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Ein Mädchen atmet in ein Plastiksackerl, Bild auf dem Buchcover von Matthias Grubers Roman "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art".

Jung und Jung

BUCH

„Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“: Eine Arielle aus Österreich

Matthias Gruber hat 2020 den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb „Wortlaut“ gewonnen. Jetzt ist sein erster Roman erschienen: In „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ treffen wir auf eine Arielle aus Österreich und tauchen ab ins Leben eines Mädchens, dessen Aussehen andere irritiert.

Von Maria Motter

Arielle hört ständig entsetzte Bemerkungen über sich. Das Mädchen ist blass, es hat weniger Zähne als andere und kaum Haare am Kopf. Die Hauptfigur in „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ lässt sich nicht anmerken, wie sie von klein auf behandelt wird. Matthias Gruber hat eine wunderbar eigene, österreichische Arielle erschaffen und ihr Alltag ist abenteuerlich.

Ein Mädchen atmet in ein Plastiksackerl, Bild auf dem Buchcover von Matthias Grubers Roman "Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art".

Jung und Jung

„Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ von Matthias Gruber ist 2023 bei Jung und Jung erschienen. Am 10.8. liest Matthias Gruber daraus im MQ Haupthof bei den Ö-Tönen in Wien. Das Coverbild stammt von der Fotografin Ewa Cwikla.

Mit Matthias Grubers Debütroman „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ tauchen wir ab ins Leben eines Mädchens, dessen Aussehen andere irritiert. An Nachmittagen begleitet Arielle ihren Vater, der Wohnungen Verstorbener entrümpelt. Gemeinsam durchforsten sie weggeworfene Datenträger nach privaten Schlüsseln zu Kryptowährung. Arielle aber findet Instagram-Fotos eines ihr unbekannten Mädchens auf einem Smartphone. Die schnappt sie sich und beginnt, über ihren Fake-Account zu kommunizieren. Mit einem Buben aus der Schule, mit einer unüberschaubaren Öffentlichkeit. Und dann will Arielles Mutter, die wie unter Wasser wandelnd wirkt, den Vertrieb von Naturkosmetik ankurbeln, die Tiegel stapeln sich im Keller.

Zauberhaft verträumt

„Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ handelt davon, wie lang das gut geht und wie lang ein Mädchen unter Wasser bleiben kann, bevor die Turnlehrerin über ihm hockt und es anklagt. Die gleichaltrige Yasmin, selbst ein komplexer Charakter wie alle Nebenfiguren in diesem Roman, antwortet für ihre Freundin Arielle.

Zauberhaft verträumt wirkt die Erzählung dieser Geschichte, die doch ganz in der Gegenwart verankert ist. Die Hoffnungsschimmer der Charaktere und manchmal auch deren Selbsttäuschung sind angedeutet. Eigentlich sind die Lebensumstände dieser Arielle furchtbar traurig, doch „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ ist ein sehr schönes, mitreißendes Buch über Schein und Sein. Die Handlung spielt zwischen Schule und Schrottplatz, Social Media Kommunikation und Freundschaft.

Der Autor Matthias Gruber erzählt allerliebst und umso heftiger sind die Stoßwellen der Offenbarungen, die in der Handlung aufploppen und überraschen. Matthias Grubers Stil leuchtet, während die Motive düster sind.

Hinter seiner Arielle steht in der Kunstgeschichte eine Schar junger Frauen und Mädchen, die ins Wasser gegangen sind. Der Mythos der Wasserfrauen zieht sich bis in die Gegenwart. Sucht man nach diesem Frauenbild, wimmelt es schnell vor Sirenen und Nixen, Undinen und Melusinen. Schwangere Dienstbotinnen gingen ins Wasser.

Der Autor Matthias Gruber lächelt und trägt eine Brille.

Miriam Kreiseder

Matthias Gruber überzeugte 2020 die Wortlaut-Jury mit seiner Geschichte „Hinter dem Mond“. Der Autor ist Mitbegründer der Salzburger Stadtmagazine fraeuleinflora.at und QWANT.

Matthias Gruber hatte bei der Arbeit an seinem Roman „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ einen Satz aus Shakespeares „Hamlet“, Anfang des 17. Jahrhunderts geschrieben, im Kopf. Da heißt es über die Figur der Ophelia: „wie ein Geschöpf, geboren und begabt für dieses Element“. Dass es im Wesentlichen Frauen sind, die als Objekte in der europäischen Kunst fungieren, ist bekannt, schreiben etwa auch die Geisteswissenschaftlerinnen Karin Hanika und Johanna Werckmeister, um darauf hinzuweisen, dass eine Tatsache weit weniger in das Bewusstsein vorgedrungen ist: dass es es sich bei diesen Frauen erstaunlich oft um Tote oder Sterbende handelt.

Umgekehrte Meerjungfrau

Matthias Gruber präsentiert eine „umgekehrte Meerjungfrau“, seine Arielle sehnt sich nach dem Wasser bzw. danach, so angenommen zu werden, wie sie ist. Das Aussehen dieser Arielle kommt von einer Erkrankung, die ektodermale Dysplasie heißt und zu der Matthias Gruber während des Schreibprozesses recherchiert hat.

Die Erzählung ist immer nah an Arielle. Und der Blick in „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“ ist liebevoll und immer wieder fällt die Aufmerksamkeit auf kleine Momente. "Ich schloss die Augen und betrachtete die Abdrücke der Welt auf der Innenseite meiner Lider“, heißt es an einer Stelle, an der Arielle von einem Freund gestylt wird. Ihren Flaum von Kopfhaar bedeckt er mit einer Perücke, zieht ihre unsichtbaren Augenbrauen nach und macht Fotos von Arielle, mit denen er sich an einer Kunstuni bewerben will. All das trägt sich am Rande eines Schrottplatzes zu. Der Freund ist eine Persönlichkeit für sich, schwul und Sohn des Verwalters am Schlossplatz, der sich für ihn geniert und ihn drangsaliert.

Die Gefahr ist mehrmals schrecklich nahe in diesem Roman, der geradezu leuchtet und seine Figuren und sein Thema von der Sehnsucht nach dem schönen Leben mit wunderschöner Leichtigkeit beschreibt.

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