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Robert Rotifer

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EU-Bürger*innen im UK: Die Deadline droht!

Zur Abwechslung einmal eine reine Service-Kolumne, weil’s wichtig ist. Am 30. Juni läuft für alle im UK wohnhaften EU-Bürger*innen eine potenziell lebensverändernde Deadline aus. Warum alle Betroffenen, die ihn noch nicht haben, in den nächsten sechs Tagen unbedingt ihren Settled Status oder Pre-Settled Status sicherstellen müssen.

Von Robert Rotifer

Ich will einmal gar nichts analysieren, nur Informationsdienst leisten. Ich weiß, es ist ziemlich Nische, aber manchmal treffe ich hier drüben Auslandsösterreicher*innen, und öfter, als ich es erwartet hätte, sagen sie mir dann, dass ihnen diese Kolumnen das Gefühl gegeben haben, auf dieser in jüngeren Jahren etwas abgedrifteten Insel sowas wie einen Verbündeten zu haben. Das finde ich dann genuinely herzerwärmend. Aber diesmal geht’s nicht um den Austausch von Nest-Fernwärme oder das Teilen von Wut, sondern um was ganz konkret Wichtiges zum Weitersagen.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Ich weiß übrigens, es geht vielen bei euch drüben auf die Nerven, wenn die jungen Menschen dauernd Deutsch und Englisch mischen. Aber ich hab gerade das Programm fürs Popfest Wien geschrieben und bei der Recherche dafür in Interviews gehört, wie Musiker*innen darüber erzählen, was sie alles so recorden oder writen und nice finden, und ich fand das aus der Distanz hier eigentlich rather charming. In any case geht so, nur noch ärger, auch die gespaltene language von uns hier drüben, und ich translate das hier jetzt nur ins Reindeutsche für euch, weil ich mich an die rules des Mediums halte.

Nach dem nächsten Satz dann zumindest, denn zuerst muss ich noch was nicht ganz Übersetzbares loswerden: Unsere Leben hier sind nämlich on hold, nicht erst sein Corona, sondern seit fünf Jahren.

In der Tat, gestern begingen wir hier das fünfjährige Jubiläum dieses gewissen, beschissenen Referendums, das uns Zugewanderten hier die Welt auf den Kopf gestellt hat. Ich bin gerade zu faul, die aktuelle Umfrage rauszusuchen, um nachzusehen, wie es prozentuell genau aussieht, aber eine klare absolute Mehrheit der Brit*innen sieht BRXT (ich kann das Wort ja auch nicht mehr sehen) heute zumindest als keine Verbesserung für das Land. Eine relative Mehrheit sieht es eindeutig als Verschlechterung, nur unter Konservativwähler*innen gibt es noch eine ganz knappe Mehrheit, die dieses von Emotionen, Fantasien und glatten Lügen getragene Projekt für einen Erfolg hält.

Der Grund, warum mich diese Zahlen so wenig interessieren, ist wiederum bloß die Wiederherstellung einer Spur von Gegenseitigkeit. Denn wie unsereiner von den Launen der Indigenen hier betroffen ist, interessiert jene schließlich auch nicht.

Das erkennt man zum Beispiel daran, dass im UK faktisch kein Mensch oder Medium davon redet, weiß bzw. berichtet, dass in sechs Tagen, also mit 30. Juni für hier lebende EU-Bürger*innen die Deadline zur Erlangung des verpflichtenden, sogenannten Settled Status, abgekürzt EUSS (I know!!), ausläuft. Viele Tausende, das ist jetzt schon abzusehen, werden sich ab diesem Stichtag in großen, existenziellen Schwierigkeiten wiederfinden.

Ich hab hier ja seit Jahren schon immer wieder über diesen digital vergebenen Status geschrieben, der einem zu Aufenthalt, der Annahme eines Jobs, Abschluss eines Mietvertrags oder Gesundheitsversorgung verhilft.

Ich dachte also, das wären alles alte News (Hier zum Beispiel ist der Link zu meinem erfolgreichen Selbstversuch mit allen nötigen Details aus dem Jänner 2019). Bis ich vor zwei Wochen einen Möbelflohmarkt im nahe gelegenen Faversham besuchte.

Eine Geschäftsbetreiberin dort stellte mir, als ich mich nach einem hübschen Beistelltisch erkundigte, die klassische Gegenfrage, die einem immer so verlässlich alles seit der Einwanderung vor vielen Jahren erlangte Dazugehörigkeitsgefühl wegpustet: „Where are you from?“

Zu antworten, dass man aber Leute kennt, die einem glaubhaft versichert hätten, man habe eigentlich gar keinen Akzent mehr, hilft in dieser Situation leider überhaupt nicht.

