schützende Sicherheit der Gemeinschaft suchen.

„Die armen Klassen werden verschwinden“

Bis dahin ähnelt der dritte Teil der Trilogie noch seinen Vorgängern. Es ist ein in Schwarz-Weiß-Tönen gehaltenes Sittengemälde einer verfallenden Pariser Gesellschaft, die, allesamt Arbeiter, an der aktuellen neoliberalen Politik zerfällt: „(...) Sie werden euch ganz konkret ausrotten. Ihr seid zu nichts gut. Deswegen seid ihr zurückgeblieben. Ihr argumentiert immer noch wie unter Papa Marx - als das Proletariat nötig war, damit Leute wie ich den Mehrwert akkumulierten. (...) Ihr macht zu viele Probleme im Verhältnis zu dem, was ihr einbringt. Deswegen ist es unausweichlich: Die armen Klassen werden von der Karte verschwinden.“

Virginie Despentes schreibt von den Folgen sozialer Kürzungen, die das ehemals luxuriöse Pariser Leben beschneiden, vom ungewissen Arbeitsmarkt, der vor allem für die Generation der über 50-Jährigen oft nichts weniger als die Hölle bedeutet. Von Macron, der, weil gegen den „Frexit“, sich als linksliberaler Politiker positioniert, ihrer Meinung nach aber mit seiner Politik vor allem die arbeitende Bevölkerung dazu bringen wird, beim nächsten Mal Le Pen zu wählen. Weil die Bürger, die ohnehin schon prekär leben, immer mehr verlieren.

„Vernon Subutex 3“ handelt auch von jungen, starken Frauen. Und um einen Feminismus 2.0, in Anbetracht dessen sich viele Männer als die eigentlich Unterdrückten sehen: „Er hat die Schnauze voll davon, sich zu ducken, um Schlägen und Konflikten aus dem Weg zu gehen. Die Tyrannei der Femnazis zu ertragen, die alle Formen der Freizügigkeit verbieten wollen, die den Charme seines Landes ausmachte, und zwar nur deshalb, weil sie selbst weder lieben noch sich von den Männern lieben lassen können. Er erträgt es nicht mehr, dass man auf ihm rumtrampelt.“

Wenn die Realität in den Roman eingreift

Die koordinierten, islamistisch motivierten Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris sowie an drei Orten in der Vorstadt Saint-Denis, bei denen 130 Menschen getötet und 683 verletzt wurden, bedeuten auch für die Geschichte des Romans einen tiefen Einschnitt.

Die Charaktere in „Vernon Subutex“ sehen sich mittellos, eingeschüchtert, unsicher. Hilfe suchen sie in dieser Lage einmal mehr im Kollektiv - der grausige Turn am Schluss des dritten Bandes wirft noch einmal alles durcheinander, und ist, im Anbetracht der realen Ereignisse, das logische Ende der fiktiven Geschichte.

Man kann sich fragen: War eine Trilogie nötig, die Geschichte des Vernon Subutex zu erzählen? Nach Band eins hätte es vorbei sein können, die Lebensschilderung eines liebenswerten Losers, eines französischen „Dude“, der sein Dasein eben einfach versumpert hat. Auch Wolf Haas stimmt hier zu. Der zweite Teil las sich ähnlich. Der dritte aber fügt der zwar gesellschaftskritischen, oft comichaften Erzählung Elemente eines Psychothrillers hinzu, unter anderem große Angst. Angst vor Terror und Gewalt, wie sie aktuell nicht nur in Frankreich potentiell ständig möglich sind. Und gerade diese reelle Möglichkeit macht die Geschichte umso spannender, umso schrecklicher.

„Er denkt, dass niemand stabil ist. Nichts. Keine Gruppe. Dass diese Erkenntnis die schlimmste ist. Dass wir nur Sklaven der Situation sind, sie niemals beherrschen.“

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