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Jens Friebe

Christian Lehner

rewind 2018

Ex-Spex, Ex-Groove, Ex-Intro

Der Musiker und Musikjournalist Jens Friebe im Interview über das Krisenjahr der deutschen Musikpresse.

Von Christian Lehner

Rewind 2018

Jahresrückblicke auf FM4

2018 war in vielerlei Hinsicht ein Doomsday-Jahr. Szenarien und Drohkulissen wurden wahr, vor denen man seit Jahrzehnten gewarnt hatte und die vielleicht genau deswegen von vielen nicht mehr ernst genommen wurden: Klimawandel, Plastikmüllberge, die Krise der Printmedien. Letztere schlug in Deutschland gleich mehrmals zu und betraf vor allem Musikmagazine. Institutionen der anspruchsvollen Einordnung von Pop wie Intro, Groove und das/die legendäre Spex meldeten die Einstellung ihrer Printausgabe oder machten gleich ganz dicht. Der Satz des Jahres zur Krise kommt vom deutschen Popmusiker und Musikjournalisten Jens Friebe. Er hat im November mit „Fuck Penetration“ eines der besten deutschen Alben 2018 veröffentlicht und gastiert damit am 22. Jänner im Chelsea in Wien. Wir haben Friebe in Berlin zum Interview getroffen.

Christian Lehner: Jens, warum wir hier sitzen, hat auch damit zu tun, dass du einen sehr prägnanten Satz über das abgelaufene Jahr gesagt hast, nämlich: „Vermutlich ist es heute schwieriger, über Pop zu schreiben als selbst Pop zu machen.” Wie hast du das gemeint?

Jens Friebe: Das war in meinem letzten Spex-Interview und in der Frage ging es um die Zukunft des Musikjournalismus. Ich meinte, dass es nicht mehr einfach sein wird, das auch weiterhin zu praktizieren, was sich ja ironischerweise eine Woche später als schicksalhaft für die Spex herausstellte. Zu diesem Zeitpunkt, als ich das Interview gab, wusste ich noch nicht, dass es bereits die vorletzte Spex-Ausgabe sein würde und da wurde der Satz dann unfreiwillig prophetisch.

Was hast du genau gemeint mit dem Satz? Vielleicht das Problem, dass im Internetzeitalter für Printmedien die Anzeigenerlöse zurückgehen, weil weniger Menschen diese Publikationen kaufen?

Für Musiker ist es schwierig, für die Musikpresse noch schwieriger. Das Internet schlägt gnadenloser zu. Die Leute haben überhaupt kein Bedürfnis mehr, sich Artikel durchzulesen, in denen beschrieben wird, wie sich eine Platte anhört, wenn sie sich mit einem Klick schon alle Snippets anhören können und mit einem weiteren Klick das gesamte Album auf Spotify.

Jens Friebe in Berlin

Christian Lehner

Jens Friebe beim FM4-Interview im staatsakt Office in Berlin

Du bist ja beides, Musikmacher und Musikjournalist, leiden beide unter der Krise der deutschen Fachpresse?

Für mich ist das tatsächlich besonders blöd, weil ich in erster Linie in der Presse gewürdigt werde. Spöttisch gesagt bin ich ein „Kritikerliebling“. Da ist es natürlich ungünstig für mich, wenn die Musikpresse nach und nach verschwindet. Aber so ist es nun mal.

Jahrelang hat man darüber gesprochen und jetzt trifft es zu: Intro, Spex, Groove, sogar das Lifestyle-Magazin Neon, von dem man noch vor 10 Jahren dachte, es wäre eine passende Antwort auf das Internet, und auch der britische New Musical Express (NME, Anm.) haben ihre Printausgaben eingestellt oder ganz aufgehört. Ist das gar keine Frage des Internets allein, sondern auch der Generation, die gerade ins Popmusikalter hineinwächst?

Das hängt insofern zusammen, weil diese Generation Musik ganz anders rezipiert, nämlich ausschließlich über das Internet. Dort ist es auch, wo die Musik entdeckt wird. Diese Funktion, die die Spex einmal hatte, also als Zentrale für das Geheimwissen über Pop, die an der Schwelle zum immer neuen coolen Ding stand, das ist vorbei. Diese Vermittlungsfunktion kann eine Zeitschrift nicht mehr haben. Was es auch nicht mehr gibt, ist die hippe Theorie, die die Spex mit Pop verbunden hat. Das gibt es alles nicht mehr.

Hast du für einige der vorhin erwähnten Zeitschriften geschrieben?

Ich habe einmal ein, zwo Sachen für den Musikexpress gemacht, den gibt es ja noch, und dann habe ich viel für das Intro geschrieben. Aber dort habe ich schon eine ganze Weile aufgehört, bevor die eingegangen sind.

Warum?

Nach 10 Jahren habe ich realisiert, dass mir schön langsam die Begriffe ausgehen, und ich sah keine Notwendigkeit mehr, zu erklären, wie eine Platte klingt. Das letzte, was ich noch gemacht habe, war für Kaput („Kaput. Magazin für Insolvenz und Pop“, Anm.) zu schreiben. Das ist das Online-Magazin von Thomas Venker und Linus Volkmann, die vom Intro kamen. Da habe ich die “Platte der Woche” gemacht und mehr geschrieben als je zuvor. Das war 2015. Das hat mir insofern gefallen, weil ich gezwungen war, jede Woche neue Musik zu hören. Da hatte ich kurzfristig den Ehrgeiz entwickelt, alle, also wirklich alle Neuerscheinungen anzuhören.

Ein Ding der Unmöglichkeit und ein weiterer Grund, warum der herkömmliche Musikjournalismus in der Krise steckt. Wo früher über eine überschaubare Anzahl von Veröffentlichungen diskutiert wurde, hat man heute von vielen besprochenen Alben noch nie etwas gehört. Digital bedeutet einfach unfassbar viel Musik.

Umso mehr wäre ein Filtermedium gefragt, weil sich der Einzelne immer schwerer tut, den Überblick zu bewahren. Interessanterweise steigt das Bedürfnis danach aber überhaupt nicht.

Beziehungsweise erledigen das zunehmend die Algorithmen von Spotify und Co.

Mein Ding ist das halt überhaupt nicht. Ich finde so Webradios, wie ByteFM (Online Radio aus Hamburg, Anm.) viel wichtiger. Da gibt es auch eine Vorauswahl, aber die erfolgt noch persönlich durch die Hosts.

Liest du noch Musikmagazine oder treibst du dich auch zunehmend im Netz herum, weil das bequemer ist?

Ich lese schon noch gerne Magazine. Wire mag ich, weil die auch so abgefahrene Jahreslisten haben. Dort erfährt man garantiert, was einem so alles durch die Lappen gegangen ist.

Lass uns in die Zukunft blicken: Wie geht das weiter mit dem Schreiben über Musik? Ist eine Renaissance möglich wie etwa beim Vinyl? Wird es wieder ein Bedürfnis geben nach Einordnung, Kontext und Filter jenseits von Algorithmen?

Ich weiß nicht, ob das Schreiben in klassischen Zeitschriften eine Zukunft hat. Ich sehe hybride Medien, einen ambitionierten Radiojournalismus zum Beispiel, vielleicht auch ganz andere Plattformen, die man sich derzeit noch gar nicht vorstellen kann und wo vielleicht doch wieder mehr geschrieben wird. Egal, was es sein wird, man muss es auch hören können.

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