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Cate Blanchett im 80er Jahre Trainingsanzug in der Serie "Stateless"

ABCTV

Cate Blanchetts Fernsehserie „Stateless“ basiert auf einem wahren Fall

Eine Flugbegleiterin landet erst in einer Sekte und bald darauf in einem Schubhaftzentrum: Inspiriert von einem tatsächlichen Fall, präsentiert Cate Blanchett mit ihrer ersten Fernsehserie „Stateless“ ein packendes, politisches Drama.

Von Maria Motter

Cate Blanchett ist eine Erscheinung und das nicht allein aufgrund ihrer Größe und ihrer sonoren Stimme, die überrascht, wenn man sie zum ersten Mal hört. Die australische Schauspielerin hat den Musiker Bob Dylan im Biopic „I’m Not There“ verkörpert, ihren Oscar als beste Hauptdarstellerin hat sie allerdings für „Blue Jasmine“ bekommen. Einen Oscar als beste Nebendarstellerin in „Aviator“ hat sie auch noch, ihr Geburtsland Australien hat sie mit der höchsten Ehrung für Verdienste für das Land bedacht.

Jetzt hat die Mutter von vier Kindern, die allen Interviews nach zu urteilen seit 23 Jahren eine stabile Ehe mit dem Dramatiker Andrew Upton führt, auch noch ihre erste TV-Serie konzipiert und produziert. Und alles, was die schärfsten Kritiker*innen dazu zu sagen haben, ist, weshalb der Cast derart weiß sein müsse.

„Stateless“ heißt die sechsteilige Serie, die auf Netflix verfügbar und hoch politisch ist. Cate Blanchett hält sich nicht zurück: Mit „Stateless“ macht sie auf Menschenverachtende Asylpolitik aufmerksam und spielt in der Serie selbst eine singende Anführerin einer Sekte. Wie das zusammengeht, ist sehenswert und zutiefst australisch.

Szene aus der Serie "Stateless": Ein Aufseher eines Schubhaftzentrums schaut skeptisch

Ben King

Home and away

Mit weißblondem Haar und im pastellfarbenen Achtziger Jahre Trainingsanzug gibt Cate Blanchett die singende Anführerin einer Sekte, die sich mit Tanz- und Selbstfindungsseminaren Sofie Werners Aufmerksamkeit verschafft hat. Sofie Werner wird gespielt von „The Handmaid’s Tale“-Star Yvonne Strahovski, sie ist der zentrale Charakter der Serie „Stateless“: Eine Flugbegleiterin, die zuerst in einer Sekte und bald darauf in einem Schubhaftzentrum landet. Das klingt erst unglaublich, die Serie „Stateless“ jedoch basiert auf der wahren Geschichte einer Frau namens Cornelia Rau, die in Australien irrtümlich für eine Person gehalten wurde, die sich ohne Berechtigung im Land aufgehalten hätte und die Monate in Schubhaft verbracht hat, ehe sich ihre Identität aufklärte.

Australien verfolgt seit zehn Jahren eine gnadenlose Asylpolitik. Cate Blanchett, die auch an der Konzeption der Serie beteiligt war, hat die packende Geschichte noch etwas früher angesiedelt. Die Lager auf den Inseln Nauru und Manus sind kein Thema. Sofie Werner landet im südaustralischen Schubhaftzentrum Barton (das reale Vorbild hieß Baxter). Dort laufen die Leben von drei weiteren Hauptfiguren zusammen.

Eine Beamtin, auf die seit vielen Jahren Verlass ist, wird abkommandiert, um im Schubhaftzentrum nach dem Rechten zu sehen, denn betrieben wird die Haftanlage von einer privaten Firma und deren Mitarbeiter*innen kennen jene Winkel, die Überwachungskameras nicht erfassen. Asher Keddie ist toll als Claire Kowitz, die ihre eigene Familiengeschichte im Nachnamen und stets edle Blusen trägt, mit wasserfestem Make-up der Hitze trotzt und ihren schönen Kopf hochhält. Bekannt für ihre Linientreue, soll Claire Kowitz wieder einmal troubleshooten. Dann ist ihr Zimmernachbar in ihrem Motel auch noch ausgerechnet ein Aufdeckungsjournalist.

Die Serie "Stateless" spielt in großen Teilen in einem Schubhaftzentrum in Australien. Eine Beamtin besucht das Zentrum.

Ben King

Asher Keddie als Claire Kowitz: Wie weit dient man seinem Staat?

Ein junger Familienvater (Jai Courtney) beginnt, als Aufseher zu arbeiten, um in der nahen Zukunft nicht mehr auf Plastikstühlen mit Frau und Kindern vor einem gemieteten Bungalow sitzen zu müssen. Während seine Schwester außerhalb des mit hohen Zäunen gesicherten Geländes des „Immigration Detention Centers“ gegen das System demonstriert und ein inhaftierter afghanischer Familienvater (Fayssal Bazzi) mit seiner minderjährigen und sehr stillen Tochter um Asyl bangt. Doch unbeschadet kommt hier keiner raus. Mittendrin im Lager ist Sofie Werner, die zunehmend psychotisch wird.

Schauspielerin Yvonne Strahovski als Inhaftierte eines Schubhaftzentrums in der Serie "Stateless", sie steht neben einem hohen Zaun.

