FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Beyoncé mit Cowboy Hut in s/w

Beyoncé / Instagram

Aufreger Country-Musik

Warum Country-Musik Identitätsmusik ist, Beyoncé mit ihren Country-Songs einen Nerv trifft, und was das alles mit den US-Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr zu tun hat.

Von Christian Lehner

Stell dir vor, du sitzt auf deiner Porch, die Truckerkappe tief ins Gesicht gezogen, den Moonshiner-Whiskey fest im Griff. Dein mit MAGA-Stickers vollgeklebter Dodge RAM steht im Schuppen, die woken Gender-Hippies hocken in sicherer Entfernung irgendwo an den Küsten. Alles in Ordnung im Heartland! Doch plötzlich dudelt aus deinem favorite Country-Radio die Stimme von Beyoncé. SOB!

Stimmt, das Szenario trieft nur so vor Klischees. Tatsache ist aber, dass sich noch immer viele konservative Country-Fans schwer damit tun, wenn ein Schwarzer Popstar „ihre“ Musik klaut.

Country und die Cultural Wars in den USA

Denn Country ist wie jede Volksmusik Identitätsmusik. Erst im vergangenen Jahr frohlockte die konservative Reichshälfte der traditionell tief gespaltenen US-amerikanischen Zweiparteiengesellschaft über einen Boom reaktionärer Songs, die weit über die große Country-Bubble hinaus erfolgreich waren.

Da war zum einen „Try That in a Small Town“ von Jason Aldean – ein Country-Schlager wie eine gefährliche Drohung. „Du willst eine alte Frau überfallen? Einem Cop ins Gesicht spucken? Auf der Fahne herumtrampeln? Na, versuch das mal in einer Kleinstadt!“, so Auszüge aus dem Text. Im Videoclip sind Verbrechen zu sehen, die es in der Gedankenwelt Aldeans anscheinend nur in einer Großstadt geben kann. Gegengeschnitten sind die düsteren Bilder mit Aufnahmen von Black Lives Matter-Demos.

Die Band selbst inszeniert sich vor einem Gerichtsgebäude in Tennessee. An diesem Platz lynchte 1927 ein weißer Mob den Schwarzen Teenager Henry Choate. Die Reaktionen auf den Song und das Musikvideo waren entsprechend. Aldean wurde intellektuelle Brandstiftung, Rassismus und Anstiftung zu Selbstjustiz vorgeworfen.

Unbedingte Empfehlung für alle an der Geschichte des Country Interessierten, die mehrteilige Serie „Country Music“ von Doku-God Ken Burns via ARTE. Der Artikel ist vor der Veröffentlichung von „Country Carter verfasst worden.

„Try That in a Small Town“ toppte nicht nur die nationalen Country-Charts, sondern auch die genreübergreifenden Billboard Hot 100, die in den USA noch immer einer der wichtigsten Gradmesser für den Erfolg eines Songs sind.

Ebenfalls auf der Nummer eins – der selbsterklärte Hillbilly Oliver Anthony und sein Song „Rich Men North of Richmond“. Oliver besingt die Leiden des kleinen Mannes in Zeiten der Inflation und Krise. Verantwortlich für alles Übel: die politische Elite nördlich von Richmond, gemeint ist damit die Bundeshauptstadt Washington D.C. Anthony tänzelt in seinem Text um gängige Verschwörungsmythen herum, rückt Politiker:innen in die Nähe von Pädophilie, disst aber auch Sozialhilfeempfänger:innen und hat keine Lust Steuern zu zahlen.

Der große Erfolg der beiden Songs, der durch konservative Influencer:innen und Download-Kampagnen befeuert wurde, ließ so manchen ultrakonservativen Kuhbuben von einer Kulturrevolution im Pop träumen. Donald Trump war entzückt. Der Sommer 2023 gehörte den zeitgemäßen Varianten einer rabiaten Form von Country, die eine lange Tradition im Genre hat, von den Hippie-Schmäh-Songs der 1960er-Jahre wie „Oakie from Muskogee“ bis zu den Hasstriaden eines Hank Williams Jr. gegen alles Liberale im Land.

Country, Identität und Beyoncé

SMI/Columbia

Aufregung und Aufklärung: Beyoncé 2024

Doch im anhebenden Präsidentschaftswahlkampf 2024 hat Trump die mächtigste Gegnerin, die man sich derzeit nur vorstellen kann. Taylor Swift macht zwar keine Country Musik mehr. Und sie hat sich auch noch nicht öffentlich für Präsident Joe Biden, den Kandidaten der Demokraten, ausgesprochen, wie sie das bei den letzten Wahlen getan hat. Aber Swift hat noch immer viele Fans im ruralen Amerika, dem „Country Country“.

