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A portrait of Britain's Prince Philip, Duke of Edinburgh is placed in the window of a shop in Windsor,

Tolga Akmen / AFP

ROBERT ROTIFER

Monarchistischer Realismus: Sein Geist bleibt lebendig

Seit die Königin ihren Mann verloren hat, hab ich mich hier verdächtig ruhig verhalten. Heute wird der vielbetrauerte Philip begraben. Zeit, sich den beunruhigenden, politischen Kontext dieses königlichen Todesfalls anzusehen.

Von Robert Rotifer

Ich kenn mich nicht ja aus beim Auto-Pimping. Aber ich hab Bilder vom zum offenen Leichenwagen umgebauten, grünen Land Rover Defender gesehen, den Prince Philip sich als persönliches Projekt für sein heutiges, eigenes Begräbnis herrichten hat lassen, und muss schon sagen: Dass diese Operation kolportierte sechzehn Jahre gedauert haben soll, spricht jetzt nicht unbedingt für die ausführende Spenglerei.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Andererseits hatten wir – authentisches Lokalkolorit, nicht erfunden! - einmal einen alten Tapezierer im Haus, der in seinem Hauptberuf als Restaurateur vor Jahrzehnten, so erzählte er, niemand anderem als Prince Charles ein vorbildliches Royal Crest übers Landsitz-Tor gemalt hatte. Und trotz mehrerer verschickter Rechnungen habe er schamloserweise nie Geld dafür gesehen. Als dann auch Charles’ Schwester Anne anrief und sich auch so ein schönes Wappen malen lassen wollte, stellte sich unser malender Tapezierer taub. Und wer kann ihm das verdenken? Professionelle Schnorrer*innen, die Windsors.

The Land Rover Defender that will be used to transport the coffin of Britain's Prince Philip, Duke of Edinburgh

Steve Parsons / POOL / AFP

Wobei der Königinnengatte ja naturgemäß selber nur ein Eingeheirateter war... Doch bevor ich jetzt ins von „The Crown“ so perfektionierte Subgenre der liebevoll kritischen, letztendlich systemerhaltenden Hofberichterstattung abgleite: All das könnte einem eigentlich ziemlich egal sein, wären wir hier seit seinem Ableben nicht dermaßen flächendeckend mit Philip-Kult auf allen Kanälen bombardiert worden, dass die BBC eine Rekordzahl von jenseits der 110.000 Beschwerden über ihre Berichterstattung einfuhr. Bis hin zu Beschwerden darüber, dass es heutzutage offenbar zu leicht sei, sich zu beschweren.

Tatsächlich war der Dauerbeschuss mit Nachrufen, Anekdoten und sonstigen Schrullen über den verstorbenen Herzog nicht nur für Medienkonsument*innen schwer zu ertragen. Man konnte auch den Schmerz in den Mienen uns vorgeführter prominenter Figuren erkennen, die sich immer absurdere Würdigungen für den „Großvater der Nation“ einfallen lassen mussten.

Einen ganz unvermeidlichen Vogel schoss dabei der Guardian ab (ihr glaubt, wahrscheinlich, ich liebe den Guardian, weil er hier dauernd verlinkt wird, dabei verzweifle ich an ihm), als Kolumnistin Gaby Hinsliff HRH als Verkörperung „eines anderen maskulinen Ideals“ abfeierte, weil er immer brav hinter seiner Frau und Königin ging. Auch wenn es „vielleicht ein bisschen zu weit ginge, ihn eine feministische Ikone zu nennen.“

OH YEAH, vielleicht! Das „vielleicht“ macht ganz viel Schwerarbeit hier für einen Mann, der sich das sicherste free meal ticket der Welt erheiratete und für den Rest seines Lebens von einem Hofstaat bedient wurde, während er die Muße hatte, sich dem Design seines eigenen Leichenwagens zu widmen.

Magazines featuring Britain's Queen Elizabeth II and Britain's Prince Philip, Duke of Edinburgh are displayed in a shop window in Windsor

Adrian DENNIS / AFP

Meine Lieblingsbewerbung zum Order of the Brown Nose kam aber vom Politikchef des New Statesman Stephen Bush, der sich in einer Sonderausgabe der BBC-Radiosendung Any Questions zu folgender Abwandlung eines Zitats aus Mark Fishers „Kapitalistischer Realismus“ verstieg: „Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende der britischen Monarchie.“

Einmal abgesehen davon, dass Fisher mit seiner Version dieses Satzes („Es ist einfacher sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“) wohl eher die mangelnde Vorstellungskraft des öffentlichen Diskurses beklagen als die gottgegebene Ewigkeit des Systems preisen wollte. Es sagt schon einiges über das gegenwärtige politische Klima in Großbritannien aus, wenn ein Redakteur des führenden linksliberalen Wochenblatts (was immer das heute noch bedeuten mag) sich zu solch angestrengt verrenkten Gesten der Untertänigkeit genötigt sieht.

