FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Schauspielerin Adele Haenel und Viennale Direktorin Eva Sangiorgi

APA/HANS PUNZ

Brennende Blicke bei der Viennale-Eröffnung

Die Viennale ist gestern in Anwesenheit von Schauspielerin Adele Haenel mit dem Spitzenfilm „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ eröffnet worden. In den Eröffnungsreden wird das Kino als Ort der Reflexion, Ort, der Menschen zusammenbringt und als Erinnerungsmaschine beschworen. Ich hab meinen Stift im Kinosaal verloren und werde meine eigene notizenlose Erinnerungsmaschine.

Von Pia Reiser

Windjammer steht da als einziges Wort im extra noch in die kleine Tasche geschlichteten Notizbuch. Kurz nachdem ich das Wort notiert habe, verliere ich bei einem kleinen Sitzplatzwechsel-Manöver meinen Stift im Gartenbaukino und bin also auf mein Gedächtnis, meine Erinnerung angewiesen. Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi weist in ihrer Eröffnungsrede auch auf das Kino als ewige „memory machine“ hin - und auf die „Notwendigkeit des Widerstands“. Ich erinnere mich an eine Viennale-Vorbereitungssitzung, wo jemand erzählt hat, auf die Frage, was ihr Lieblingswort der deutschen Sprache sei, hat sie Widerstand geantwortet. Kino kann Widerstand sein, Kino kann Transformation sein.

Trotz des Kinos als Erinnerungsmaschine ist Sangiorgi - und ihre Viennale - im Hier und Jetzt und eher im Morgen als im Gestern verankert. Sangiorgi zählt Hongkong, die Ukraine, die Türkei als aktuelle Orte des Aufruhrs auf und nicht nur Brasilien wäre entflammt, wie in der Kinematografie der diesjährigen Viennale, sondern auch Ecuador und Chile. Wenn doch der Blick zurückgeworfen wird am Eröffnungsabend des Filmfestivals, dann nicht aus Nostalgie, sondern als Würdigung. Und weil wohl nur Erik Pleskow Erik Pleskow gerecht werden kann, erfolgt ein Zuspieler. Die Eröffnungsrede des kürzlich verstorbenen, langjährigen Viennale-Präsidenten aus dem Jahr 2012 wird eingespielt, beißend und komisch hat Pleskow damals Kritik an Österreich geübt, dem Untersuchungsausschuss zur Klärung von Korruptionsvorwürfen, der nichts gebracht hat, die Burschenschafter, die tanzen gehen, das Treffen am Ulrichsberg. Österreich, same as it ever was! Aber etwas hat sich doch verändert. Damals 2012 waren mit Pleskow, Andreas Mailath-Pokorny und Hans Hurch drei Männer auf der Bühne des Gartenbaukinos, der anwesende Ehrengast war Michael Caine, der Eröffnungsfilm „Argo“ von Ben Affleck. Mit Ben Affleck in der Hauptrolle.

Österreich bleibt nicht in jeder Hinsicht „same as it ever was“

Gestern - und das beste ist, dass es einem eigentlich gar nicht auffällt, bis man die Aufzählung beginnt - sind es nur Frauen, die zu Wort kommen und auf die der Blick gerichtet ist. Da ist Sangiorgi, Schauspielerin Adele Haenel, Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und die Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler, die zugibt, ihre Rede mehr oder minder kübeln zu müssen, weil Bierlein vieles vorweggenommen hat und Kaup-Hasler gibt weiter überrascht zu, dass es lange her ist, dass sie einem/r Bundeskanzler/in zustimmen konnte. Bierlein spricht vom Kino als Ort der Reflexion, auch was die Rolle und Repräsentation von Frauen angeht.

Der erste Film, den sie je im Kino gesehen hat, beantwortet Bierlein die Frage, die Moderatorin Miriam Hie zuvor in den Saal geworfen hatte, sei „Windjammer“ gewesen - deswegen das Wort in meinem Notizbuch. „Windjammer“ ist eine Dokumentation über die Reise eines Segelschulschiffs von Oslo über die Karibik nach New York. Es ist einer der wenigen Filme, die in dem Breitwandverfahren „Cinemiracle“ gedreht worden sind - das erzähl ich jetzt euch, Bierlein ist hier nicht abgeschweift - und Cinemiracle ist wohl auch ein Wort, das den Eröffnungsfilm „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ recht gut beschreibt. Ein inszenatorisches Wunder, was Kostümfilm-Konventionen angeht und noch mehr, was die Blicke auf der Leinwand angeht. Gaze und gays in einem Film, besser wirds nicht.

Szenenbild "Porträt einer jungen Frau in Flammen"

Filmladen

Eine Malerin (Noemie Merlant) soll das Porträt einer junge Adeligen (Adele Haenel) anfertigen, die hat allerdings schon einen Maler vergrault und Modell sitzen will sie auch nicht. Deswegen wird ihr die Malerin als Gesellschafterin vorgestellt, die dann heimlich die schöne Heloise auf Leinwand verewigen soll. Und so wirft Marianne lange, interessierte Blicke auf Wangen, Ohren, Hände von Heloise, zuerst aus rein beruflichem Interesse. Doch während die beiden Frauen an den Klippen wandern, aufs Meer schauen und langsam aus ihren so unterschiedlichen Leben erzählen, entsteht eine Freundschaft, ein Begehren, Liebe.

Doch die Liebesgeschichte ist fast nur die finale Glasur eines unglaublichen Stück Kinokuchens. Der Teig, mal schauen, ob sich die Metapher ausgeht, ist die weibliche, klassenübergreifende, ja fast anarchische Solidarität, die sich zwischen der Malerin Marianne, der Adeligen Heloise und dem Dienstmädchen Sophie entspinnt, als Heloise Mutter (Valeria Golino aus „Hot Shots“!) für ein paar Tage verreist.

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ startet am 13. Dezember 2019 regulär in Österreich.

Auf der Halbinsel Quiberon entsteht eine gelebte gesellschaftliche Utopie. Die Adelige kocht, das Dienstmädchen probiert sich am Stickrahmen, die Porträtmalerin beobachtet und lacht. Heloise liest Ovids Text zu Orpheus und Eurydike - und der Film wird das Bild der beiden Geliebten noch zweimal wunderschön aufblitzen lassen. Es wird Wein getrunken, Karten gespielt mit bewusstseinserweiternden Substanzen experimentiert. Wie Sciamma den Umgang mit einer ungewollten Schwangerschaft inszeniert ist so überraschend wie auch irrwitzig, dass ich dazu gar nichts mehr schreiben sollte. Muss man selbst gesehen haben, so wie auch den Rest dieses herrlichen Films. „When you’re observing me, who do you think I’m observing?“, fragt Heloise Marianne und spricht knapp an, worum sich der Film auch dreht: Blicke. Heimliche, sehnsuchtsvolle, inszenierte. Mariannes Blick ist ihr Werkzeug als Malerin, ihre gesammelten Blicke festgehalten auf Öl werden zum Kunstwerk, zur Erinnerung. Und die Kunst formt, wer wir sind, auch davon erzählt „Porträt einer jungen Frau in Flammen“.

Und jetzt auf mit uns allen in die memory machine, die Blickfabrik namens Kino, die Viennale ist eröffnet!

Aktuell: