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Jungle Book reimagined

Ambra Vernuccio

ImPulsTanz-Festival

Mavin Khoo von der Akram Khan Company über Kulturimperialismus und die Klimakrise

In „Jungle Book reimagined“ erzählt die Akram Khan Company den Klassiker aus dem Jahr 1894 neu - aus Mowglis Perspektive als geflüchtetes Mädchen. Tänzer und Choreograf Mavin Khoo spricht im FM4-Interview über große Themen wie Klimawandel und einen neuen Imperialismus in der Kulturindustrie.

Von Melissa Erhardt

Am Samstag hat im Zuge des ImPulsTanz-Festivals das neueste Stück der Akram Khan Company Premiere in Wien gefeiert: Die britische Tanz-Company hat das Dschungelbuch neu inszeniert und im Burgtheater auf die Bühne gebracht.

Das ImPulsTanz Festival mit Performances, Workshops und Partys läuft noch bis 7. August in Wien. „Jungle Book reimagined“ wird am 25. und 26. Juli um jeweils 21 Uhr im Wiener Burgtheater aufgeführt.

Im „Jungle Book reimagined“ ist Mowgli ein Mädchen, das sich in einer von den Folgen des Klimawandels gebeutelten Zukunft durchschlägt. Der Meeresspiegel steigt, Menschen kämpfen um ihr Überleben. Mowgli wird während einer großen Flut von ihrer Familie getrennt und von einem Wolfsrudel entdeckt, das das Mädchen bei sich aufnimmt. Die Klimakatastrophe ist also real – und das machen Akram Khan und seine Company durch Tanz, Textpassagen, Musik und Video-Animationen sehr deutlich. Khans kreativer Partner, der Tänzer und Choreograf Mavin Khoo, hat vor der Premiere mit uns unter anderem darüber gesprochen, wie Tanz dabei helfen kann, den Klimawandel greifbarer zu machen und warum die westliche Kulturindustrie manchmal einfach mehr zuhören sollte.

Letztes Jahr hat die Akram Khan Company „Outwitting the Devil“ hier beim ImPulsTanz Festival in Wien aufgeführt, dieses Jahr das „Jungle Book Reimagined“. Beides sind sehr düstere Stücke, beide drehen sich um den Klimawandel und den Umgang des Menschen mit der Natur. Was reizt die Akram Khan Company an diesen Themen?

Mavin Khoo: Ich denke, es ist ein kollektives Gefühl der Verantwortung, die wir als Company für die Menschheit und die Welt empfinden. Das Dschungelbuch ist ein Werk, in dem Akram das Thema aus der Sicht eines Vaters betrachtet. Wir arbeiten zunehmend in einer Industrie, in der es um die Herstellung eines Produkts geht, um Einspielergebnisse, um Auftragsgelder, um alles, nur nicht um die Kunst. Und worauf ich bei der Arbeit mit Akram am meisten stolz bin, ist, dass es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, immer mehr zu dieser Marke zu werden und am laufenden Band zu produzieren, aber er wird immer menschlicher. Es geht alles weniger vom Choreographen, vom Tänzer und Regisseur aus, sondern mehr von einem Vater, einem Sohn, einem Ehemann. Das ist etwas, das unglaublich ehrlich ist.

Mavin Khoo

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Mavin Khoo ist ein international bekannter Tanzkünstler, Lehrer, Choreograf und Kunstwissenschaftler. Khoo gilt als einer der wenigen männlichen Bharata-Natyam-Solisten, der sich eine Nische als international tourender Solokünstler geschaffen hat. Bei der Akram Khan Company ist er als Creative Associate und Coach tätig.

Warum, glaubst du, ist das so?

Mavin Khoo: Ich denke, es liegt zum einen am Alter und zum anderen an der Kultur. Wir haben beim Aufwachsen immer gesagt bekommen: Der Osten und der Westen verlieren immer mehr an Trennschärfe, die Globalisierung nimmt zu. Wir wurden dazu erzogen, das für eine gute Sache zu halten. Aber als ich älter wurde, habe ich gemerkt, dass es schön ist, dass es Ost und West gibt. Und ich finde, das Schöne an der Akram Khan Company ist, dass die Arbeit zwar zeitgenössisch ist und aus verschiedenen Techniken, Kulturen, Menschen und Geschichten schöpft, aber dennoch in einem Ursprung und einer Erziehung verankert ist, die asiatisch ist.

