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Kanye West

APA/AFP/Jean-Baptiste Lacroix

Bigger than Hip Hop

Kanye Wests „Album“ mit dem Titel „Donda“ ist, anscheinend dank Universal und gegen seinen Willen, erschienen. Der Versuch einer Reflektion.

Von Mahdi Rahimi

In den letzten Jahren war Kanye West in der öffentlichen Wahrnehmung mehr ein wandelndes öffentliches Ärgernis als einer der größeren Künstler des 21. Jahrhunderts. Seine Auftritte bei TMZ, wo er Sklaverei zu einer Art freier Wahl erklärte, und mit US-Präsident Nummer 45, sein Rückzug aus der Öffentlichkeit auf eine Farm mit einem Gospel Chor (Sunday Service) sowie zuletzt seine Auftritte mit Maske auf der Paris Fashion Week sorgten für viel Erstaunen. Seine Ehe ging zu Bruch, Kim Kardashian war es anscheinend, die die Scheidung einreichte. Man wusste nach dem Ende der Beziehung nur, dass er an einem Album namens „Donda“ arbeitet, das schon mehrmals davor angekündigt worden war.

Als das Album einen Veröffentlichungstermin hatte, gestaltete sich die Promophase absurd. Man sah Kanye West und seine Truppe in einem Bunker in einem Footballstadion mit einer Standkamera, wie er einen Livestream bot bis zum Release, der nicht passierte. Dieser Livestream dauerte entsprechend lange und irgendwann wurde „Donda“ im Stadion schließlich vorgespielt, was der Autor dieser Zeilen leider nicht anschauen konnte, da er doch ein Leben und einen Brotberuf hat, der ihm das nicht erlaubt.

Stadion

Jesse Lirola BFA

Listening-Event zu „Donda“ am 26. August in Chicago

Am Sonntag kam nun aus relativ heiterem Himmel „Donda“ endlich heraus, wobei Kanye West nach eigenen Angaben darüber nicht selbst entschieden hat, sondern der Vertrieb. Dass dies im Endeffekt egal ist, weil der Musiker bekanntlich nach dem Streaming Release an seinen Alben weiter herumbastelt und Dinge ändert, ist geschenkt. Doch endlich hat man die Möglichkeit, „Donda“ zu hören, und das Album ist nicht mehr das Kanye-Meme, wonach er ein leeres Album droppen würde und seine Fans es trotzdem feiern würden.

Whut? Thee Album

Vorweg, wenn jemand bis „The Life of Pablo“ kein Fan von Kanye war, sollte er das neue Album am besten auch nicht anhören, sondern lieber schauen, was Streaming-Dienste gerade sonst anbieten. Es ist auch mittlerweile relativ sinnlos, über die Musik zu diskutieren. Kanye West führt nebenbei ein 6,5 Milliarden Dollar schweres Unternehmen, und seine Freunde sind nicht irgendwelche Dudes auf der Straße, sondern Multimilliardäre, Chefdesigner von Louis Vuitton und dergleichen. Das hat auf den ersten Blick alles mit Rap und Hip Hop als Musik und Kultur der Unterschicht genauso viel zu tun, wie eben ein Multimilliardär in seiner Midlife Crisis mit Jugendkultur. Doch Kanye West vereint auf dem Album Rapper und Produzenten mehrerer Generationen, wie nur er es eben kann. Chefproducer auf dem Album ist wieder Mike Dean, der Producer von Rap-A-Lot und dem Rapper Scarface, den er mit aktuellen Produzenten wie Wheezy Outta Here und Gesaffelstein zusammenbringt. Auf „Donda“ rappen Rapper wie Playboi Carti, Lil Baby und Lil Yachty, die Leader einer neuen, jungen Generation an Rappern, genauso wie Conway und Westside Gunn von Griselda Records, Jay Electronica und The LOX. Diese Bandbreite an Rappern und Hip-Hop-Kultur auf einem Album findet man auch nur bei Kanye (und ja, dass er auch DaBaby und Marilyn Manson auf das Album bringt, in „Jail Pt. 2“, ist leider auch sehr idiotisch Kanye).

