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Nilüfer Yanya

Hollie Fernando

Nilüfer Yanya verhilft der E-Gitarre zu neuer Geltung

Lange wurde sie als eines der größten Pop-Talente gehandelt, jetzt liegt das Debütalbum von Nilüfer Yanya vor.

Von Christian Lehner

Es tut sich wieder etwas in der Rockmusik, auch wenn sich das noch nicht auf allen Festivalbühnen herumgesprochen hat. Die Gitarre feiert ein Comeback und sie tut es vor allem in Frauenhand. Musikerinnen wie St. Vincent, Courtney Barnett oder Anna Calvi spielen groß auf und gewinnen für die Stromgitarre Terrain zurück, das zuletzt an digitale Tools verloren ging. Besonders gut hörbar wird das bei Nilüfer Yanya. Nachdem die junge Britin wiederholt von der Musikpresse zu einem der größten Pop-Talente erklärt wurde, liegt nun ihr Debütalbum vor. Und es hält, was es verspricht.

Der zentrale Satz im FM4-Interview mit Nilüfer Yanya in Berlin fällt erst gegen Ende des Gesprächs. Die 23-Jährige will sich einfach nicht entscheiden müssen zwischen verschiedenen Genres – „All music is equal“, sagt die sonst eher wortkarge Sängerin und Gitarristin selbstbewusst. „Miss Universe“ heißt ihr Debütalbum. Die erste Single „Heavyweight Champion of the Year“.

Doch die Musik schreit nicht so laut, wie Album und Songtitel suggerieren. Nilüfer Yanya spielt Power-Akkorde mit einer Sensibilität von Jazz, die ihr bereits Vergleiche mit so unterschiedlichen Musiker*innen wie Sade und King Krule eingebracht haben.

All that Jazz(’n’Grunge)

Nilüfer Yanyas Familie stammt aus Irland, Barbados und der Türkei. Als Kind lernt sie klassisches Klavier, dann Gitarre in der Schule bei Dave Okumu. Der ist Gitarrist beim dauerhippen Label Ninja Tune und greift auch für Jessie Ware in die Saiten. Während Gitarrenlehrer*innen üblicherweise sehr viel Wert auf saubere Fingernägel, den Lehrplan und die korrekte Stellung der Greifhand legen (der Autor dieser Zeilen kann davon das ein oder andere Liedchen singen, Anm.), ließ Okumu seiner Schülerin freie Hand in der Wahl der Stücke und konnte offensichtlich auch viele Fragen hinsichtlich Einbettung des Talents in einen Karriereplan beantworten - not too cool for school also.

Nilüfer Yanya beim FM4-Interview in Berlin

Christian Lehner

Nilüfer Yanya beim FM4-Interview in Berlin

Wie derzeit viele Gitarristinnen – allen voran St. Vincent – legt Nilüfer Yanya ihr Gitarrenspiel anders an, als man das von der klassischen Rockmusik her kennt. Die Gitarre drängt und jault sich nicht ständig in den Vordergrund, häufig lässt sie dort aus, wo sie Strukturen schaffen sollte. Während Stücke wie „In Your Mind“ noch eher den klassischen Schemata folgen, stoßen Balladen wie „Heavyweight Champion of the Year“ die Tür weit auf in Richtung Streaming-Pop.

Diese Songs dringen in einen Bereich vor, den man die letzten Jahre zur Tabuzone für die E-Gitarre erklärt hat. „Die Gitarre ist das Instrument, auf dem ich meine Songs schreibe“, sagt Nilüfer Yanya. „Aber für mich ist es nur ein Klang unter vielen. Ich versuche nicht, den Songs einen bestimmten Genre-Charakter aufzudrängen, sondern ihnen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen.“

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Hört hier den FM4 Interview Podcast mit Nilüfer Yanya.

Inhaltlich setzt die junge Britin auf die Spannung zwischen Selbstzweifel und Selbstbehauptung. Als erzählerische Klammer dient ein fiktives Wellness-Institut. Durch das Programm führt die Stimme von „Miss Universe“, die in verschiedenen Skits in Erscheinung tritt.

Dass diese Wellness im Sinn von Orwell(ness) angelegt ist, dämmert den Patienten bereits nach wenigen Takten. Nilüfer Yanya betrachtet Dystopien nicht als Ereignisse, die in der Zukunft liegen, sondern als gelebte Realität (Stichwort Brexit). Diese zusätzliche Spannung lässt das Album zusätzlich vibrieren. Dabei kippt die Britin nie in den Scream-Modus. Ihre dunkle, satte Stimme – neben der Gitarre die zweite Stärke - kann Bedrohung und Paranoia auch in ruhiger Tonlage verbreiten.

So ist „Miss Universe“ ein Album geworden, das gleichermaßen ambitioniert und eingängig klingt. Vom künstlerischen Ansatz her hat Niliüfer Yanya mehr mit Billie Eilish gemein (mit der sie im Pool der BBC-Sound of 2018 Liste war) als mit den meisten Rock-Acts dieser Tage. Hier hat ein Poptalent die Erwartungshaltungen glatt an die Wand gespielt und das ganz ohne Gitarrensolo. Am 21. April kann man sich im Chelsea in Wien von Nilüfers Live-Qualitäten überzeugen.

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