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APA/AFP/Justin TALLIS

ROBERT ROTIFER

Der süße Londoner Bobby - rassistisch, misogyn und homophob

Die putzigen Londoner Bobbies und ihre bewaffneten Kolleg*innen sind laut einem offiziellen Report institutionell rassistisch, misogyn und homophob. Und das macht ihren Chef ein bisschen beleidigt.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Was ich euch heute zu erzählen habe, ist für die Brit*innen eigentlich schon ein alter Hut, weil schon vor drei Tagen durch die Medienlandschaft geballert. Dienstag oder so, eine Ewigkeit her.

Da erschien nämlich der äußerst kritische Report von Louise Casey zum komplett katastrophalen Zustand der Metropolitan Police, sprich der Londoner Polizei.

Casey war in den Neunzigern eine Leiterin der Obdachlosenorganisation Shelter, seit Tony Blairs Zeiten, als sie zur „Zarin“ in Sachen „asoziales Verhalten“ ernannt wurde, ist sie unter verschiedenen, auch konservativen Administrationen in allen möglichen regierungsberatenden Funktionen aufgetaucht. Deswegen sitzt sie heute auch im House of Lords und ist genau genommen eine „Baroness“.

Wir dürfen hier mit diesen albernen Adelstiteln, der ersten Republik sei Dank, ein bisschen schlampiger umgehen, ich finde ja, die lassen ihre Träger*innen eher weniger ernstzunehmend wirken, aber andererseits ist ja genau das einer der besten britischen Tricks:

Ein paar komische Titel, lustige Mützen, bisschen Zeremoniell, und schon wirkt alles hier ein bisschen exzentrischer, kurioser und harmloser als überall sonst.

Womit wir auch schon beim Thema, nämlich der Metropolitan Police sind, deren beharrlich guter Ruf im In- und Ausland ja immer sehr von der putzigen Form ihrer Helme profitiert hat.

Wir haben es vielleicht fast schon vergessen, aber dass sich darunter nicht immer die allerbesten Charakterköpfe verbergen, hat uns in der jüngeren Vergangenheit unter anderem der Fall des Frauen mordenden Cops Wayne Couzens ins Bewusstsein gerufen (ihr erinnert euch vielleicht noch an meinen Bericht aus dem 21er Jahr über die gewaltsam aufgelöste Mahnwache für sein Opfer am Clapham Common).

Oder der Fall David Carrick, eines im Februar verurteilten Serienvergewaltigers in Polizeiuniform, der über 17 Jahre von seiner Kollegenschaft gedeckt wurde. Und die geschlechtsneutrale Form lass ich hier nicht aus, weil ich sie bösen Menschen entsage, sondern weil, wie Louise Caseys Report anhand vieler Beispiele illustriert, in der „Met“ tatsächlich eine offene Frauenfeindlichkeit vonseiten der männlich dominierten Belegschaft herrscht.

Wie eigentlich niemanden überraschen sollte, nach den voriges Jahr zu Tage getretenen Whatsapp-Messages unter Polizeibeamten der Wachstube Charing Cross, deren schockierender, gewalttätig rassistischer und sexistischer Inhalt einer der Auslöser des vorliegenden 363-Seiten-Berichts war. Und des Rauswurfs von Cressida Dick, der ersten Frau als Commissioner der Met (Repräsentation allein ist keine Lösung, wie wieder und wieder bewiesen), unter der diese „Kultur“ unbehindert weiter gediehen war.

Ja, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, war gerade der Fall David Carrick, der damals aus rechtlichen Gründen nicht genannt werden durfte, wohl ein konkreter Grund dafür, dass der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan Commissioner Dick im Februar 2022 sein Misstrauen aussprach. Das wussten jene Polizist*innen, die damals in den Medien offen gegen Khan Stimmung machten, sie hätten ihren „Glauben“ an den Bürgermeister verloren.

Das wusste auch der ehemalige Chief Inspector Sir Tom Winsor, als er in einem Bericht Khan beschuldigte, Dick ungerechtfertigt aus dem Amt gejagt zu haben.

In Anbetracht dieser Tatsachen ist es also eigentlich gar nicht wirklich notwendig, Louise Caseys Report zu lesen, um ihrer Schlussfolgerung zuzustimmen: „Wir haben in der Met institutionellen Rassismus, Misogynie und Homophobie vorgefunden“, schreiben sie und ihre Co-Autor*innen ganz klar und unmissverständlich.

Wie gesagt, man muss die zu diesem Schluss führenden 363 Seiten nicht gelesen haben, aber man kann, und zwar hier.

Dabei wird man unter anderem erfahren, dass das Vertrauen der Londoner Bevölkerung in ihre Polizei 2022 auf 45 Prozent gesunken ist, eigentlich bereits ein Widerspruch zum britischen Prinzip des „policing by consent“. Man kann alle Zahlen über das Versagen der Exekutive in der Ermittlung von sexueller oder rassistischer Gewalt nachlesen, über die ungleiche Verteilung von Ressourcen, weg von der Straße und in Richtung Elite-Einheiten, über die Konsequenzen der Dauersparpolitik seit 2010 (aus den USA übernommene „Defund the police“-Parolen sind im britischen Kontext eines finanziell ausgehungerten öffentlichen Sektors nicht wirklich passend), aber auch über die „ernsthafte Hybris“ einer korrupten Institution, die die Qualifikationen ihrer Beamt*innen kaum oder gar nicht überprüft, die Missetäter*innen in den eigenen Reihen beschützt und Beschwerden grundsätzlich nicht glaubt, auch nicht intern.

