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NS-Hinrichtungsraum im Wiener Landesgericht

Jan Hestmann/Radio FM4

Die dunkle Geschichte des Hinrichtungsraums im Wiener Landesgericht

Im Landesgericht Wien gibt es einen kleinen Raum, der von den Nazis als Hinrichtungsraum zweckentfremdet wurde. Über 1200 Menschen wurden dort hingerichtet, darunter viele WiderstandskäpferInnen gegen das NS-Regime. Viele kennen diesen Teil der Geschichte nicht. Im Gedenkjahr 2018 hat ein Symposium auf diesen Widerstand und deren Opfer aufmerksam gemacht. Ein Lokalaugenschein.

Von Jan Hestmann

„Zum Hinrichtungsraum“ steht über dem Eingang des Raums, in den der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, die BesucherInnengruppe führt. Es ist ein sehr kleiner Raum. Bunte Fenstergläser, Kreuz und Altar erinnern an eine Kirche. Eine der Wände ist bedeckt mit goldenen Tafeln mit eingravierten Namen. An der Wand gegenüber hängt das mächtige Bild eines Fallbeils. „1210 Menschen wurden hier im Zeitraum 1938 bis 1945 hingerichtet, darunter 600 Widerstandskämpfer und -kämpferinnen.“ beginnt Forsthuber seinen Vortrag.

1210 Menschen wurden hier im Zeitraum 1938 bis 1945 hingerichtet, darunter über 600 Widerstandskämpfer und -kämpferinnen.

Ursprünglich hat es sich hier um einen einfachen Lagerraum gehandelt, den das NS-Regime im Jahr 1938 zweckentfremdet hat. „Die Nazis haben im Sommer 1938 aus Berlin das Gerät F hierher bringen lassen“, setzt Forsthuber fort. Der Buchstabe F steht hierbei für Fallbeil. An dieses soll das große Bild an der Wand erinnern. Aber auch die Originalfließen des Hinrichtungsraums wurden im Original belassen, ebenso ein Abfluss in der Mitte des Raumes, für das Blut, und ein Wasserhahn, mit dem die Spuren einer jeden Hinrichtung beseitigt wurden.

NS-Hinrichtungsraum im Wiener Landesgericht

Jan Hestmann/Radio FM4

„Gott sei Dank haben sich Widerstandsgruppen und Opferverbände dafür eingesetzt, dass der Raum nach dem Krieg nicht wieder in einen Lagerraum zurückgewandelt, sondern als Gedenkraum verwendet wurde“, sagt Forsthuber im Interview, „man will die bedrückende, furchtbare Atmosphäre hier verdichten, um den Menschen bewusst zu machen, was Willkür und Diktatur bedeutet, was Todesstrafe bedeutet, und dass es ein unglaubliches Privileg ist, in einem liberalen demokratischen Rechtsstaat wie Österreich leben zu können.“

Man will die bedrückende, furchtbare Atmosphäre verdichten, um den Menschen bewusst zu machen, was Willkür und Diktatur bedeutet.

Wenn von Opfern des Nationalsozialismus die Rede ist, spricht man selten von den WiderstandskämpferInnen in Österreich. Ein Symposium im Rahmen des Gedenkjahres 2018 hat darum den Fokus auf die Opfer des Widerstandes gerichtet. Und Orte, die ihnen gedenken gibt es, nicht nur im Wiener Landesgericht. Am Wiener Zentralfriedhof befindet sich eine ihnen gewidmete Gedenkstätte, die sogenannte „Gruppe 40“. Und der Historiker und Autor Willi Weinert hat diesen WiderstandskämpferInnen ein Buch gewidmet, in dem er sie anhand von Archivmaterial ausführlich portraitiert. Es heißt „Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“.

NS-Hinrichtungsraum im Wiener Landesgericht

Jan Hestmann/Radio FM4

Der Abfluss befindet sich nach wie vor im Boden. An dieser Stelle ist das Fallbeil der Nazis, das „Gerät F“ gestanden

Dem Autor war es ein wichtiges Anliegen, diesen Menschen ein Gesicht zu geben. Damit solle nachkommenden Generationen erfahrbar gemacht werden „Aha, da waren 18- oder 19-jährige junge Leut, die Flugblätter geschrieben haben, die an die Front geschickt worden sind“. Oder sie haben in Betrieben Geld gesammelt, im Rahmen der sogenannten roten Hilfe. Das wurde dann den Frauen ausgehändigt, deren Männer im KZ waren oder eingesperrt waren, und die oft mittellos dagestanden sind. „Das war ein wichtiger Aspekt dieses Widerstandskampfes - die Solidarität“, erzählt Weinert, der ebenfalls an der Führung im Landesgericht teilnimmt.

Das war ein wichtiger Aspekt dieses Widerstandskampfes - die Solidarität.

Laut Willi Weinert haben die WiderstandskämpferInnen in der Erinnerungskultur nur einen kleinen Stellenwert. Das hänge auch damit zusammen, dass die Beschäftigung mit diesem Teil der Geschichte in den Schulen lange gebraucht habe, bis sie Bestandteil wurde. Am Ende würde es aber individuell vom Engagement der ProfessorInnen abhängig sein, ob und in welchem Umfang sie darüber unterrichten. Viele würden den 2. Weltkrieg überhaupt nur peripher behandeln und den Widerstand außen vor lassen.

NS-Hinrichtungsraum im Wiener Landesgericht

Jan Hestmann/Radio FM4

Eingraviert in goldene Tafeln: die Namen der WiderstandskäpferInnen

Es sei aber auch festzuhalten, dass der Widerstand gegen das NS-Regime in Österreich minimal war, so Willi Weinert: „Es war eine Minderheit der Menschen, die hier Widerstand geleistet haben. Da kann man Parallelen zu unserer Zeit ziehen: Es ist immer nur eine Minderheit bereit, für etwas einzutreten und Farbe zu bekennen.“

Man kann Parallelen zu unserer Zeit ziehen: Es ist immer nur eine Minderheit bereit, für etwas einzutreten und Farbe zu bekennen.

Dass der Stellenwert der Erinnerungskultur in Österreich so klein sei, habe laut Weinert aber auch damit zu tun, dass die meisten WiderstandskämpferInnen Kommunisten waren: „80% der Hochverratsprozesse waren gegen Kommunisten, und entsprechend waren die Todesurteile. Es gab dann noch einen konservativen Widerstand aber das war’s.“ Spätestens 1949 sei der Antifaschismus im Land vom Kalten Krieg verdrängt worden und man habe über den Anteil der Kommunisten im Widerstand nicht mehr gesprochen.

zurerinnerung.at

Portraits der WiderstandskäpferInnen

Gedenkraum besuchen
Die Gedenkstätte im Landesgericht Wien kann jeden ersten Dienstag im Monat um 15 Uhr im Rahmen einer Führung besucht werden. Treffpunkt: Landesgerichtsstraße 11.

Die Portraits der WiderstandskämpferInnen gegen das NS-Regime können nicht nur in Willi Weinerts Buch „Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“ nachgeschlagen werden, auch online kann man sich einen guten Eindruck machen, auf der Webseite zurerinnerung.at. Biografien, Abschiedsbriefe, Urteilssprüche, die dort gesammelt sind, machen erfahrbar, welche Menschen das waren, die da Widerstand geleistet haben. Die Plattform leistet einen wichtigen Beitrag zur kollektiven Erinnerung an den NS-Widerstand in Österreich.

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