Sowohl du als auch Akram Khan wurden in klassischem indischen Tanz ausgebildet. Werden wir in „Jungle Book Reimagined“ viel davon sehen?

Mavin Khoo: Man wird viel davon sehen, aber nicht in den Bewegungen, sondern im Geiste. Alle diese Tänzer*innen sind zeitgenössische Tänzer*innen, niemand von ihnen hat eine klassisch indische Tanzausbildung. Aber sobald sie der Company beitreten, findet eine Art Umerziehungsprozess statt. Die Art und Weise, wie wir (Anm.: Akram Khan und Mavin Khoo) den Tanz betrachten, wie wir die Musik hören, wie wir üben, wie wir den Boden berühren, wie wir uns verbeugen: All diese Dinge entstammen unserer klassischen indischen Tanzausbildung. Viele Menschen sagen, dass unsere Stücke eine Erfahrung sind, oft sogar ohne zu verstehen, was sie überhaupt genau empfinden. Ich glaube, das liegt daran, dass wir an das Unfassbare, das Nicht-Greifbare glauben. Wir sind davon überzeugt.

Du bist Tänzer, Lehrer und Choreograf. Wie kann Tanz deiner Meinung nach dazu beitragen, Themen wie den Klimawandel besser zu verstehen?

Mavin Khoo: Ich glaube, es kann unglaublich schön sein, den intellektuellen Verstand, den Kopf, beiseitezulassen. Die Schönheit des Tanzes liegt darin, dass er aus dem Bauch kommt, es geht um Instinkt und Intuition. Wenn wir über das Intellektuelle sprechen, geht es oft um das Ego, um Politik. Wenn wir aber den Tanz in diesen intuitiven Raum zurückbringen können, dann wird eine gewisse Ehrlichkeit spürbar. Und ich glaube, dass sich dadurch die Einstellung der Menschen zu diesem Thema ändern kann. Die Menschen reden viel über den Klimawandel, sie reden über Rassismus, über Race Relations, über alles mögliche. Aber sie müssen mehr fühlen, denn erst das Gefühl ermöglicht eine Aktion, eine Reaktion, eine Antwort.

Gestern hast du in deiner Instagram-Story etwas gepostet, das ich gerne kurz aufgreifen würde. Du hast geschrieben, dass die westliche zeitgenössische Tanzindustrie lange so getan hat, als wäre es ihre „Verantwortung“, Artists of Color zu „erziehen“ was den Umgang mit eigenen (Tanz-)Traditionen angeht. Jetzt, schreibst du, tun sie so, als wären sie die „Rettung“ für eure „problematischen“ Werte und Traditionen - und nennst es eine neue Form von Imperialismus. Kannst du das ein bisschen ausführen?

Mavin Khoo: Weißt du, ich bin ein Produkt des Kolonialismus. Ich wurde in Malaysia geboren, meine Mutter stammt aus Sri Lanka und mein Vater ist Chinese. Ich wuchs in Indien auf, dann kam ich nach England und lebte eine Zeit lang in Malta, das auch eine ehemalige Kolonie ist. Als „postkoloniales Produkt“ ist es also interessant, wie stark mein Leben von der Vorstellung geprägt war, dass das Beste immer dort (Anm.: im Westen) ist. Als klassischer indischer Tänzer habe ich mich irgendwann gefragt: Warum will ich eigentlich in Sadler’s Wells (Anm.: führende Londoner Bühne für Ballett und modernes Tanztheater) tanzen? Es wird von Leuten geleitet, die eigentlich nicht viel über die Form des klassischen indischen Tanzes wissen. Warum warte ich darauf, dass sie mir eine Bestätigung geben? Oder, ein anderes Beispiel, warum warten klassische indische Sänger*innen so sehnsüchtig darauf, einen Grammy Award zu bekommen? Das ist eine Frage, die ich mir persönlich stelle.

Aber ich glaube, es gibt auch ein Problem in Bezug auf dieses – vor allem post-pandemische – Bewusstsein für all diese komplexe Themen wie Machtmissbrauch, Race usw. Mein Problem ist: Es gibt eine Reihe an komplexen Dingen, die sehr nuanciert sind und in einer Zeitspanne von Tausenden von Jahren entstanden sind - und die eine Personalabteilung nicht lösen kann. Genauso wenig wird das Problem gelöst, indem man ein Team hat, das ausschaut wie eine Benetton-Werbung, mit Menschen verschiedener Hautfarben, die aber alle gleich denken. Worum es nämlich geht, ist eine andere Art des Denkens, eine andere Art des Aufwachsens, andere Wertesysteme, andere Traditionen. Es geht darum, zuzuhören - und nicht zu urteilen.

„Es gibt eine Reihe an komplexen Dingen, die in einer Zeitspanne von Tausenden von Jahren entstanden sind - und die eine Personalabteilung nicht lösen kann.“

Wir müssen den Kontext, die Kultur, die Tradition verstehen. Und zumindest in Großbritannien wird das für mich zu einem großen Problem. Wir gehen davon aus, dass die Idee des Kolonialismus aus einer konservativen Vergangenheit stammt, was ja auch stimmt. Aber wenn man sich zum Beispiel Indien anschaut, gab es vor allem im frühen 20. Jahrhundert eine ganze Bandbreite von christlichen Missionaren, die nach Indien kamen und sagten: Wir werden euch beibringen, was gute Sitten sind, was richtig ist, und warum das, was ihr tut, nicht unbedingt richtig ist. Und ich denke, dass es inzwischen eine unterschwellige Bewegung liberal denkender, cis-gendered und oft weißer Menschen gibt, die meinen, dass sie zum Beispiel zu einem klassischen indischen Tänzer sagen können: Weißt du, die Guru-Tradition ist sehr missbräuchlich.

Ohne überhaupt zu versuchen, es zu verstehen?

Mavin Khoo: Genau. Sie haben vielleicht ein oder zwei Personen zugehört, sie haben aber gar keine Ahnung, worum es geht. Es geht hier um eine Zivilisation, eine Tradition, die es schon seit 2000 Jahren gibt. Sie fühlen sich aber dazu berechtigt, weil sie in der Kunst arbeiten, weil sie liberal sind – zumindest ihrer Ansicht nach, und weil sie sich für alle möglichen Proteste einsetzen. Von außen betrachtet erfüllen sie also alle Voraussetzungen. Aber hören sie auch zu? Das ist mein Punkt. Es ist sehr komplex.

... also eine Art „Fake Representation“?

Mavin Khoo: So viel davon. Und das ist problematisch. Und es ist sogar noch problematischer, weil es kein Bewusstsein dafür gibt, dass es problematisch ist, weil es von außen betrachtet alle Kriterien erfüllt. Und ich denke, bei unserer Arbeit in der Akram Khan Company geht es immer um Nuancen. Es geht immer um Nuancen. Nichts ist schwarz oder weiß.

„Es geht immer um Nuancen. Nichts ist schwarz oder weiß.“

Ich würde zum Schluss gerne noch einmal auf das Thema Klimawandel zurückkommen. Wie geht ihr als Dance Company, die viel in vielen Ländern unterwegs ist, mit Dingen wie Kohlenstoffemissionen und Ähnlichem um?

Mavin Khoo: Wir versuchen ständig daran zu arbeiten, dem gerecht zu werden. Normalerweise haben wir zum Beispiel sehr große Kulissen für unsere Stücke. Beim Dschungelbuch aber besteht das ganze Set, das gesamte Bühnenbild, nur aus recyceltem Karton. Wir befinden uns immer noch in einem Prozess, in dem wir versuchen zu verstehen, wie wir Projekte entwickeln können, die immer weniger verbrauchen und verantwortungsbewusster sind, was Reisen und Tourneen und solche Dinge angeht. Es ist also ein Prozess. Was für uns wichtig ist, ist, dass wir nicht versuchen, vorzugeben, dass wir alle Antworten haben oder dass wir das Richtige tun. Wichtig für uns ist zu teilen, dass auch wir lernen wollen, wie man das Richtige tut.

Vielen Dank für das Gespräch!

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