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Soccer Mommy

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Soccer Mommy ist unser Artist of the Week

Die 22-jährige Singer-Songwriterin Sophie Allison alias Soccer Mommy veröffentlicht ihr zweites Album „Color Theory“. Über Selbstzweifel und Perfektionismus, innere Konflikte und schwere Gedanken auf Tour.

Von Michaela Pichler

Soccer Mommy gehört einer Generation junger Singer-Songwriter an wie Snail Mail, Lucy Dacus, Phoebe Bridgers oder Ilgen-Nur, die sich die E-Gitarre zurückerobern, manche verrotzt-rockiger, andere wiederum mit vermehrt poppigen Nuancen. „Chill but kinda sad“ steht auf Soccer Mommys Bandcamp-Account als Sound-Bezeichnung geschrieben.

Bereits im Alter von fünf Jahren beginnt diese Sound-Findung, als Sophie Allison, die Frau hinter Soccer Mommy, mit der akustischen Gitarre ihre eigenen Songs schreibt. Aber nicht nur die Gitarre war für Allison ein wichtiger Einfluss in Sachen musikalische Sozialisation – aufgewachsen in der „Music City“ Nashville, Tennessee, singt sie zu Musik von Ashley Simpson und Avril Lavigne. Das zweite Album der kanadischen Skate-Pop-Ikone „Under My Skin“ war Soccer Mommys erste CD, damals in den 2000ern. Aber auch zu Bruce Springsteen ist durchs Kinderzimmer getanzt worden. Mittlerweile ist Soccer Mommys Cover von „I’m On Fire“ ein fixer Bestandteil in ihrem Live-Set.

Hört man sich jetzt den Sound der mittlerweile 22-jährigen Solokünstlerin an, kommen einem vor allem Assoziationen mit den späten 90er-Jahren in den Kopf, Bilder von Indie-College-Bands, die auf Homepartys mit umgeschnallten E-Gitarren zwischen roten Bierbechern und einer Sofalandschaft im Wohnzimmer ihre Songs über erste Verluste zum Besten geben. So ähnlich hat Soccer Mommys Debüt 2018 auch thematisch geklungen: Auf ihrem ersten Album „Clean“ nahm neben Coming-of-Age-Geschichten wie erste Enttäuschungen in der Liebe auch das Thema Selbstzweifel einen inhaltlichen Schwerpunkt in den Songs ein. Obwohl Soccer Mommy mittlerweile auf großen Bühnen steht und in der ganzen Welt tourt, beschreibt sich die Musikerin nicht als sonderlich selbstbewusste Person.

Gegen ihre Selbstzweifel hilft ihr ambitionierter Perfektionismus. „I become very perfectionist with work. If it’s not exactly what I want, I don’t want it to be out at all“, erzählt die US-amerikanische Musikerin im FM4-Interview. Die eigenen Erwartungen an sich selbst sind dementsprechend hoch, genauso wie die Erwartung an ihre Kolleg*innen im Studio. Die Aufnahmen für das neue Album „Color Theory“ sind mit Soccer Mommys Live-Band entstanden, die Singer-Songwriterin war bei allen Sessions anwesend, selbst wenn nur Einzelpersonen ihre Parts eingespielt haben. „I definitely have to oversee everything.“

Soccer Mommy

Brian Ziff

Böse Zungen würden jetzt behaupten, dieser übereifrige Perfektionismus verbinde Soccer Mommy eher mit einer so genannten „stage mum“ – zu Deutsch: „Eiskunstlaufmutti“. Ihre musikalischen Ambitionen laufen aber nicht ins Leere, sie tragen Früchte: Das Debüt wird von Musikmedien gefeiert, Pitchfork nimmt es in die Liste der besten Alben der Dekade auf, in der New York Times wird es als bestes Album des Jahres gefeiert. Es folgen internationale Touren, die sie bis nach Tokyo bringen, Soccer Mommy steht als Support von Paramore, Wilco oder Vampire Weekend vor Tausenden Indie-Fans auf großen Bühnen. Vergangene Woche tritt die Solokünstlerin bei der Rally des US-Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders in Houston auf und präsentiert ein paar Tage später ihre neuen Songs in der US-amerikanischen Live-Show von Jimmy Kimmel.

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Von der Vision zum zweiten Album

„Color Theory“ ist für Soccer Mommy das erste Album auf einem Major Label. Ihr Debüt ist noch auf dem Independent-Label Fat Possum Records erschienen, für die neue LP hat Soccer Mommy zu Loma Vista Recordings gewechselt, einer Tochterfirma von Concord. Ein Prozess, der an sich nichts Neues ist, nach einem erfolgreichen Debüt zu einem Big-Player überzuwechseln. Soccer Mommy möchte aber trotz – oder gerade wegen – dieser Entwicklung immer noch alle künstlerischen Entscheidungen bei sich behalten. So veröffentlicht sie beim neuen Album beispielsweise keine Radio-Edits von Songs wie „Yellow is the color of her eyes”, das mit über sieben Minuten aus dem gewohnten Popsong-Rahmen fällt.

Ein weiterer Schritt, die Kontrolle bei den Aufnahmen zu den neuen Songs zu behalten, war für Soccer Mommy die Arbeit mit Gabe Wax. Der Producer hat bereits am Debüt „Clean“ mit Soccer Mommy gearbeitet, Bands wie Deerhunter oder Beirut finden sich in seiner Referenzliste, für seine Arbeit am Album „A Deeper Understanding“ von The War On Drugs gewann Wax sogar einen Grammy. „Someone has to prove to me that they get it, that they get what I want and that they share the same vision. That’s the reason why I ended up working with the same producer, because I just felt connected and I could trust him with the idea of the album“, meint Soccer Mommy im Interview. Der Producer Gabe Wax hat den Visionen-Check der Songwriterin also mit Bravour bestanden.