Ben King

„The Handmaid’s Tale“-Star Yvonne Strahovski spielt Sophie Werner

Cate Blanchett macht jetzt kluges Fernsehen

Die Erzählstränge in „Stateless“ sind geschickt geführt. Charaktere und Lebensumstände sind fein gearbeitet. Von der familiären Kälte Sophie Werners Familie, die das Verhalten der jüngsten Tochter geradezu als Angriff auf die eigene Klasse sieht, über die Verlogenheit der Sektenoberhäupter, die vor „Negativität“ warnen, es wären ja Kinder anwesend, zur abgrundtiefen Verzweiflung eines Mannes, der die eigene Vaterschaft negiert, um sein Kind in Sicherheit zu wissen, spannt die Erzählung den Bogen über die Sehnsucht nach einem Zuhause. Die anfänglich hollywoodeske Darstellung der Flüchtlingsfiguren legt sich und für Pathos hat Cate Blanchett nichts übrig.

Nach der Premiere der ersten drei „Stateless“-Folgen auf der Berlinale im Zoo Palast betonte Blanchett die Macht der Sprache. „Als wir an der Serie gearbeitet haben, hat sich die Sprache auf sehr bösartige Weise verändert: Menschen, die nichts verbrochen hatten, wurden kriminalisiert und als ‚unlawful non-citizens‘ bezeichnet. Damit hat man nicht gesagt, dass sie illegal oder Kriminelle wären, doch sie seien rechtswidrig. Der nächste Schritt ist, sie als illegale Einwanderer zu bezeichnen, während sie tatsächlich das Recht haben, Asyl zu suchen. Ich finde, man muss die richtigen Worte verwenden. Das klingt jetzt nüchtern und banal, aber sonst ist es nur ein Schritt zu Hassreden und Rassismus.“

Cate Blanchett in einem Abendkleid und sie singt, umringt von Männern in Anzügen

Ben King

Cate Blanchett singt Frank Sinatras „Let’s get away from it all“ in „Stateless“, auf die Show-Time folgt das Entsetzen

Ärzte ohne Grenzen zogen sich zurück

Das Einwanderungsland Australien ist in den letzten Jahrzehnten weit nach rechts und rechtsaußen gerückt. Wenngleich 15905 Kilometer Luftlinie zwischen Wien und Canberra liegen, so kann man parallele gesellschaftliche Entwicklungen wahrnehmen. Menschen fürchten das Schwinden der Mittelschicht und den eigenen finanziellen Abstieg, zugleich trachtet man danach, sich abzukapseln. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz nannte Australien mehrfach sein Vorbild für Asylpolitik. Die Vereinten Nationen und Amnesty International verurteilten die Asylpolitik Australiens zifgach.

Die Organisation Ärzte ohne Grenzen musste 2019 ihre Hilfe für die auf Nauru gefangen gehaltenen Asylwerber*innen einstellen, nachdem psychologische Betreuung selbst via Videoschaltung verboten worden war. Ärzte ohne Grenzen hielten fest, dass dreißig Prozent der auf Nauru inhaftierten Menschen Selbstmordversuche unternommen hatten. Menschen für medizinische Betreuung zu gewähren, Australien zu betreten, entfachte jedes Mal Debatten. Erst dieses Frühjahr wurden Geflüchtete nach Brisbane überstellt.

Die meisten „Immigration Detention Center“ wie Baxter nahe Port Augusta sind inzwischen geschlossen. Im Sommer vor sieben Jahren erklärte der damalige Premierminister Kevin Rudd, dass keine Person, die Australien mit einem Boot erreichen und um Asyl ansuchen würde, jemals die Erlaubnis erhielte, ansässig zu werden. 2013 war auch das Jahr, in dem Tony Abbott der neue Premier werden sollte und im Wahlkampf warb die „Coalition“, der Zusammenschluss aus Liberal Party und National Party, damit, die Operation Sovereign Borders zu beginnen und dafür einen eigenen General zu berufen. „Stop the boats“ wurde ein Slogan, die Kampagne warb mit Sujets mit Aufschriften wie „No way - You will not make Australia home“.

In einer der stärksten Szenen von „Stateless“ spricht die Beamtin Claire Kowitz mehr zu sich als zu ihrer Vorgesetzten. Ob sie wisse, wo sie gewesen sei, als ihre Mutter gestorben ist. „In meinem Büro, an Stop the fucking boats arbeitend.“

Als Kompars*innen wirkten auch ehemalige Asylwerber*innen. Auf die Kritik, dass „Stateless“ so weiß besetzt wäre, antwortet Cate Blanchett, dass sie sich auf viele weitere Geschichten Geflüchteter im Fernsehen freue, ob Dokumentation oder Spielfilm. Ihr geht es um ein möglichst breites Publikum. Und die Realität sei, dass Menschen abdrehen, wenn man über Flüchtlinge und Asylwerbende zu sprechen beginne, die weltweite Krise an Vertreibungen thematisiere. Die Finanzierung ihrer Serie sicherzustellen, war die Arbeit von fünf Jahren.

Wer kann, schaut „Stateless“ am besten in der Originalfassung. Denn die deutsche Übersetzung der Synchronisation ist ziemlich unzulänglich.

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