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Szenen aus "I Am NOT Okay With THis"

Netflix

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„I Am Not Okay With This“: Mach sie besser nicht wütend

Die neue Netflix-Serie setzt einmal öfter auf Vintage und Teenage Angst und vereint das Beste aus „The End Of The F***ing World“ und „Stranger Things“. Eine Empfehlung.

Von Jan Hestmann

„Dear Diary, go fuck yourself!“ So lauten die ersten aus dem Off gesprochenen Worte in der neuen Netflix-Serie „I Am Not Okay With This“. Sie kommen von Sydney Novak. Ihrer Selbstbeschreibung nach ist Sydney ein „boring 17-year-old white girl“. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder lebt sie in Brownsville, Pennsylvania, einem eher trostlos wirkenden, kleinen Industriestädtchen. Die Mutter ist überfordert mit dem Leben und hat daher keine Zeit für Zärtlichkeiten. Der Vater ist nicht mehr bei ihnen, denn der hat sich vor einem Jahr im Keller erhängt.

Sometimes I feel like I’m boiling inside.

Sydney selbst leidet unter unkontrolliert ausbrechenden Wutanfällen. Um diese besser unter Kontrolle zu bekommen, rät ihr ihre Beratungslehrerin, ab sofort Tagebuch zu führen und ihre Gefühle niederzuschreiben. Doch bald muss Sydney feststellen, dass nicht nur eine kreatürliche Wut tief in ihr drin brodelt, sondern dass sie über stark ausgeprägte telekinetische Kräfte verfügt. Zu Sydneys Nachteil treten diese aber so ungezügelt wie auch ihre Wutanfälle zum Vorschein.

Von den Macher*innen von „Stranger Things“

„I Am Not Okay With This“ stammt von den Produzent*innen der Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“. Sie basiert auf einer Comicbuchvorlage von Charles Forsman, der auch schon die Vorlage zu „The End Of The F***ing World“ geliefert hat, einem weiteren Netflix-Hit aus jüngster Vergangenheit. „Okay“ und „End“ teilen sich außerdem einen gemeinsamen Regisseur, Jonathan Entwistle. Für „End“ hat er die ersten Folgen inszeniert, für „Okay“ durfte er für die gesamte Staffel Regie führen.

Szenen aus "I Am NOT Okay With THis"

Netflix

Syd.

Diese zahlreichen personellen Überschneidungen merkt man der neuen Serie anhand des Looks und Tonfalls auch sehr schnell an. Vor allem das Thema ist ein Altbekanntes: Wir begleiten einen Teenager, gefangen in einem deprimierenden Kaff, einer dysfunktionalen Familie und speziell in der eigenen, unwohlen Haut, beim Suchen und Finden der eigenen Identität. Und da wir alle einmal Teenager waren, wissen wir, das ist kein leichtes Unterfangen. Speziell dann nicht, wenn man mittels Gedankenkraft Dinge zerstören kann.

„VHS - best Platform there is“

Übermäßig viel sozialen Kontakt genießt Sydney nicht. Bis vor kurzem hatte sie noch nie so etwas wie eine beste Freundin. Das änderte sich, als sie Dina kennenlernte. Doch die ist jetzt, aus unerfindlichen Gründen, mit Football-Hero und Kotzbrocken Brad zusammen. Es ist der richtige Zeitpunkt für Stanley in Erscheinung zu treten. Stanley ist Sydneys Nachbar, ein Nerd, wie er im Buche steht. Sein Zimmer entpuppt sich als Vintage Museum samt Vinyl- (Lieblingsband: Bloodwitch) und VHS-Sammlung. Über das Medium VHS sagt er allen Ernstes den herrlichen Satz: „Best Platform there is“.

In Stanley findet Sydney schnell einen Komplizen, mit dessen ironischem Blick auf die Dinge es gleich leichter fällt, den permanenten Alltagswahnsinn zu akzeptieren. In einer Szene sitzen sie gemeinsam am Rand eines Footballspiels und kommentieren die jeweiligen gesellschaftlichen Rollen der Teenager vor ihnen. „Best theatre in town“, bemerkt Stanley und Sydney scheint zum ersten Mal überhaupt ein Lächeln auszukommen.

