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Ezra Koenig / Vampire Weekend

Monika Mogi

fm4 artist of the week

Vampire Weekend: „I’ve been cheating through this life“

Die ehemalige New Yorker College-Posterboy-Rockband Vampire Weekend veröffentlicht nach sechs Jahren Pause ihr viertes Album „Father Of The Bride“. Von der Kunst, sie alle zu täuschen: Unsere FM4 Artists Of The Week.

Von Lisa Schneider

Wir beginnen mit einer Hochzeit. Braut und Bräutigam sind am Weg, vielleicht stehen sie schon vorm Altar. Aber Moment. „I know the reason why you think you’re gonna leave“ singt der Bräutigam, „I can’t carry you forever, but I can hold you now“. Lieben ist Verlassen, Lieben und Leben ist Täuschen am neuen, hervorragend betitelten Album von Vampire Weekend: „Father Of The Bride“.

Polohemden, Parties, Popsongs

Sechs Jahre sind vergangen, seit Vampire Weekend ihr mit einem Grammy ausgezeichnetes letztes, drittes Album „Modern Vampires Of The City“ veröffentlicht haben. 2006 treffen sich die Mitglieder am Columbia College in New York, vier Freshmen, bereit für die Welt und das, was sie ihnen zu bieten hat. Hoch verschuldet nach dem Studium, so wie es den meisten amerikanischen Studenten geht. Mit einer kleinen Idee im Kopf, aber nicht der naiven Hoffnung, von der Musik leben zu können. Ezra Koenig schreibt über das privilegierte, akademische Leben eines weißen, jungen Mannes in New York. Vampire Weekend sind die Vorzeige-Collegeband, das ist gut und nervig zugleich. Aufgestellte Polokragenhemden, kluge Texte, hinein in den Aufschwung der vor allem britischen Gitarrenmusik, die aber auch in Amerika zu diesem Zeitpunkt ganz gut zieht.

Wie so oft, wenn das erste Album gut ankommt, schreibt die Band ein zweites, das ähnlich klingt. „Vampire Weekend“ und „Contra“ sind zwei teils spröde, aber immer von sonnigem Beach- und Surfrock angehauchte Alben, die kluge Studentenparty eben. Festivalhits. Große Touren. Große Welttourneen. Danach kommt, wie programmiert, das dritte Album, und das muss tiefer gehen. Verlust und Tod sind die Themen, das musikalische Durchwurschteln der Quarter-Life-Crisis. Ezra Koenigs Stimme wird wohl nie die Frische eines 20-jährigen verlieren, nur das Leben und seine Schattenseiten suchen sich andere Wege.

Eine Chronik der Ereignisse

Sechs Jahre also, um einmal aufzuatmen nach dem Welterfolg. Untätig natürlich nie: Während der bandeigene Produktions-Wizard Rostam Batmanglij sein sehr gutes Soloprojekt veröffentlicht und in seinem Studio Leute wie Frank Ocean, Solange oder HAIM ein- und ausgehen, hosted Ezra Koenig seine eigene Radioshow, arbeitet an der animierten Netflix-Serie „Neo Yokio“ und schickt Diplo ein Demo, das schließlich auf Beyonces fabelhafter „Lemonade“ landen wird.

Ezra Koenig lässt New York hinter sich, zieht nach L.A. Weil sich dort musikalisch eben immer noch das Wichtigste abspielt. „Father Of The Bride“ ist eine kleine Chronik dieser Fortbewegung, musikalisch wie familiär.

Die Themen des Albums ähneln dem des Vorgängers, „Modern Vampires Of The City“: lieben, verlieren, zu viel nehmen, zu wenig geben. Am Ende ist jeder für sich alleine, also leb’ ihn, den guten Moment, der morgen schon alt sein wird. Im vorhin erwähnten Albumopener „Hold You Now“ zeichnet sich ein Muster ab, die Hochzeitsmetaphorik, aber nicht auf einer religiösen Ebene, sondern auf der rein zwischenmenschlichen. Ezra Koenig scheint gefangen zwischen dem Wunsch, das gute, große, gern auch kitschige Glück zu finden. Und dem Wissen, zuviel erlebt zu haben, um jemals ganz glücklich zu sein: „Things have never been stranger, things will always stay strange“ („Strange“).

