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Dynomite, der Sieger des Protestsongcontests

Christian Stipkovits/Radio FM4

Protestsongcontest

Protestsongcontest 2020: Ein turbulenter Abend mit einem verdienten Sieger

Große Debatten, eine Belastungsprobe für die Streitkultur und mit Rapper Dynomite ein charismatischer Gewinner am Ende eines turbulenten Abends: Das war der Protestsongcontest 2020 im Wiener Rabenhof.

von Michaela Pichler

Der Sieger war am 13.2. in FM4 Connected im Interviewzu hören, den ganzen Protestsongcontest - heuer mit extraviel Streit - gibt es hier als Video.

Am Ende des Abends steht der Gewinner fest: Er heißt Dino Izić und hat unter seinem Rapper-Namen Dynomite einige neue Fans für sich gewonnen. Begonnen hat der Abend mit zehn Finalist*innen beim diesjährigen Protestsongcontest auf der Bühne des Rabenhoftheaters. So unterschiedlich die Protest-Themen diesmal waren, so sehr sind auch die Meinungen auseinander gegangen. Denn so streitlustig war es schon lange nicht mehr beim Protestsongcontest.

Angefangen hat ja eigentlich alles heiter und fröhlich, mit dem Chor der Wiener Arbeitersänger. Auch dieses Jahr führte Schauspieler Michael Ostrowski mit schneidigem Outfit („1€-Dreireiher vom Humana“) durch den Protestabend. Sechs kritische Augenpaare saßen auf den Jury-Sesseln: Österreichs bekanntester Hass-Youtuber und Spritzer-Liebhaber Michael Buchinger, FM4-Urgestein Martin Blumenau, Eva Klampfer aka Lylit, Kim Chakraborty vom Instagram-Account „Antiflirting“,der Musikergilden-Gewerkschafter Peter Paul Skrepek und Sängerin Tini Trampler. Als siebentes und maßgeblich entscheidendes Jurymitglied konnte wieder auch das Publikum im Rabenhof und zu Hause dank Online-Voting mitbestimmen.

Die Punkteverteilung beim PSC20

Chili Gallei

Und so hat die Jury abgestimmt.

Viel Diskussionsbedarf, etwas Streit

Seit 2004 ist der Protestsongcontest ein lautstarkes Megafon für Gesellschaftskritik. Der musikalische Schlagabtausch findet jedes Jahr am 12. Februar, im Gedenken an den österreichischen Bürgerkrieg 1934, im Rabenhoftheater statt.

Vielfältig war es heuer nicht nur musikalisch mit Flamenco-Gitarren, Bombap, Soul und Funk, Rap-Balladen und Singer-Songwritertum. Auch inhaltlich wurde ganz unterschiedlichen Themen ein Sprachrohr geboten: Protestiert wurde gegen Propaganda von Rechts, gegen reiche Oligarchen, gegen Klimawandel-Leugner, gegen Grenzen im Kopf, gegen Milliardäre, die Kulturförderung vom Staat beziehen, und gegen patriarchale Strukturen.

Letztere führten den ganzen Abend hindurch zu einigen Diskussionen. Denn gestritten wurde viel, vor allem übers Binnen-I, das Patriarchat und über Meinungsfreiheit. Wenn sich Peter Paul Skrepek als größter Boomer des Abends für das generische Maskulinum ausspricht, gibt es Gegenstimmen aus dem Publikum.

