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Demonstrant mit einem Schild "End SARS"

APA/AFP/Benson Ibeabuchi

#EndSARS – Nigeria steht vor einer Revolution

In Nigeria herrscht Ausnahmezustand. Seit Wochen protestieren junge Menschen gegen Polizeigewalt und Korruption. Unter dem Hashtag #EndSars gibt es eine internationale Solidaritätsbewegung – auch in Wien.

Von Ambra Schuster

Seit drei Wochen wird Nigeria von Massenprotesten erschüttert. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas steht fünf Minuten vor einer Revolution – oder einem Bürgerkrieg. Auslöser für die #EndSARS-Proteste war eine Sondereinheit der nigerianischen Polizei. SARS steht an dieser Stelle ausnahmsweise nicht für einen Virus, sondern für „Special Anti-Robbery Squad“. Die Eliteeinheit wurde 1992 eingeführt, um die Bevölkerung vor Kriminalität zu schützen. Doch statt dessen hat sie selbst jahrelang geraubt, vergewaltigt, gefoltert und gemordet. Vor allem gut ausgebildete, wohlhabend aussehende und junge Nigerianer*innen waren die Zielgruppe der SARS. Amnesty International dokumentierte seit Jahren die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die Politik wusste Bescheid.

Am 8. Oktober brachte ein Video das Fass endgültig zum Überlaufen. Das zeigte SARS-Polizisten, die einen jungen Mann erschossen, seinen Körper auf der Straße liegen ließen und dann mit seinem Auto wegfuhren. Seitdem ist viel passiert. Die anfänglich friedlichen Proteste eskalierten und endeten letzte Woche in einem Blutbad. Rund 70 Menschen sind inzwischen gestorben, darunter auch zwölf friedliche Demonstranten, die an einer Mautstelle von Sicherheitskräften erschossen worden sind.

Ähnlich wie bei der #BlackLivesMatter-Bewegung gab es unter den Hashtags #EndSars und #ReformNigeria weltweit Solidaritätsbekundungen - auch von Stars wie Beyoncé, Rihanna, Lizzo oder dem Twitter Chef Jack Dorsey. In Wien und vielen anderen Städten fanden außerdem #EndSars-Demonstrationen statt.

Der internationale Druck und die Aufmerksamkeit seien jetzt wichtig, sagt Mitorganisator*in Barbara Abieyuwa. Für sie waren die vergangenen zwei Wochen ein Gefühlschaos. Schreckliche Bilder und die Ungewissheit, wie es Angehörigen vor Ort geht, machten ihr und vielen anderen Menschen mit nigerianischen Wurzeln zu schaffen. Abieyuwa hofft jedenfalls, dass es sich bei der momentanen weltweiten Aufmerksamkeit nicht nur um einen Hype handelt.

Kampf gegen Korruption und für Reformen

Die SARS wurde inzwischen aufgelöst, wobei Einheimische sagen, dass die Einheit lediglich umbenannt worden ist und die selben Personen nach wie vor im Einsatz sind. Die Proteste sind nach der Brutalität von vergangener Woche etwas abgeflaut, aber das letzte Wort ist noch lange nicht gefallen, im Gegenteil. Junge Menschen fordern jetzt erst recht Reformen und sehen die Bewegung als große Chance. Tatsächlich war SARS nämlich nur ein Symptom der Probleme, unter denen die Bevölkerung in Nigeria schon lange leidet.

Nigeria hätte eigentlich viele Ressourcen, vor allem Öl. Von diesem Wohlstand kommt bei der Bevölkerung aber kaum etwas an. Es gibt oft keinen Strom, das Straßennetz ist verfallen und ein großer Teil der Bevölkerung lebt in Armut und unter widrigsten Bedingungen. Eine kleine reiche Elite, westliche Konzerne und Korruption beherrschen das Land. Die Proteste gegen Polizeigewalt sind zu Protesten gegen das System geworden.

„We need to start thinking about, how to stand up against these political structures and this system.” - Student aus Nigeria

„We need to fix this system and we can only do that, when we do it together“, sagt Adedeji Boluwatife Peter. Der Student aus der nigerianischen Stadt Ibadan in Oyo State ist stolz. Noch nie habe er Nigerianer*innen so zusammenhalten sehen, wie in den letzten Tagen. Die vielen Toten dürfen nicht umsonst gewesen sein. Jetzt gelte es um die Toten zu trauern, sich zu erholen und sich dann neu zu formieren, um mit neuen Strategien einen – wie betont wird – friedlichen Wandel herbei zu führen. Denn soviel steht fest: Die sehr junge Bevölkerung Nigerias – rund 60 Prozent der 200 Millionen Einwohner*innen sind unter 24 – hat die Schnauze voll.

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