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Montage: Jakob Schubert klettert, Rayssa Leal macht einen Boardslide am Skateboard, ein BMX-Freestyler macht einen Backflip und ein 3x3-Basketball

APA/AFP/MOHD RASFAN / Javier SORIANO / Lionel BONAVENTURE

Wie wird es mit den neuen olympischen Sportarten weitergehen?

Skateboarden, BMX-Freestyle, Klettern und 3x3-Basketball sind in Tokio zum ersten Mal bei Olympischen Spielen dabei gewesen. Welchen Eindruck haben ihre Debüts in den jeweiligen Szenen hinterlassen und wie geht es für sie weiter? Ein Überblick.

Von Simon Welebil

Mit dem Ziel, die Olympischen Spiele attraktiver für ein jüngeres Publikum zu machen, hat das Internationale Olympische Komitee unter Thomas Bach die Agenda 2020 gestartet und für Tokio 2020 neue Sportarten ins Programm aufgenommen. Das hat allerdings nicht überall Jubelstürme ausgelöst. Vor allem in den „Lifestyle-Sportarten“ gab es starke Vorbehalte gegenüber den Olympischen Spielen. Hat sich nach ihren Premieren in Tokio etwas verändert?

Beim Skateboarden gibt es weiterhin zwei Lager

Skateboarden ist kein Sport, sondern Ausdrucksform und Lifestyle, heißt es aus der starken Skateboard-Core-Szene, die Olympische Spiele, das IOC und die Reglementierung ihrer liebsten Tätigkeit seit jeher und auch weiterhin als Bedrohung des Wesens des Skateboardens vehement ablehnt. Einer, der dem olympischen Skateboarden ambivalenter gegenüber steht, ist der Innsbrucker Stefan Ebner, der seit Jahren Skate-Contests veranstaltet und moderiert und der fest in der Szene verankert ist. Vom Niveau der Contests bei den Olympischen Spielen ist er angetan gewesen, das sei aber zu erwarten gewesen. Die Formate von Street und Park sind lange erprobt und einige der besten Wettkampfskater*innen, zumindest diejenigen, die sich den olympischen Regeln inklusive Dopingtests etc. beugen, waren bei Olympia am Start.

Rayssa Leal mit einem BS-Boardslide

APA/AFP/Lionel BONAVENTURE

Silbermedaille in Skateboard Street für die 13-jährige Brasilianerin Rayssa Leal

Dass vor allem ganz junge Skater*innen Medaillen geholt und Schlagzeilen geliefert haben, hat ihn nicht überrascht. „Die liefern einfach konsistent ab“, will heißen, dass die ihre schwierigen Tricks und Läufe stehen, während etwa Contest-Superstar und Gold-Favorit Naha Huston im Finale seine Tricks nicht landen konnte. Dafür gibt es ihn als Barbie-Puppe im Olympia-Outfit.

Vorkommnisse wie diese seien in der Szene befürchtet worden, genauso wie die Art der Berichterstattung in den Mainstream-Medien, die für Stefan Ebner teilweise zum Fremdschämen gewesen sei.

Aufs Contestskaten bezogen sieht er nach der olympischen Premiere eine starke Zweiteilung aufs Skateboarden zukommen. Einerseits werde es eine streng sportliche Wettkampfschiene geben, wo man nur als Vereins- bzw. Verbandsmitglied teilnehmen kann, und es werde, vielleicht als Gegenbewegung, „vermehrt Formate geben, wo man sich mehr auf die Skateboardkultur besinnt, wo alles etwas lockerer abläuft und wo Skaten selbst im Vordergrund steht und weniger die Rangliste am Ende“. Das gehe im Wettkampfskaten aber auch nicht ganz verloren.

„Auch bei Olympia hat man Gott sei Dank gemerkt, dass die Skater und Skaterinnen noch ein wenig anders ticken als jene Sportler und Sportlerinnen, die aus dem traditionellen organisierten Sport kommen.“ (Stefan Ebner)

BMX-Freestyler mit Backflip

APA/AFP/Lionel BONAVENTURE

BMX-Freestyle hat sich „toll präsentiert“

Die Diskussionen um Core-Szenen und organisierten Sport gibt es natürlich auch in der BMX-Szene, wenn auch nicht gar so laut wie beim Skaten, wie BMX-Legende Senad Grosic, der für den ORF die BMX-Freestyle-Bewerbe auch kommentiert hat, erklärt. Ihm hat sehr gut gefallen, wie die Riderinnen und Rider ihren Sport präsentiert und nach außen getragen haben. Er hofft auf einen Boost für Freestyle-BMX, auch durch die Medienberichte weltweit, die vielen den Sport erstmals näher gebracht haben.

Das Tricklevel bei den Contests ist für ihn unglaublich und „next level” gewesen, und daran hätten die Olympischen Spiele einen großen Anteil. Sie würden auch allgemein das Sportlevel pushen, gerade bei jungen Sportarten sei noch viel Luft nach oben. Auch dass der (internationale) Radsportverband jetzt hinter der Szene steht, sieht Senad Grosic positiv, weil die Möglichkeiten zum Trainieren und Regenerieren dadurch besser würden.