Die Jury beim Protestsongcontest

Christian Stipkovits/Radio FM4

Den größten Disput gab es allerdings gar nicht zwischen den Artists und der Jury oder zwischen einzelnen Jury-Mitgliedern, sondern zwischen Moderator Michael Ostrowski und dem Publikum. Nach der letzten musikalischen Darbietung wollte dieser nämlich von der Künstlerin Marie wissen, ob das Patriarchat überhaupt noch ein aktuelles Problem darstelle. Was danach folgte, war nicht schön mitanzusehen. Während sich die befragte Band erklärte und aktuelle Beispiele für das sehr wohl präsente Patriarchat benannte, musste sich Moderator Ostrowski einem empörten Publikum stellen. Was davon übrig blieb? Gekränkte Egos auf der Bühne und ein bisschen Fremdscham und verwunderte Fragezeichen im Publikum. Der absolute Tiefpunkt des Abends war hiermit erreicht. Erst später, als PSC-Gründer Gerald Stocker kurz das Mikro ergreift, wird man ein bisschen drüber lachen können - oder versucht es zumindest. "Es ist nicht immer leicht mit so vielen unterschiedlichen Meinungen, aber genau davon lebt auch diese Veranstaltung!“

Ein Licht am Ende des Stimmungstunnels

Sigrid Horn, die vergangenes Jahr mit „baun“ den Protestsongcontest gewonnen hatte, musste die gekippte Stimmung wieder hinbiegen. Als dann allerdings die Jury bereit war, ihre Ergebnisse zu präsentieren, ging der Abend doch noch mit einem versöhnlichen Ereignis zu Ende: Den Protestsongcontest 2020 hat nämlich der überaus charismatische Rapper Dynomite wohl verdient gewonnen – eine Wahl, auf die sich schließlich am Ende dann doch alle einigen konnten. Mit dem Rap „1992“ und seinem Protest gegen Krieg konnte Dynomite beim Publikum sowie bei der Jury punkten. Um es mit den Worten von Martin Blumenau zu sagen: Da geht die Sonne auf, wenn der Typ auf die Bühne kommt! Und mit dieser Sonne endet ein Protestsongcontest, dessen turbulente Stimmungs-Achterbahnfahrt wohl in die Veranstaltungs-Annalen eingehen wird.

Rare Friends

Die Band Rare Friends betreten als erste Finalist*innen die Bühne im Rabenhof. Mit im Gepäck haben sie ihren Protestsong „Wer hilft, ist nicht gut“ – inspiriert durch ein Zitat von Ute Bock. Mit der Nummer gedenken sie nicht nur der verstorbenen Aktivistin, sondern protestieren auch gegen die soziale Kälte. Eine bluesige E-Gitarre und eine Ziehharmonika, Schlagzeug und E-Bass begleiten Corina Spreitzers Gesang, während von der Seite durch eine Querulantin Stammtischparolen in Wienerisch dazwischen geraunzt werden. „Man sollte an das, was Ute Bock geschaffen hat, unbedingt ganz lange erinnern.“ Das wird vom Publikum mit viel Applaus belohnt.

Rare Friends

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Peter Paul Skrepek: Am Schluss ist das ganze explodiert, es hat eine richtige Gänsehaut hervorgerufen – und das ist erste Klasse, wenn man das in diesem Rahmen schafft zu erzeugen!

Das Insekt des Jahres

Als Das Insekt des Jahres auf die Bühne tritt, ist kein Käfer oder keine Ameise zu sehen, sondern der Solokünstler Joachim Engel, der eigentlich Religionslehrer ist, mittlerweile ist er aber auch schon ein Altbekannter beim Protestsongcontest: Mit seiner Hip-Hop-Combo There Is Something To Be Learned hat er es bereits zweimal ins Finale geschafft. Heuer tritt er mit dem Singer-Songwriter-Projekt Das Insekt des Jahres mit dem Song „Mensch“ auf, auch hier spielen Parolen eine Rolle, gegen die er neben Verschwörungstheorien und Rassismus seine Stimme erhebt.

Das Insekt des Jahres

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Michi Buchinger: Ich finde, es war super, ich liebe ja nichts mehr als einen guten Rap. Es waren viele gute Reime dabei und ich habe aufgepasst im Deutschunterricht!

Mehr Infos zu allen zehn Final-Acts und die Lieder findet ihr hier.