Noch dazu, wo das, was er da behauptete, selten weniger zutraf als gerade jetzt, knapp drei Wochen vor der Wahl in Schottland, bei der die separatistische SNP auf eine vergrößerte, vielleicht sogar absolute Mehrheit im Lokalparlament von Edinburgh zusteuert. Unter der immer dringenderen Forderung nach einer neuen Volksabstimmung zur schottischen Unabhängigkeit. Ob die Separatist*innen diese auch gewinnen würden, steht zwar auf einem anderen Blatt, aber selbst einem geborenen Apokalyptiker wie mir ist eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich wesentlich leichter vorstellbar als der Weltuntergang (obwohl, wir arbeiten daran).

Royal memorabilia is displayed in a shop window in Windsor, west of London, on April 16, 2021, following the April 9 death of Britain's Prince Philip, Duke of Edinburgh, at the age of 99.

Ben STANSALL / AFP

Darüber hinaus fiel der Tod des 99-jährigen Konsorten der Königin aber auch noch mit anhaltenden Unruhen in Nordirland zusammen, ausgehend diesmal von der loyalistisch protestantischen Seite, die sich von der Brexit-bedingten Zollgrenze zwischen Hauptinsel betroffen und von ihrer britischen Regierung Westminster betrogen fühlt.

Wochenlang waren die Kinder der Loyalist*innen von Belfast vorgeschickt worden, um unter Anfeuerung ihrer Familien Autos in Brand und die sogenannten Friedensmauern zwischen protestantischen und katholischen Vierteln mit Steinen und Molotov-Cocktails zu bewerfen. Nach der königlichen Todesnachricht tauchten dann letzten Samstag in Belfast Schilder auf, die die protestantische Community dazu aufriefen, „als Zeichen des Respekts für die Königin und ihre Familie“ eine vorübergehende Radaupause einzulegen und weitere Proteste aufzuschieben. Die Molotov-Cocktails flogen natürlich trotzdem weiter, vielleicht ja auch als Tribut an die Königin und ihre Familie, so genau lässt sich das alles schon lange nicht mehr sagen.

Aber da gab es auch noch einen anderen, nicht minder symbolischen Kontext: Ende März war ein von der britischen Regierung in Auftrag gegebener Report der Commission on Race and Ethnic Disparities erschienen, laut dem es im Vereinigten Königreich nicht nur keinen institutionellen Rassismus gebe gibt, sondern das Land in dieser Hinsicht sogar als „Vorbild für andere Länder mit weißer Mehrheit“ angesehen werden sollte.

Es dauerte bloß einen Tag, bis im Report als Berater*innen genannte Expert*innen sich entsetzt davon distanzierten, zehn Tage, bis herauskam, dass der Report in der Downing Street auf gefällige Weise umgeschrieben worden war. Aditya Chakrabortty hat die Geschichte dieses Skandals im gestrigen Guardian handlich zusammengefasst. Doch bis dahin hatten die realitätsverzerrenden Schlagzeilen des Reports längst ihr williges, von den Black Lives Matter-Märschen vergangenen Sommer beleidigtes Mainstream-Publikum erreicht.

Bilder von Prince Philipp aus dem Gedenk-Special des Kentish Messenger

Robert Rotifer

Und dann starb eben Prince Philip, und der Widerspruch zum Report der Regierung verschwand unter dem lückenlosen Trauerflor, gewebt aus endlosen Huldigungen an einen Mann, der sich über Jahrzehnte einen wohlverdienten Ruf als verlässlicher Lieferant für rassistische und sexistische Ausritte erworben hatte.

90 davon wurden hier vom Independent aufgezählt. Ihr könnt sie gerne nachlesen, manche sind harmloser, andere nicht, viele schlichtweg gruselig, ich sehe wenig Grund, ihnen hier noch eine posthume Plattform zu geben.

Es reicht, Boris Johnson zu zitieren, der im Unterhaus in seinem Tribut an Prince Philip erklärte, die Welt habe jenem seine „politisch inkorrekten“ Scherze über Kannibalismus und mit Speeren werfende Eingeborene nicht übel genommen: „Im Gegenteil, die meisten verstanden, dass er das Eis brechen wollte, um Dinge in Gang und die Leute zum Lachen zu bringen, damit sie auf ihre Nerven vergessen.“

So als wollte Johnson beweisen, warum es so wenig bringt, seiner Umgebung am deprimierenden Zitatenschatz des Eisbrechers die eigene, rechtschaffene Empörungsfähigkeit zu beweisen. Weil nämlich der dabei erst recht wieder verbreitete, in Scherzform vorgebrachte Rassismus und Sexismus mehrheitlich immer noch für gute Laune sorgt.

So sieht - bei allem Gerede über die vorgeblich so tyrannische Wokeness - der britische Konsens aus. Und auch, wenn mit Prince Philip heute eine Symbolfigur dieser (post-)imperialen Arroganz in einem gepimpten Land Rover zu Grabe gerollt wird: Der aus ihr gespeiste Geist bleibt bedrückend lebendig.

A worker installs Covid-19 information signs depicting Coldstream Guards wearing face coverings, and the words "Don't let your Guard down", outside Windsor Castle in Windsor

DANIEL LEAL-OLIVAS / AFP

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