„Donda“ wirkt eher wie eine Playlist von verschiedenen Tracks als wie ein Album. In einer Zeit, in der es hauptsächlich darum geht, Songs auf Playlists unterzubringen, die besonders oft gestreamt werden, bringt Kanye quasi seine eigene Playlist mit Songs, die mitunter 11 Minuten dauern und auf keiner Playlist wirklich Platz finden.

Doch worum es wirklich geht, bringt Larry Hoover Jr., der Sohn von Larry Hoover, auf den Punkt, der in „Jesus Lord“ und „Jesus Lord Pt. 2“ seinen Auftritt hat: Larry Hoover sitzt seit knapp 47 Jahren im Gefängnis, weil er sechsmal lebenslänglich Gefängnis bekommen hat. Er ist mittlerweile zweifacher Großvater und sitzt in Haft, getrennt von seiner Familie, wegen eines Verbrechens, das er vor knapp 50 Jahren begangen hat, und weil er danach aus dem Gefängnis einige Zeit die Geschäfte weiter leitete, und weil das Gefängnis in den USA die Leute meistens erst wirklich kriminell macht. Jegliche Gnadengesuche wurden bis jetzt abgewiesen. Ob Larry Hoover mittlerweile die Freilassung verdient oder nicht, soll der Leser/die Leserin selber entscheiden. Wie ein Mensch aber sechsmal sterben soll, um dann frei zu kommen, ist eine andere Sache, und welche Gefahr ein 70-jähriger Mann nach 47 Jahren Gefängnis für die Öffentlichkeit darstellen soll, sollte auch zu diskutieren sein. Larry Hoover Jr. erzählt, wie ihm erzählt wurde, dass sein Vater rauskommen wird, wenn er einmal mit der Schule fertig ist. Mittlerweile sind Larry Hoovers Enkelkinder auch schon mit der Schule fertig und Larry Hoover hat sie noch immer nicht gesehen. Larry Hoover war auch Thema von Kanyes Besuch im Oval Office, wo er bei Präsident Nummer 45 um eine Freilassung ersuchte. Dies ist leider nicht passiert, doch die Reform der Strafjustiz ist eines der Anliegen, die sich Kanye auf seine Fahne geschrieben hat.

Seit seinem ersten Album, und das spricht Larry Hoover Jr. auch an, geht es Kanye West um ein großes Hauptthema, nämlich das Leben als ein in der 3. oder 4. Generation von der Sklaverei befreiter afroamerikanischer Mann in einer kapitalistischen Gesellschaft. („Cause the conditions in this capitalist society is what made him / And it is what made the children of today“ - Larry Hoover Jr.) Dieses Thema zieht sich durch alle Alben, sei es „College Dropout“ („All Falls Down, New Workout Plan“), „Yeezus“ („New Slaves“) oder eben jetzt „Donda“. Gepaart war dies immer mit seiner spirituellen Suche und seinem Drang zu künstlerischer Integrität und Unabhängigkeit. Dass er sich dabei immer wieder Aktionen leistete, die in der feinen Gesellschaft unpassend waren, geschenkt.

Auch wenn seine Musik mittlerweile eher zu Laufstegen passt als zu irgendwelchen Boomboxes von Jugendlichen in Parks, hat Kanye West die Idee von Hip Hop als dominante Jugendkultur der letzten 40 Jahre zu Ende gedacht. Er sieht ein, dass er aus einer Kultur und Tradition kommt, die nicht am Tisch mit dem „alten weißen Mann“ sitzen kann, weil das eben nicht sein Tisch ist. Er will selbst bestimmen, wie der Tisch gedeckt ist und wer da sitzen kann. Kanye West will nicht zulassen, dass Hip Hop am Ende wie Rock’n’Roll als Musik von „Weißen“ endet, die sich auf Kosten des Leides und der Tradition afroamerikanischer Kunst und Kultur ihr bestes Leben verdienen. Er will nicht, dass seine Alben irgendwann auf T-Shirts für 30 Dollar bei irgendwelchen Fast Fashion Retail Stores landen. Es ist „Thug Life“ fast zu Ende gespielt, von dem Sohn eines Black-Panther-Fotografen und einer Professorin für afroamerikanische Literatur, Donda West, seiner Mutter, nach der er das Album benannt hat. Wieder bringt Larry Hoover Jr. es auf den Punkt: „You might not have been the only one that could’ve did that. But you were the one that did do that.“

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