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Jaroslav Rudis und Nicolas Mahler - Nachtgestalten

Luchterhand

comic

Männer, die auf Biere starren

Von einem Beisl zur nächsten Bar – durch die Nacht mit den melancholischen Nachtgestalten von Jaroslav Rudiš und Nicolas Mahler. Ein grandioser Rausch ohne Kopfweh.

von Zita Bereuter

Der Mond ist bereits voll. Zwei Gestalten ziehen durch das nächtliche Prag. Der eine lang und schlaksig, der andere klein und rundlich. Der Lange ist Historiker, der das Unglück anzieht. Irgendwie nerdig und lebensfremd – woher soll er auch wissen, dass man nicht gut in Sandalen auf den Mont Blanc spazieren kann? Ihm reichen „die Stadt, die Bücher, das Bier“. Bei Letzterem ist jedenfalls auf seinen untersetzten Freund Verlass. Die beiden treiben durch die Nacht. Von einer Sperrstunde zur nächsten - ob Beisl, Bar oder Kiosk. Man nimmt, was man kriegt, unterhält sich oder schweigt gemeinsam. Letztlich ist es ein großartiger langer Dialog zwischen zwei Freunden. Unterbrochen von Schlucken aus vielen Bieren und dem Starren auf und in diese.

Jaroslav Rudis und Nicolas Mahler - Nachtgestalten

Luchterhand

Ein Abend, wie ihn auch der Autor Jaroslav Rudiš und der Zeichner Nicolas Mahler erleben könnten. Die beiden kennen sich seit einigen Jahren, und ebensolange nutzt der in Prag lebende Jaroslav Rudiš auf seinen vielen Reisen seine Zwischenstopps in Wien für ein Bier oder Schnitzel mit Nicolas Mahler. „Irgendwann war die Idee, wir könnten ja was zusammen machen,“ erklärt Nicolas Mahler. Etwas über zwei befreundete Männer, die biertrinkend durch die Nacht ziehen. Naheliegend.

Cover von Jaroslav Rudis und Nicolas Mahler "Nachtgestalten"

Luchterhand

Jaroslav Rudis und Nicolas Mahler: Nachtgestalten. 144 Seiten. Erschienen bei Luchterhand.

  • Eine Leseprobe gibt es hier.

Jaroslav Rudiš schrieb Romane wie „Die Stille in Prag“, „Vom Ende des Punks in Helsinki“ oder „Winterbergs letzte Reise“ (nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019). Er hat auch den Comic „Alois Nebel“ erzählt.

Nicolas Mahler veröffentlichte zuletzt: „Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie.“

Vom Wisent zu den Eulen

Eingetaucht in Melancholie, Selbstmitleid und Ironie unterhalten sich die Nachtgestalten im Comic über Banales und Komplexes, über Weltgeschichte und private Katastrophen, über Außerirdische und merkwürdige Verwandte. Und über Wisent. Wis was? Wisent – ein europäischer Bison. (Auch Nicolas Mahler kannte das Tier vor dem Comic nicht.) Die glücklichsten Tiere für den Langen. Denn: „Die Bullen ziehen allein langsam durch den Urwald und haben ihre Ruhe.“ Und Sex? „Im Mai besuchen die Bullen für ein paar Wochen die Kühe, die in Herden leben. Sie lieben sich, plaudern ein wenig, wie es ihnen so geht, schauen sich die Kinder an, alles ganz nett und entspannt... weil die Bullen und auch die Kühe wissen, dass die Bullen eines Tages aufstehen und wieder in der Tiefe des Waldes verschwinden...“

Es muss nicht weiter erwähnt werden, dass die beiden Charaktere keine Womanizer sind. Obwohl – neben ihrer Liebe zu Bier verbindet die alten Freunde die eigentlich längst verflossene Liebe zu Hana. Die hat wohl das einzig Richtige getan – sie hat einen andern geheiratet. Aber was soll’s – das kann man nicht mehr ändern. Oder, wie der Großvater des Kleinen, Runden zu sagen pflegte: „Darauf pissen die Eulen“.

Seit Jahren sammelt Jaroslav Rudiš Dialoge, die er beispielsweise in Lokalen aufschnappt. Diese Gespräche lässt er immer wieder in seine Arbeiten und Romane einfließen, auch in seine Kurzgeschichte „Nachtgestalten“. Einige daraus wiederum finden sich auch im Comic, hinzu kommen Gespräche, die Jaroslav Rudiš mit einem Freund geführt hat. Ein bisschen wurde dann noch daran herumgeschrieben und gefeilt, erklärt Nicolas Mahler im Interview. Manchmal haben seine Bilder dann auch wieder den Text von beeinflusst: „Für ihn (Anm: Jaroslav Rudiš) war es wahrscheinlich auch ungewohnt, dass er so wenige Worte im Buch hat. Sodass er dann wirklich bei jedem Wort sehr genau war.“

Mit „Nachtgestalten“ legen der Autor Jaroslav Rudis und der Zeichner Nicolas Mahler eine wunderbare Tour durch die Nacht vor. Text und Bild ergänzen einander grandios. Die typischen Mahlerfiguren sind extrem reduziert, halten sich im Hintergrund. Der Text gibt das Thema vor, das Bild bestimmt den Rhythmus. Ein purer Dialog, der ohne Erzählstimme auskommt. Erklärende Zusätze wie etwa „Sagte er bitter“ oder „lachte er“ sind ausgespart und werden in Bildern dargestellt, meint Nicolas Mahler und sieht darin den Anreiz in „Nachtgestalten“: „Nur einen Dialog zu haben. Ohne Offtext.“

Hier teilen Zwei einen feinen Humor. Folglich war auch die Zusammenarbeit völlig problemlos. Beiden war klar, was herausgestrichen gehörte bzw. „welche Stellen drinnen sein müssen“.

Das gezeichnete Portrait von Jaroslav Rudiš und Nicolas Mahler bei der Autorenbiographie erinnert äußerst auffällig an die zwei Nachtgestalten im Buch. Kein Zufall, meint Mahler. Rudiš müsse „jetzt damit leben, dass er der kleine Dicke ist. Das ist er ja gar nicht. Aber er ist halt im Vergleich zu mir kleiner und fester. Man muss natürlich überzeichnen.“ So oder so - hier hat sich ein gutes Duo gefunden, mit dem man gerne unterwegs ist. „Nachtgestalten“ ist ein herrlicher Rausch ohne Kopfweh, von dem man gerne mehr hätte. Und möglicherweise wird nachgeschenkt: „Naja, wir haben sanft eine Kleinigkeit noch angedacht.“

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