Das Licht im Dunkel finden

Und so schwer das alles klingt, das Album ist es nicht. Jangle-Pop auf „Harmony Hall“, inklusive wortlosen „Uuuh-uuuh“-Mitsing-Refrains, das Klatschen immer lauter. Übertrieben gute Streicher auf „Rich Man“, ein kleiner moody Jazz-Ausflug auf „My Mistake“. Nihilistisches Gedichterezitieren auf „Big Blue“. Groove-Piano, schlackernde Percussions, und immer noch oder jetzt noch mehr der gute alte Rock’n’Roll. Ezra Koenig schreibt sich durch die Musikgeschichte von Fleetwood Mac bis Randy Newman, wobei rauskommt, was rauskommen muss: ein sage und schreibe 18-teiliges Album, bei dem jeder Song ein anderes emotionales Mindset verlangt.

Ezra Koenig witzelt, er habe eigentlich überlegt, gleich zwei Alben mit selbigem Umfang zu veröffentlichen - das Material wäre da gewesen. Jetzt betrachtet er sein bisher längstes Album als eine Art verlängerter Playlist - so, wie Musik eben heute konsumiert wird. Bleibt man aber beim schon fast retroschick angehauchten Begriff „Doppelalbum“, ist der Weg nicht weit, an Bruce Springsteen mit „The River“ zu denken. Auch Ezra Koenig wächst in New Jersey auf - und anders, als viele denken, kämpft auch er sich langsam nach oben.

Was Ezra Koenig mit „Father Of The Bride“ jetzt vorlegt, ist nicht nur genretechnisch ein erfrischender Wurf. Manche hätten sich vielleicht gewünscht, Vampire Weekend würden die etwas eingeschlafene New Yorker Rockmusik wieder zum Glänzen bringen. Ezra Koenig hat andere Pläne. Nämlich alle ein bisschen auf den Arm zu nehmen.

Um die Ecke gedacht

„Father Of The Bride“ ist voll kleiner, versteckter Hinweise, eine Schnitzeljagd, die entweder unerkannt bleiben oder genossen werden soll. Ezra Koenig verhackt im Song „Hold You Know“ den Hans Zimmer’schen Soundtrack zum schwersten Terence Malick-Schinken aller Zeiten, „The Thin Red Line“. Zwischen Ezra Koenig’s und Danielle Haims (sie leiht auch auf den Songs „Married In A Gold Rush“ und „We Belong Together“ ihre Stimme) sehr folkig abgewechselten Parts donnert besagtes Sample, ein Chor, hinein. Die Brüche im Song sind so brutal, und so schlecht geschnitten, das kann nur Absicht sein. „Alright“ ruft Ezra Koenig am Schluss noch ins Mikro. Das war nur der erste Streich.

Cover "Father Of The Bride" von Vampire Weekend

Columbia

„Father Of The Bride“ von Vampire Weekend erscheint via Columbia.

Das Albumcover zeigt den Erdball, rundherum den Schriftzug „Father Of The Bride“. Mittig und unangemessen überdimensional steht der Labelname. Das kann eigentlich niemand so wollen. Es geht weiter: „Father Of The Bride“ heißt, wie viele sicher wissen, auch ein amerikanischer, nostalgischer Cool-Dad Film mit Steve Martin. Die heile Welt in der Vorstadt, in der es neben der Auswahl der richtigen Hochzeitstorte keine Krisen gibt. Natürlich nennt Ezra Koenig sein Album genauso. Damit alle Journalist*innen ihn weiterhin mit der Frage nerven können, wie sehr die Vaterschaft sein Songwriting beefinlusst hat. Und er sich genüsslich zurücklehnen, ihnen direkt in die Augen blicken kann und sagen: „It has not“.

Auf wiederkehrende, wenn auch nur in die Faust gezischte Vorwürfe, wie sich ein weißer, junger Amerikaner ab dem ersten Album die afrikanische Gitarrentradition aneignen wolle, schreibt Ezra Koenig einen Song. Er heißt „Unbearably White“. Nicht nur sein weiß Sein ist ihm als Vorteil und Krux bewusst, er wirft auch noch sein Jüdischsein in den Ring: „Beneath these velvet gloves I hide / The shameful, crooked hands of a moneylender / Cause I still remember“ singt er im Song „Harmony Hall“.

Der beste Song, der beste Trick ist aber „This Life“. Er beginnt mit der hervorragenden Opening-Zeile: „Baby, I know pain is as natural as the rain / I just thought it didn’t rain in California“. Sein früher auf Phrasen aufgehängtes, impressionistisches Songwriting tauscht Ezra Koenig gegen die direkte Variante. Die alte, plumpe Wahrheit über den Schmerz, auch Ezra Koenig hat ihn erlebt. Und hat beschlossen, mit ihm zu spielen. Nicht sein College-Abschluss hat ihn so klug werden lassen. Sondern alle Erfolge, Rückschläge, gegen ihn vorgebrachte Vorwürfe. Das Leben eben: „You’ve been cheating on me, but I’ve been cheating through this life“.

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