In Bezug auf die Contestszene sieht er die Entwicklung ähnlich wie Stefan Ebner für das Skateboarden: Es werde in Zukunft mehr verschiedene Events geben, neben Contests für die Weltrangliste auch viele Jams für die Core-Szene.

Noch mehr Aufmerksamkeit fürs Klettern

Im Klettern ist schon von Anfang an klar gewesen, dass das Kombinationsformat, das extra für die Olympischen Spiele erfunden wurde, nicht ideal sein würde. In einer Kombination aus den drei verschiedenen Disziplinen Speed, Bouldern und Lead würden zwangsläufig manche Kletterer und Kletterinnen, die sich zuvor normalerweise auf eine Disziplin spezialisiert haben, blöd aussehen. Beim Finale der Herren hat sich auch der Verband nicht gerade positiv hervorgetan, als er, nachdem der beste Speedkletterer wegen einer Verletzung ausgefallen war, gegen den Wunsch der Athletenvertreter, ausgerechnet dem Langsamsten ein Freilos in der ersten Speed-Runde gewährt und damit den ganzen Wettbewerb verzerrt hat.

Jakob Schubert bouldert

APA/AFP/MOHD RASFAN

Jakob Schubert in einem der Final-Boulder

Das ist aber vielleicht auch nur denen aufgefallen, die sich intensiver mit Wettkampfklettern beschäftigen, in den Google-Such-Trends ist Sportklettern bei seinem olympischen Debüt auf einen Spitzenplatz vorgestoßen, hat also mit seinen spektakulären Bildern viel Aufmerksamkeit erregt. Dieses olympische Kombinationsformat ist mit den Spielen von Tokio ohnehin Geschichte, 2024 in Paris wird es bereits zwei Medaillenentscheidungen im Sportklettern geben, eine im Speedklettern, eine in einer Kombination aus Bouldern und Lead. Dass durch die olympischen Weihen mehr Geld ins Wettkampfklettern fließt, hat sich schon seit Jahren gezeigt, Athlet*innen aus mehr Ländern könnten jetzt ihren Sport professionell ausüben, wie Olympia-Medaillensieger Jakob Schubert schon vor den Spielen erzählt hat.

Neue Strukturen für 3x3-Basketball

Dass 3x3-Basketball, das als „Eventsportart“ konzipiert ist, ohne die Fankulisse weit weniger Eindruck schinden würde, war zu erwarten, und trotzdem haben die Matches überzeugt, mit ihrem Tempo, ihrer Härte und auch ihren Emotionen. Die größte Basketball-Nation, die USA, war bei den Herren nach dem engen Quali-Turnier in Graz gar nicht dabei, die US-Frauen haben ihre Favoritenrolle aber bestätigen können und haben sich die Goldmedaille geholt. Dass bei den Herren aber die Mannschaft aus dem kleinen Lettland, die sich seit Jahren voll auf dieses neue Format konzentriert, den ersten Platz gemacht hat, ist eine Bestätigung für den Basketballweltverband FIBA, mit diesem Format auch anderen – kleineren – Ländern eine Chance auf internationale Erfolge einzuräumen, die ja auch der österreichische Basketballverband ergreifen will.

3x3-Basketball Korbversuch

APA/AFP/Javier SORIANO

Lettland im 3x3-Final gegen Russland

Schon mit dem olympischen Qualifikationsprozess hat sich strukturell im 3x3-Basketball einiges getan. Die FIBA hat dieses Jahr nach der 3x3 World Tour für die Männer endlich auch eine 3x3 Women’s Series gestartet. In Österreich baut man deshalb auch eine professionelle 3x3-Frauenmannschaft auf. Und auch auf niederer Ebene geht für 3x3 etwas weiter, endlich wurde wieder eine österreichweite Streetball-Serie ins Leben gerufen, die dieses Jahr mit einem Finale in Wien zu Ende gegangen ist. 3x3-Basketball wird wohl noch viele Fans finden.

Angst vor Vereinnahmung bleibt

Bei all den positiven sportlichen Bildern und Schlagzeilen geht gerade bei den Lifestyle-Sportarten ein Problem unter, das man vor über zwanzig Jahren schon beim Snowboarden beobachten konnte: Dass das IOC und seine oft sportspezifisch inkompetenten oder fachfremden Verbände über „ihre“ Olympischen Spiele die „Hoheit“ über die Lifestyle-Sportarten sichern, inklusive Fernsehgelder und Sportförderungen. Skateboarder Stefan Ebner schmerzt das besonders, weil das in Österreich für Skateboarden gewaltig schiefgegangen ist. Unter der Hoheit des Rollsport- und Inline-Skate-Verbands sei die Mitsprache der Skateboardszene gleich Null:

„Der organisierte Sport will einfach an der Attraktivität von eigenständig gewachsenen, freien Bewegungskulturen mitnaschen, verleibt sie sich ein und zwängt sie in bereits etablierte Strukturen. Die Futtertröge müssen gefüllt bleiben – so scheint’s!“ (Stefan Ebner)

Bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 wird Breakdancen zur olympischen Disziplin, unter der Ägide des Tanzverbandes. Parkour/Freerunning ist vom Weltgymnastikverband auch schon mehrmals als Medaillendisziplin vorgeschlagen worden. Hier wehrt sich die Szene aber noch extrem gegen eine Vereinnahmung, mal sehen, wer sich hier am Ende durchsetzen kann.

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