Wonach Wir Suchen

Sieben Stunden ist die Band Wonach Wir Suchen aus Leipzig extra für ihren Auftritt angereist. Der Song, den sie präsentieren, kommt aber aus Berlin. „Ressentiments“ stammt ursprünglich aus der Feder des autonomen Liedermachers Yok. Wonach Wir Suchen interpretieren die Protest-Nummer über omnipräsente Vorurteile mit rauchiger Stimme und Dreivierteltakt und wirken dabei gut eingespielt. Das hat wohl auch viel mit ihrer Bandgeschichte zu tun, denn Wonach Wir Suchen hat als Straßenmusikprojekt begonnen.

Wonach Wir Suchen

Christian Stipkovits/Radio FM4

Peter Paul Skrepek: Tini hat gemeint, der Sänger hat eine geile Stimme, und dem schließe ich mich an. Hier hat es sich gezeigt, wie wichtig es ist, wenn richtige Musiker auf der Bühne sind. Was mir wirklich gefallen hat, war die Ambivalenz des Textes.

Martin Blumenau: Ich muss da widersprechen: Mir gehen die Henning-May-Imitatoren à la AnnenMayKantereit extrem am Oasch!

KD/E-5

Ein sperriger Künstlername, der zum ebenso mühseligen Thema passt: Beim KD/E-5 handelt es sich nämlich um ein Förderantrags-Formular, das es in Oberösterreich gibt, um Kultursubventionen zu erhalten. Der Song „Kulturgetriebe“ ist damit der konkreteste Protest in diesem Jahr. Der oberösterreichische Musiker David Haider besingt darin mit seiner Band den Förderfall von Stefan Pierer und dem Unternehmen KTM. Der Milliardär hat das Formular KD/E-5 für einen Showroom ausgefüllt, Förderung beantragt und diese daraufhin auch erhalten. „Wir finden es einfach unfair, dass Milliardäre aus dem Kulturtopf Geld beziehen, wenn andere Kulturinitiativen aufgrund von zu wenig Budget zusperren müssen.“ Noch nie hat es so einen energetischen „KTM“-Chor gegeben, der auch auf das Publikum überspringt. Melodica-Solo inklusive.

KD/E-5

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Lylit: Ich komme aus dem KTM-Umland und es war fantastisch! Wenn sich starker Inhalt und fantastisches Handwerk treffen, dann kommt so etwas dabei raus.

Kay Dee

Kay Dee ist dieses Jahr die jüngste Finalistin beim Protestsongcontest. Die fast 17-jährige Schülerin aus Wien begleitet sich mit E-Piano, als sie ihren Song „Revolution“ präsentiert, der erste englische Song des Abends. Mit Rock-röhrender Alt-Stimme plädiert Kay Dee an die Gesellschaft, endlich aufzuwachen und auch mal das Smartphone auszuschalten. „Ich wollte mit meinem Lied vor allem viele junge Menschen ansprechen, dass sie endlich mal Dinge kritisieren und merken, dass wir alle was verändern können!“

Kay Dee

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Kim Chakraborty: Ich finde es total beindruckend, in dem Alter schon so eine starke Stimme und Meinung zu haben und diese auf der Bühne so zu präsentieren!

Löven

Die Band Löven wird von vielen Fans im Publikum von Anfang an herzlich begrüßt. Löven protestieren nach innen, quasi als introspektive Fraktion und als Selbstreflektion. Vor ein paar Jahren sang das Wiener Trio noch auf Englisch, in ihrem Protestsong „Achtungfertig“ widmen sie sich mit deutschem Text der Ohnmacht, die zwischen all den Ungerechtigkeiten auf der Welt in einem selbst immer wieder aufkommt. „Ich würd die Welt gern verändern, doch mir fehlt leider die Zeit“, singen Löven zu stampfendem Pop, während sie das Publikum zum Mitsingen auffordern.

Löven

Christian Stipkovits/Radio FM4

Kim Chakraborty: Eine tanzbare Nummer, schade, dass ich gesessen bin.