Überhaupt: das Genre ist in den USA so populär wie schon lange nicht mehr. Vieles ist in Bewegung geraten. Ein neuer Wind weht durch Nashville. Die Zukunft verspricht bunter und diverser zu werden, als es so manchen Industrieveteranen recht ist.

Da ist zum Beispiel der ehemalige Soldat und Shooting-Star Zach Bryan, der mit seinem hemdsärmeligen Auftreten für Transgender Rechte eintritt. Kacey Musgraves singt abfällig über den „Good Ol Boys Club“ und hebt mit ihrem neuen Album „Deeper Well“ die Kunstform auf ein neues Niveau, während sich Altstar Dolly Parton die E-Gitarre umschnallt und im klassischen Rock wildert.

Lil Nas X stellte mit seinem Trap-Country bereits vor fünf Jahren Genre-Konventionen auf den Kopf und erkämpfte sich die Anerkennung durch die Community. Country ist wieder hip. Lana del Rey hat für 2024 ein Country-Album im Köcher. Independenten Acts wie Adrianne Lenker von Big Thief oder Hurray for the Riff Raff deuten den Alt-Country neu. Pharrell hat für die letzte Winterkollektion von Louis Vuitton Cowboys und Cowgirls über den Laufsteg stelzen lassen.

Country im Aufbruch

In dieser Phase des Umbruchs, der Öffnung und Radikalisierung von Country setzt sich Beyoncé nun einen weißen Cowboyhut auf und tritt breitbeinig in das gleißende Licht des High Noon. Queen Bey hat noch eine Rechnung zu begleichen.

In einem auf Instagram veröffentlichten Statement kritisiert sie indirekt das Country-Establishment in Gestalt der Country Music Association (CMA). Beyoncé performte 2016 gemeinsam mit den Dixie Chicks während der CMA-Awards ihren Country Song „Daddy Lessons“ aus dem Album „Lemonade“.

Die in Houston geborene Beyoncé war schon damals keine Genre-Novizin mehr, ist sie doch wie viele in Texas mit Country-Musik aufgewachsen. Nach dem Auftritt gab es zwar Standing Ovations, als die Kameras abgeschaltet waren, hob jedoch ein Shit-Storm an, der die Legitimität der Performance in Frage stellte. Bereits vor der Award-Show zirkulierte eine Petition, die Beyoncé wegen ihres Supports der Black Lives Matter-Bewegung und ihrer künstlerischen Verneigung vor den Black Panthers kritisierte. Außerdem habe sie keinen Country-Cred, so der Tenor. Viele Postings waren zudem offen rassistisch.

Für zusätzlichen Zunder sorgte der Umstand, dass Beyoncé mit den liberalen Dixie Chicks aufgetreten war. Die hatten während des Irak-Krieges den damaligen Präsidenten George W. Bush offen kritisiert. Die All-Female Band dropte später das problematische Präfix „Dixie“ aus dem Bandnamen und setzt sich immer wieder vehement für Frauenrechte ein. Die CMA reagierte auf den Backlash so unsouverän, wie man das von einer verstaubten Institution erwarten darf und löschte auf ihrer Website alle Hinweise auf den Beyoncé-Auftritt, angeblich aus Urheberechtsgründen.

Der Stachel saß tief. Beyoncé begann sich intensiver mit den Wurzeln von Country zu beschäftigen und siehe da: sie stieß auf eine lange und reiche Geschichte, die so offensichtlich ist, wie sie jahrzehntelang vom selbstverständlichen Claim überdeckt wurde, der den Country als eine Art Alamo des weißen Mannes betrachtet.

Denn wie jede populäre Musik in den USA ist auch die Country-Musik nicht denkbar ohne ihre mannigfaltige Kreuzung mit der Schwarzen Musiktradition des Landes.

Bereits die frühen Formen der Oldtime oder Mountain Music der Appalachen im Südwesten der USA waren eine bunte Mixtur verschiedenster Einflüsse. Die Europäer:innen brachten ihre Volksmusiken mit, die sich mit den synkopierten Rhythmen, Field Songs und Gospels der Nachfahren von Sklav:innen mischten. Die ersten populären Instrumente des Country waren die irische Fiddle und das aus Westafrika stammende Banjo. Die neugeborene Musik expandierte in den Rest des weiten Landes, nicht zuletzt über Medicine- und Minstrel-Shows, und pickte auf ihrem Weg noch viele andere Einflüsse auf.