Soccer Mommy

Loma Vista Recordings

„Color Theory“ ist am 28. Februar 2020 via Loma Vista erschienen. Im Juni geht Soccer Mommy auf Europa-Tour.

Von der Farbenlehre

Am Anfang von “Color Theory“ stand tatsächlich eine konzeptionelle Idee. Soccer Mommy wollte ihr zweites Album so klingen lassen wie eine alte, abgeranzte Kassette, deren Magnetband mit der Zeit immer abgenutzter geworden ist. Verschleißerscheinungen, die Soccer Mommy thematisch mit emotionalen Verletzungen gleichsetzt, die man als Person in seinem Leben erfährt. Mit der Produktion zum zweiten Album gräbt die Solokünstlerin deshalb in tiefen, inneren Konflikten.

Obwohl das neue Album nicht mehr von ihrer Teenager-Zeit handelt, bleibt es thematisch in der Vergangenheit: Soccer Mommy singt auf „Color Theory“ über traumatische Erfahrungen in der Kindheit, über Depression und über ihre schwer kranke Mutter. „I feel like the new record is a different kind of intimate than it was on ‚Clean‘. ‚Color Theory‘ is not so much about relationships, it’s much more about personal issues that have affected me over my life, problems I had since childhood. It feels like really deep parts of me. I think it’s better than the last one, so I’m really excited about it”, erklärt Soccer Mommy und freut sich trotz der Schwere des Albums auf ihren Release.

Der Titel „Color Theory“ bezieht sich auf die Farben Blau, Gelb und Grau, die sich durch die Songtexte der zehn Nummern ziehen. Blau steht symbolisch für depressive Zustände und Selbstverletzungen, Gelb spiegelt psychische und physische Krankheiten in ihrer Familie wider und Grau symbolisiert Trauer und Verlust. In der Single „Circle the Drain“ besingt Soccer Mommy eine depressive Episode. Geschrieben wurde der Song im Tour-Van, als sie gerade gemeinsam mit ihrer Liveband an der US-amerikanischen Westküste getourt ist. Was tun, wenn im Leben gerade eigentlich alles gut läuft und sich trotzdem eine tiefe Traurigkeit in einem ausbreitet?

I’m trying to seem strong for my love / For my family and friends / But I’m so tired of faking /’Cause I’m chained to my bed when they’re gone / Watching TV alone / ‚Til my body starts aching / And I think there’s a mold in my brain / Spreading down all the way / Through my heart and my body

Musikalisch entlädt sich hier die Idee des alten Tapes in seiner vollen Wirkung: In der Mitte des Songs ist tatsächlich das Geräusch eines Kassettenrekorders zu hören, wenn die „Play“-Taste gedrückt wird und die Kassette zu spielen beginnt. Das klingt nach „Teenage Dirtbag“ oder Natalie Imbruglias „Torn“. Trotz der schweren Gedanken leitet der teils mehrstimmige Gesang von Sophie Allison und der Indie-Gitarrensound die Stimmung des Songs in positive Bahnen.

Weitaus melancholischer klingen Songs wie „Yellow is the color of her eyes“. Auch dieser Titel ist auf Tour entstanden, als Soccer Mommy ihre Mutter vermisst und sich an vergangene Sommer mit ihr erinnert hat. „The bright August sun feels like yellow / And the white of her eyes is so yellow“ - Sophie Allisons Mutter ist an Krebs erkrankt, von der Ferne leidet die Musikerin mit, eine sehnsuchtsvolle Gitarre jault im Hintergrund. Im Musikvideo wird das Bild der hilflosen Tochter noch deutlicher, wenn sich Soccer Mommy am Ende des Songs voll bekleidet den Wellen im Meer hingibt.

Der emotionale Höhepunkt befindet sich am Ende des Albums, mit der Schlussnummer „Gray light“, in der Soccer Mommy ihre Verlustängste und Trauer gegenüber ihrer Mutter äußert. Im langsam schleppenden Tempo baut sich eine tiefe Dunkelheit auf, die jegliche Hoffnungsschimmer verdrängt. Ein schweres Ende für ein gelungenes Album.

I can’t lose it / The feeling I’m going down / I can’t lose it / I’m watching my mother drown

Princess of Screwing Up?

Im Song „Royal screw up“ inszeniert sich Soccer Mommy als Lügnerin und hoffnungslosen Fall. Doch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und den eigenen Fehlern, wie sie auf dem Album geschieht, mit Schicksalsschlägen und schwierigen Zeiten zeugt von Selbstreflexion und Stärke. Also gar nicht so hoffnungslos. Dabei spielt sich Soccer Mommy auf „Color Theory“ gekonnt mit popkulturellen Nostalgie-Triggern – sei es die Kassette als Album-Konzept, das Albumcover im Stil eines Gameboy-Pixelspiels, ein analoger Skateclip als Musikvideo oder der Retro-Sound, der an die späten 1990er und frühen 2000er erinnert. Melancholie und schwere Kost treffen auf leichte Ohrwurm-Melodien und gekonnt emotionales Songwriting - was wünscht man sich von einem zweiten Album mehr?

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