Der Soundtrack: Bloodwitch

Wie auch schon die erfolgreichen Vorgängerserien erstrahlt „I Am Not Okay With This“ in charmantem, wenn auch schon ein wenig überstrapaziertem, Vintage-Look. Der wird einmal öfter durch einen Retro-Soundtrack, von frühen Oldies bis zu wunderbaren 80ies-Hits (etwa Pixies „Here Comes Your Man“) unterstrichen.

Für den Soundtrack war, wie auch bei „The End Of The F***ing World“, wieder Blur-Gitarrist Graham Coxon verantwortlich. Zentral ist darin auch die Band Bloodwitch, die für die Serie eigens erfunden wurde und für die Coxon gemeinsam mit Sängerin Tatyana Richaud sogar ein komplettes Album aufgenommen hat. Der zentrale Song „Fly“ zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Staffel.

Bühne frei für den Breakfast Club

Wie auch „Stranger Things“ kann man „I Am Not Okay With This“ als Persiflage aufs Kino der 80er Jahre begreifen. Vor allem in Episode fünf kommt das schön zur Geltung, einer liebevollen Ode an den Filmklassiker „The Breakfast Club“. Sydney, Stanley, Dina, Brad und die erstmals in Erscheinung tretende Jenny müssen nachsitzen. Und wie in „The Breakfast Club“ prallen hier fünf unterschiedliche Typen aufeinander, die versuchen müssen, die gemeinsame „Gefangenschaft“ erträglich zu gestalten.

Vieles in „I Am Not Okay With This“ hat man in den letzten Jahren in anderen (Netflix-)Serien bereits gesehen. Was die Serie aber auszeichnet, ist, dass sie die starken Coming-Of-Age-Elemente genauso ausspielt wie die unheimlichen Superheldenfilm-Elemente. Man könnte auch sagen: „I Am Not Okay With This“ vereint das Beste aus „End“ und „Stranger Things“. Diese Fusion glückt nämlich, ohne dass eines der beiden Genres ein Nachsehen hat.

Szenen aus "I Am NOT Okay With THis"

Netflix

V.l.n.r.: Sydney, Stanley, Brad, Dina in der an „The Breakfast Club“ erinnernden fünften Episode „Another Day In Paradise“.

Sydney & Stanley

Getragen wird das alles von den beiden wunderbaren Protagonist*innen der Serie, Sydney (Sophia Lillis) und Stanley (Wyatt Oleff). Man spürt ihr inneres Brodeln und seine ständige Unsicherheit - ihre Kombination hat eine umwerfende Liebenswürdigkeit. Schon nach Folge eins ist man heillos in die beiden verliebt.

Weniger Glück haben die Nebencharaktere, die, wohl auch aufgrund der sehr kurzen Spieldauer der ersten Staffel, kaum etabliert werden. Eindimensional bleibt auch Brad, das Klischee von einem Sportler-Dude, nicht viel mehr als eine wandelnde College-Jacke. Noch schlechter ausgeleuchtet ist Stanleys Vater, ein gewaltbereiter Trucker, der nur zweimal kurz im Bild ist und dessen rabenschwarzes Wesen lediglich angedeutet wird.

To be continued

Wie auch „The End Of The F***ing World“ ist „I Am Not Okay With This“ nicht nur extrem kurzweilig und leicht in einem Satz zu bingen, die erste Staffel ist auch in Minuten gemessen eine sehr kurze. Jeweils etwas mehr als 20 Minuten dauern die insgesamt sieben Episoden. Anders als „End“, das mit der ersten Staffel ja eigentlich eine abgeschlossene Geschichte darstellte, macht „I Am Not Okay With This“ in der ersten Staffel ein großes Universum auf, dem weitere Staffeln, zumindest aber eine zweite, folgen werden.

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