Vielleicht gibt es ja einen schlauen Ausdruck für Fragen, deren bloße Stellung ihre Prämisse beweist. Falls ja, wäre so ein „Where are you from?“ unter einander Unbekannten mein Paradebeispiel dafür.

So oder so kommt man dabei jedenfalls ins Reden und erfährt, dass die Fragenden auch schon einmal in Österreich waren. Schifahren meistens. Oder irgendwann früher, mit der Schule. Schön ist es dort in Österreich. Lebenswert. Ein vermeintliches Kompliment als Einschwingen zum ultimativen Keulenschlag: „So why did you move away?“

In diesem Fall dagegen hatte die Händlerin immerhin die potenziell interessantere Verlaufsvariante B des „Where are you from?“-Gesprächs anzubieten („Ich kenn eh auch Ausländer*innen“, „Einige meiner besten Freund*innen sind nicht von hier“ etc.).

Wie sich herausstellte, ist ihre Schwiegermutter Holländerin.

„Und“, fragte ich fürsorglich, „hat sie eh auch ihren Settled Status beantragt?“

Wortloses Lächeln mit „Wovon zur Hölle redet der Typ“-Blick dazu.

Ich: „Der Settled Status für EU-Bürger*innen, den man fürs Bleiberecht braucht, die Deadline ist am Dreißigsten.“

„Ach“, sagte die Gebrauchtmöbelversilberin, „die lebt doch schon seit dreißig Jahren hier. Und ihr Mann war Brite. Die hat schon ewig ihre unbegrenzte Aufenthaltsberechtigung.“

Leser*in, ich musste sie enttäuschen und ihr eröffnen, dass das alles nichts bringt. Denn die alten Wische sind nun wertlos, und ab dem 30. zählt nur mehr der Settled Status, für den es – wie hier auch schon ein paarmal berichtet – keine offizielle physische Bestätigung gibt, man kann ihn – wenn einmal vergeben – dann nur auf der Regierungs-Website abrufen.

Ich ließ mir von der Schwiegertochter der Holländerin also die Visitenkarte geben, schickte ihr ein erklärendes Email mit Link zur Regierungs-Website und sonnte mich in dem Gefühl, einmal so richtig useful gewesen zu sein.

Also, falls ihr jemanden kennt, die oder der in diesem verwirrten Königinnenreich lebt und glaubt, es reicht, immer schon da gewesen zu sein, insbesondere ältere Menschen, die nicht viel oder gar nicht online sind, bitte macht es wie ich. Be a mensch!

Wie in oben verlinkter Story eh erklärt, muss man fünf Jahre durchgehend hier gelebt haben, um den Settled Status zu erhalten. Und hat man das nicht, dann muss man sich UNBEDINGT den sogenannten Pre-Settled Status besorgen. Über dieselbe Website.

Und wie ebenfalls in oben verlinkter Story erklärt, braucht man dazu einen EU-Pass mit Chip und Zugang zu einem relativ frischen Android-Phone. Mit iPhone geht es leider nicht, es muss aber nicht das eigene Telefon sein.

Wie versprochen, diverse Erklärungen, was daran alles falsch ist und inwiefern die Praxis all den Beteuerungen von britischer Seite vor und kurz nach dem verdammten Referendum widerspricht, erspare ich uns diesmal. Aber hier wäre ein Link zu einer der wenigen Stories in den britischen Medien zu diesem, wie der Guardian es nennt, „recipe for disaster“, und warum die volle, akut lebensverändernde Härte der Settled-Status-Deadline vor allem verwundbare, ältere Menschen, Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei oder Kinder mit EU-Staatsbürgerschaft betrifft (auch solche, die bei britischen Familien leben).

Ab dem 30. Juni haben EU-Bürger*innen nur mehr vier Wochen Aufenthaltsberechtigung, in denen sie aber bereits das Recht auf Gesundheitsversorgung verlieren (jawohl, mitten in einer Pandemie, wie menschenfreundlich ist das?).

Weitere Informationen und Unterstützung bietet die EU-Bürger*innen-Plattform the 3 million bzw. natürlich die österreichische Botschaft in London.

PS: Interessantes Addendum, das nach Veröffentlichung dieser Story per Twitter reinkam:

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