Country war von Anfang an die Musik der einfachen und armen Menschen – egal welcher Herkunft. Ihre weißen Pionier:innen hatten keine Berührungsängste mit Schwarzen Musiker:innen und umgekehrt. Zur strikten Segregation der Stile kam es erst Anfang der 1920er-Jahre als über das Radio und das Aufkommen der Tonträgerindustrie das kommerzielle Potential von Musik messbar wurde.

Die Folge war die Etablierung von Genres. Schwarze Komponist:innen und Interpret:innen wurden aus dem Country verbannt. Ihre Musik wurde als „race music“ ghettoisiert. Sie galt als unrentabel und moralisch verwerflich. Doch auch der „Hillbilly“-Sound hatte anfangs Probleme, sich zu verbreiten. Auch hier galt das Publikum zunächst als zu arm. Typisch amerikanisch: eine Versicherungsgesellschaft erwarb 1925 den Sender WSM und wagte sich an Country-Musik heran. Als sich in den ärmeren Gegenden des Sendegebiets die Versicherungspolizzen wie heiße Hot Dogs verkauften, begann der kommerzielle Aufstieg des Genres. Aus WSM wurde die Grand Ole Opry, die bis heute erfolgreichste Radioshow des Country-Genres.

Country = Three Chords and the Truth

Trotz Marginalisierung der Schwarzen Musiker:innen blieb ihr Einfluss unüberhörbar. So lehnte sich der Gitarren- und Gesangsstil des ersten modernen Country-Stars, Jimmie Rodgers, klar am Blues an. Rodgers legte sich als Adlib übrigens eine aus dem alpinen Raum entlehnte Gesangstechnik zu und schuf mit seiner „Blue Yodel“-Serie die ersten großen Genre-Hits, auch das gehört zur Geschichte des Country.

In Folge blieb Country mit wenigen Ausnahmen, wie etwa den Erfolgen eines Charley Pride, segregiert. Dabei hört Studien zu Folge fast ein Drittel der Schwarzen Bevölkerung Country-Musik (der Anteil bei den Weißen liegt bei knapp 50%). Dennoch gilt das Genre bis heute als eines der letzten Refugien weißer Männlichkeit. Es ist ein Ort in dem Schusswaffen, Benzinkutschen und der libertäre Patriotismus noch ungestört gefeiert werden. Da schmerzt der Erfolg von Beyoncés Country-Hit „Texas Hold ’Em“ wie ein Stein im Cowboystiefel. Der Song schoss an die Spitze der Country-Charts. Das war zuvor noch keiner Schwarzen Interpretin gelungen.

Die persönliche negative Erfahrung, das Wahljahr, der Hipness-Faktor – all diese Kriterien dürften eine Rolle gespielt haben im Timing von Beyoncés Country-Projekt. „Act II, Cowboy Carter“, so der Titel, ist Teil einer Legacy-Trilogie. Teil eins, mit dem Namen „Renaissance“, verneigte sich sehr erfolgreich vor der Schwarzen queeren Clubkultur. Man darf gespannt sein, was die Pop-Queen für Teil drei aus dem Halfter zieht. Gewonnen hat Beyoncé ohnehin bereits vor der Veröffentlichung des Albums. Der im ersten Absatz beschriebene Typus wird sich wohl oder übel mit den Grundlagen seiner Lieblingsmusik auseinandersetzen müssen, das gilt übrigens auch für viele Allies.

Beyoncé mag zwar in der Promotion-Kampagne wie eine auf Rache sinnende Revolverheldin auftreten, ihre kulturelle Vision ist aber eine noble. So schreibt sie auf Instagram: „My hope is that years from now, the mention of an artist’s race, as it relates to releasing genres of music, will be irrelevant.“ Howdy!

Wie es gesellschaftsverbindend funktionieren kann, haben etwa Luke Combs und Tracy Chapman bei den diesjährigen Grammys mit der Darbietung von „Fast Car“ demonstriert. Eine queere Schwarze Protestsängerin und ein gestandener Country-Star rühren Millionen Zuseher:innen zu Tränen. In diesem Moment waren die USA tatsächlich The United States of America.

Aktuell: