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Enesi M

“Music is art and art is catharsis”: Enesi M. ist unser Soundpark Act im Februar

„Dystopia“ heißt die Debütplatte, Gothic Tropicalia das Genre. Enesi M ist unser Soundpark Act im Februar.

Von Melissa Erhardt

“I am this by design, too complex for your labels”: Versucht es erst gar nicht, ihr werdet mich eh nicht fassen können. Zumindest nicht in den Kategorien, die ihr anderen so gern drüberstülpt. Enesi M sagt es, bevor wir es können. Das Gefühl von Nicht-Zugehörigkeit begleite sie schon ein Leben lang – und ganz ehrlich: Nicht-Zugehörigkeit hat nie interessanter geklungen. Hört euch „Dystopia“ an, dann wisst ihr, was ich meine.

Genrebending, Crossover, Cross-Genre: Call it what you want, aber bei Enesi M hat alles Platz. Aufgewachsen als Afrolatina im oberösterreichischen Linz hat das vielleicht mehr mit Survival-Strategien zu tun, als einem bewusst ist. Man bekommt Marker zugeschrieben, die man selbst vielleicht gar nicht haben möchte. Identitäten sind Gott sei Dank aber nie endgültig, wir entscheiden am Ende selbst, was wir behalten und was wir wegwerfen. Und manchmal wirft man vielleicht was weg, wonach man später wieder gräbt, weil man sich denkt: He, so schlecht war das gar nicht.

Bei Enesi M. war das ungefähr so: Da waren Hip-Hop, Metal und Rock: die selfchosen Genres, die düsteren, vielleicht auch ernsteren Sounds, mit denen sie aufwächst und die sie inspirieren. Namen wie Scarlxrd, Cameron Azi oder ZillaKami fallen da im Gespräch, Trap-Metal-Pioniere, nicht viel älter als Enesi selbst, die das alles zusammenpanschen - die beengenden Beats, die geschrienen Vocals, die verzerrten Gitarren.

Da ist aber auch Baile Funk und Reggaeton: Die Musik, die auf Familienfeiern läuft, die Musik, die man sich eben nicht aussucht. Früher habe sie darauf gar keinen Bock gehabt, erzählt Enesi M. 2022 im Interview, als sie gerade ihre Debüt-EP „Corriendo“ rausgebracht hat. „Weil ich halt so ernst war, wollte ich keinen Reggaeton, keinen Baile Funk machen, keine Partymusik. Aber dann hab ich mir gedacht: Eigentlich ist das empowernd, vor allem wenn ich meine eigenen Themen reinbringe, wenn ich das verqueere und so“.

Gut zehn Jahre ist es her, dass Artists wie Tomasa del Real oder La Goony Chonga auf der Bildfläche erschienen sind und etwas groß gemacht haben, das später „Neoperreo“ heißen sollte: Queerer, sexpositiver Reggaeton, ganz ohne Male Gaze, weit weg von den patriarchalen Roots des Genres. Das gibt Andockungspotenzial. Für Enesi M ist das alles auch ein bisschen Resistenzstrategie, Musik als Coping: „Schwarz sein ist einfach geil, Latina sein ist supergeil. Ich will nichts anderes sein. Und ich würde niemals im Leben straight sein wollen. Ich bin so froh, dass ich queer bin, und deswegen möchte ich diese Freude auch in meine Musik mitreinpacken, Spaß haben und nicht nur leiden. Weil dass ich leide, und dass andere Menschen, die mehrfach marginalisiert sind, leiden - das ist eh klar“.

Enesi M

Radio FM4

Enesi M: Linzerin mit brasilianisch-kubanischen Roots

Normalize Twerking to Heavy Metal!

Heute sind die Einflüsse von früher zur besten Mischung zusammengeschmolzen, die wir uns vorstellen können. „Dystopia“, Enesis Debütplatte, ist eine zwanzigminütige Reise, von spine-chilling Synths, metallenen Hi-Hats und gutturalen Screams über 80er Cold-Wave zu hämmernden Baile Funk Bops und Dembow Rhythmen, progressiv und dark zugleich, getränkt in tiefster Selbstermächtigung. Live gibt es dazu jede Menge Kunstblut und Perreo.

Deconstructed Club Music, (Neo-)Perreo Industrial oder Gothic Tropicália könnten wir das vielleicht nennen, muss aber alles nicht sein. Den „Musikgenre-Snobismus“, den will Enesi M nämlich sowieso überwinden: "Wenn Menschen sagen: Das darf man nicht mit dem vermischen - Heavy Metal mit Reggaeton zum Beispiel - weil ’dann ist es nicht mehr „valid"’, da bin ich sehr stark dagegen“, sagt sie und lacht. "Normalize Twerking to Heavy Metal Songs!“

Musik als Coping mit der Weltzerstörung

Die Quintessenz von „Dystopia“, das ist wahrscheinlich Musik als Coping Strategie. Auf dem Cover steht ein Wald in Flammen - und mittendrin steht Enesi, als Zentaur mit leuchtend roten Augen, verwundet und blutverschmiert. Und trotzdem hoppeln da Hasen, blühen Blumen, wächst der Farn. „Believing in a future when the whole world seems to be deteriorating in front of our very eyes feels surreal to me most days”, schreibt sie kurz vor Albumrelease auf Instagram. Da hilft nur die Flucht in das Magische, das Übernatürliche. “Es geht darum, die Realität zu verzaubern, sich das Alltägliche übernatürlich vorzustellen“, erzählt sie im Interview. "Magic Realism. Einfach, um das Leben interessanter zu machen. Oder auch besser auszuhalten“.

Albumcover

Enesi M

„Dystopia“, das Debütalbum von Enesi M., ist am 30. November 2023 herausgekommen.

War „Corriendo“ noch ein zuhause produziertes Solo-Scherz-Ding („Ich hab damals einfach irgendwas auf Ableton gemacht und mir dann gedacht: Joa, hört sich eh leiwand an“) steckt hinter „Dystopia“ nicht nur mehr Konzept, sondern auch mehr Arbeit, mehr People-Power. Wiener Producer wie fazo666fazo (Baits, Bipolar Feminin) und DJ Nacht waren an den acht Songs genauso beteiligt wie der in Berlin lebende kubanische Producer Isasi Isasi, der dem Album den letzten Feinschliff gegeben hat.

Die Features sind organisch passiert, frei nach dem Motto: Wenn ich wen feiere, dann klopf ich kurz an - oder slide halt in die Insta DMs. „Wie im echten Leben, beim Flirten vielleicht, so kann man sich das vorstellen.” New Yorker Musiker wie der Trapmetal-Pionier Cameron Azi oder das experimentelle Hyperpop/Electronic-Trio Mothercell sind deshalb auf „Dystopia“ genauso am Start wie die multidiziplinäre Künstlerperson Demi Yo’ko aus L.A (major Yves Tumor Vibes!) oder die brasilianische Rapperin Really Snootie aus Georgia. Ein diasporischer Mix, erfrischend, unerwartet und frei. So wie Musik 2024 eben klingt.

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