Anonymisiert wird Fall um Fall beschrieben. Polizist*innen, die es wagten, sexuelle Übergriffe oder Diskriminierung zu melden, berichten darüber, wie sie von ihren unmittelbaren Kolleg*innen, aber auch ihren Obrigkeiten verfolgt und abgestraft wurden. „Nie wieder würde ich mich an die Polizei wenden“, sagt eine Beamtin, die von einem Kollegen missbraucht wurde. „Das wird jetzt lächerlich klingen“, sagt ein wegen seiner Homosexualität systematisch gedemütigter Polizist, „aber ich habe Angst vor der Polizei“.

Und hier kollidiert der Report auch mit dem althergebrachten Klischee der britischen Polizei als vergleichsweise milde Exekutive, die – bis auf einen Knüppel – unbewaffnet auf die Straße geht, denn während der sprichwörtliche „bobby on the beat“ tatsächlich keine Pistole trägt, gibt es in der Met eben spezielle „firearms officers“ der Abteilung MO19 mit einem Monopol auf Schusswaffengebrauch, die sich offenbar für was ganz Besonderes halten.
Ein anonymes Zitat aus dem Bericht über die MO19: „Das ist der toxischste, rassistischste, sexistischste Ort, an dem ich je gearbeitet habe. Ein unglaublicher Ort.“

Nicht umsonst waren Mörder Wayne Couzens und Serienvergewaltiger David Carrick (dessen Fall auf den Seiten 213-215 des Berichts übrigens leicht erkennbar als „Officer 1“ beschrieben wird) beide Teil dieser Elite, genauer gesagt der „parlamentarischen und diplomatischen Schutzeinheit“ (PaDP).

Kein Wunder, dass Louise Casey am Ende ihrer Zusammenfassung in fetten Lettern als ultimative Lösung eine Auflösung und Neugründung der Metropolitan Police mit neu verteilten Kompetenzen vorschlägt. So wie etwa in Nordirland die diskreditierte, korrupte Royal Ulster Constabulary durch das Police Service for Northern Ireland ersetzt wurde.

Wie oben schon gesagt, Casey ist eine Baroness. Sie kommt zwar ursprünglich nicht aus dem Establishment, ist jenem aber auch nicht fremd, und wenn eine wie sie sowas sagt, dann möchte man glauben, die Polizei würde ihr zuhören. So wie es zum Beispiel Ende der Neunziger der damalige Commissioner Sir Bernard Hogan-Howe tat, nachdem ein ähnlicher Report vom Juristen Sir William MacPherson (damals ausgelöst von der verhunzten Ermittlung im Fall des Mordes an Stephen Lawrence) die Met schon einmal als „institutionell rassistisch“ bezeichnet hatte.

Zumindest pro forma zeigte Hogan-Howe sich seinerzeit reuig und betroffen.

Sein heutiges Äquivalent, Commissioner Sir Mark Rowley, erklärte dagegen gleich nach Empfang des Reports, er stoße sich am Wort „institutionell“, denn das bedeute „verschiedene Dinge für verschiedene Leute“ und sei „als Idee ziemlich politisiert.“

Himmel, wo kommen wir da hin, wenn so unschuldige Themen wie Rassismus, Sexismus und Homophobie POLITISIERT werden?

Im Ernst aber: Wenn der Chef schon so auf diesen Bericht reagiert, wie viel Hoffnung besteht da, dass seine Botschaft bei der Belegschaft ankommt?

Aber auch darüber braucht man sich eigentlich nicht zu wundern, wenn man sich erinnert, wie Rowley im vergangenen Sommer als vermeintlicher großer Aufräumer zum Nachfolger von Cressida Dick ernannt wurde.

Ich erinnere mich an einen möglichen anderen Kandidaten, einen gewissen Neil Basu, der sich als erstes Mitglied einer ethnischen Minderheit nicht nur als Commissioner, sondern auch als Chef der National Crime Agency bewarb. Die National Black Police Association bezeichnete seine Kandidatur damals als einen „Hoffnungsstrahl“.

Aber Basu musste sich zurückziehen, weil die Regierung offen gegen ihn intervenierte. Und auch weniger offen, wie etwa in einer Kolumne des regierungsnahen Magazins The Spectator, in der vom Unmut Boris Johnsons gegenüber Basu zu lesen war, weil jener es gewagt hatte, rassistische Formulierungen des damaligen Premierministers (konkret dessen Bezeichnung von Afrikaner*innen als „piccanninies“ und seinen Vergleich verschleierter muslimischer Frauen mit „Briefkästen“) zu kritisieren.
Und weil Basu wahrheitsgemäß erklärt hatte, dass ein harter Brexit Großbritannien „weniger sicher“ machen würde (Großbritannien sollte den Zugriff auf die Datenbanken europäischer Exekutiven verlieren).

Diese Kommentare, unkte der Klatsch-Kolumnist des Spectator damals, könnten noch auf ihn zurückfallen. So kam es dann wohl auch, und statt Basu wurde eben ein anderer Commissioner.
Der, den wir jetzt haben.
Der, der das mit dem institutionellen Rassismus so nicht gelten lassen will.

Und das ist für mich, jetzt, wo die Story des Casey-Reports von der britischen Presse schon wieder durchgefrühstückt ist und so wie damals nach MacPherson 1999 erst recht wieder alles weiter gehen wird wie gewesen, bloß mit neuen Initiativen und Werbeplakaten und feinen neuen Slogans, eigentlich der entscheidende Subtext der Sache.

Denn so ist es doch in Wahrheit mit diesem ganzen institutionellen Dingsbums, wenn man genauer hinsieht: Es beschränkt sich nicht auf die Metropolitan Police oder auf irgendeine andere Institution dieser Gesellschaft.
Nein, es geht viel weiter rauf.
Bis ganz nach oben.

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