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Zella Day & Weyes Blood

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song zum sonntag

Der Song zum Sonntag: Zella Day & Weyes Blood - „Holocene“

Ein Jahr vertont als Song: Zella Day und Weyes Blood haben gemeinsam ein Lied geschrieben und es ist wunderschön.

Von Christoph Sepin

Hier der Traum von vergangenen Zeiten und nicht all zu ferner Zukunft: „Hot summer dreams“, die heißen Sommertage, werden gleich zu Beginn von Zella Day in ihrer California-Gitarren-Hymne „Holocene“ besungen. Heiße Temperaturen, heißes Wasser, das den Menschen auf der Straße von den Gesichtern tropft: „I see it on strangers, any day now, my phone will ring“. Erwartungen, Betrachtungen, Hoffnungen, ein Lied über die vier Jahreszeiten, in mehreren Akten, so groß ist das alles hier in viereinhalb Minuten.

Zella Day aus Arizona kennt man als FM4-Hörer*in wohl von ihrer Coverversion des hoch aufgeladenen Hot Chocolate-Klassikers „You Sexy Thing“ von dem ja einige Leute behaupten, es sei besser als das Original. Natalie Mering alias Weyes Blood aus Kalifornien muss man zum Beispiel von ihrem unfassbar guten, letzten Album „Titanic Rising“ kennen, eine Platte des Jahres 2019. Dass eine Zusammenarbeit der beiden Gutes erschaffen würde, war klar, gemeinsam mit Co-Autorin Mia Kerr haben Day und Mering das einfühlsam-großartige „Holocene“ geschrieben.

Wie gut auch, dass Zella Day ihren Song nicht alleine singt, wird ihre Stimme doch perfekt von Weyes Blood komplementiert. „I’m mad at the weather“, das ist die erste Zeile, die beide gemeinsam singen. Denn wenn alles andere außer Kontrolle ist, dann kann man wenigstens immer noch wütend auf die Temperaturen sein, wenn es zu heiß, zu kalt, zu regnerisch oder windig ist. Was bleibt ist das Wetter als Maßstab für Veränderung und Zeit und eine Welt, in der Dinge nicht mehr so fix sind, wie sie das mal waren: „It’s wrong for the time of year, the start of September. So what does your gender reveal?“.

„Holocene“, das Holozän, das „ganz Neue“ aus dem Altgriechischen, ist die Zeit in der wir gerade leben. Ein Jahr daraus, an ganz bestimmten Orten in den USA haben sich Zella Day und Weyes Blood ausgesucht, um ihre doch ganz klar persönlichen Geschichten zu erzählen. „If hope were a paper airplane and shot into the sky I grabbed it with my hands as it was floating by and unfolded the paper to absorb the contents inside“, so schön beschreibt Zella Day den Inhalt des Songs.

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  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Da geht’s einmal um San Francisco, die Freund*innen, die dort leben und wie sehr man das alles vermisst, in Colorado wiederum brennt die Sonne vom Himmel und dann beginnt es plötzlich zu schneien, was zu einer der eindrucksvollsten Zeilen in „Holocene“ führt: „On the morrow was snowfall, scaring the people in the town“. Darauf folgend der wahrscheinliche Hinweis auf die Pandemie und ihre Folgen: „Now that it’s in the air, please, won’t you stay at home?

Dann immer wieder der Refrain und alles kommt zurück zur Zeit, weil auf sie kann man sich in unsicheren Zeiten verlassen: „Time forgets no one“, singen Day und Mering, denn: „She isn’t a liar“. Sie ist keine Lügnerin, sie ist unveränderbar, sie läuft vor sich hin.

Do you go on? Do they go on?“, wird kurz gefragt. Beantworten muss man das gar nicht, sondern einfach die Gitarrenakkorde weiterspielen. Im Hintergrund ein paar sanft orchestrale Momente, ein Markenzeichen von Weyes Blood, die Elemente der klassischen Musik und die damit vermittelte Dramatik der Realität manchmal in moderner Popmusik vermisst.

Und auch wenn die Zeit unausweichlich nach vorne geht und unveränderlich ist, die Menschen sind das nicht - das ist der Hoffnungsblick in diesem melancholischen, aber nicht traurigen, nicht fatalistischen Lied. Im Rückspiegel das Jahr 2020, vertont als wunderschönes Stück Musik und vor uns allen eine doch hoffentlich viel bessere Zukunft. Man muss sie eben nur zu einer solchen machen. „And I go on. And you go on“.

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