Lylit: Da war ja jetzt irrsinnig viel dabei – Fleischkonsum, Fast-Fashion, und noch viel mehr. Und ich habe mir gedacht, geht sich diese Easy-Listening-Nummer mit dem schweren Inhalt aus? Für mich nicht ganz.

Dynomite

Mit „1992“ tritt der Rapper Dynomite auf – einer der heimlichen Favoriten dieses Jahr. 1992 ist das Jahr, an dem Dino Izić aka Dynomite mit seinen Eltern nach Österreich kommt, auf der Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg. In Vöcklabruck hat er schließlich mit Rap begonnen, beim Protestsongcontest erzählt er vom Krieg, von seiner Fluchterfahrung, von dem Gefühl, zwischen den Stühlen zu stehen, zwischen verlorener Heimat und neuer Hoffnung. Die Lines sitzen und das Publikum ist ganz auf seiner Seite, Dynomite erntet den überschwänglichsten Applaus.

Dynomite

Christian Stipkovits/Radio FM4

Peter Paul Skrepek: Eine außergewöhnliche Vorführung haben wir hier erlebt. Er ist eine Persönlichkeit, die nicht zerbrochen worden ist durch diesen Krieg. Er hat alles richtig gemacht!

Da Jo feat. El Tobo

Die nächste Band bringt Flamenco-Gitarren und Cajón-Rhythmen auf die Bühne – im Dialekt-Lied „Oligarchen“ geht es nicht unbedingt um den Ibiza-Skandal per se, aber um die Schere zwischen Arm und Reich, die immer größer wird. „Und wenn wir schon einen ernsten Song schreiben, dann finden wir es gut, wenn er auf einer fröhlichen Note endet.“

Da Jo feat. El Tobo

Christian Stipkovits/Radio FM4

Lylit: Es ist für mich ein bisschen schwer, etwas dazu zu sagen, weil ich gehöre zu der Minderheit der Cajón-Hasserinnen!

Tini Trampler: Über das denkt man schon seit zwei Jahrhunderten nach und die sterben noch immer nicht aus, ich weiß nicht, ob das ein Protest ist. Die Menschheit entwickelt sich nicht weiter. Mir kommt vor, das war vor zwanzig und vor dreißig Jahren schon so. Es ist total wichtig, aber, jo eh. Aber die Musiker sind großartig, ich liebe sie!

DLIA feat. DJ Robert Smith

DLIA ist eigentlich eine sechsköpfige Hip-Hop-Formation aus Ravensburg, die ihren Sound mit einem Mix aus Bombap-, Soul- und Funk unterfüttern. Mit „Feuer & Flamme“ zünden sie beim Protestsongcontest symbolisch das innere Feuer an. Thematisch geht es um die Anerkennung von sozialen Berufen in Deutschland.

DLIA feat. DJ Robert Smith

Christian Stipkovits/Radio FM4

Michi Buchinger: Es war eh schön - es war einfach nicht so mein Fall. Die mysteriöse Geisterlady, die nicht da war, aber gesungen hat, die war mein liebster Teil. Also Kompliment an die Dame der Nacht.

Marie feat. Def Ill

Auch der letzte Act ist dem Genre Hip Hop entsprungen: Marie aus Kärnten ist eigentlich Produzentin, mit ihrem mittlerweile sechsköpfigen Bandprojekt sampelt sie im Song „Trying“ die US-amerikanische Menschenrechtsaktivistin Angela Davis, die beim Women’s March 2017 mit einer Rede die Welt bewegt hat. „Resistance in our art and resistance in our music“, dröhnt Angela Davis aus den Boxen, an der Leinwand werden Videoaufzeichnungen vergangener Feminismus-Wellen übertragen. Da werden die Fäuste im Publikum nach oben gestreckt.

Marie feat. Def Ill

Christian Stipkovits/Radio FM4

Kim Chakraborty: Darauf habe ich den ganzen Abend gewartet, ein Lied gegen das Patriarchat. Aber es war mir im Song ein bisschen zu unkonkret formuliert.

Der Protestsongcontest komplett in der Videoaufzeichnung

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