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Endless Wellness

Franziska Barcsay

fm4 soundpark act

Es muss weh tun

Sonst bewegt sich ja nichts: die neue Wiener Gruppe Endless Wellness hat gute Musik- und noch bessere Wortideen, sie ist unser FM4 Soundpark Act im September.

Von Lisa Schneider

Ist es ein Abenteuer, in Österreich eine neue Band zu gründen? Blöde Frage, das ist es ja wahrscheinlich überall. Dem Abenteuer die Unsicherheit nehmen, es zumindest aber in eine beruhigende Sache verwandeln, kann man jedenfalls, wenn man diese neue Band mit langjährigen Freund:innen, in dem Fall Philipp Auer, Adele Ischia, Hjörtur Hjörleifsson und Milena Klien, gründet. Wir stellen vor: Endless Wellness.

Vor etwas über drei Monaten war da auf einmal ein Lied, schon ein bisschen schräg, immerhin geht’s da um vergoldete Intimbereiche und so im deutschsprachigen Pop schon lang nicht mehr gehörte Worte wie „Nackapatzi“. Eh ein bisschen ur-wienerisch, und vor allem eine Festlegung auf eine Gruppe von Menschen, die dieses und andere Worte noch von Oma kennen, ein mutiges, aber eben auch ein Alleinstellungsmerkmal. Das klingt lieb und lustig und das ist die Musik von Endless Wellness nicht: „Und in der Psychologie heute habens erzählt / Dass den hochsensiblen Leuten der Schutzpanzer fehlt“.

Ein Stakkato-Lied, das ist „Hand im Gesicht“, die allererste Single von Endless Wellness, eine Schau-mich-an-, eine „Zerleg-mich-in-meine-Einzelteile“-Single. So viel zu ergraben und zu erforschen, und vielleicht versteht man erst beim dritten Durchgang, dass die erste Zeile die allerbeste ist: „An manchen Tagen möcht’ ich sterben / an andern wieder nicht“. Es ist ein Taumeln knapp vorm Abgrund, aber dann scheint ja doch wieder kurz die Sonne. Prägnanter hat den Zirkus namens menschliche Emotion und all seine inkonsequenten Verausgabungen in letzter Zeit niemand beschrieben.

Mit ihrem Bandnamen geben Endless Wellness ein Versprechen, von dem wir drauf hoffen, dran glauben, es schon ein bisschen wissen, dass sie es einlösen werden. Als „offene Freundschaft“ bezeichnet Hjörtur im FM4-Interview das Angebot an die Menschen da draußen, als „eine Einladung, mitzumachen“.

Endless Wellness

FM4

Studiobesuch! v.l.n.r.: Hjörtur Hjörleifsson, Philipp Auer, Milena Klien - liebe Grüße gehen raus an das hier fehlende Bandmitglied Adele Ischia.

Und es muss schon wieder hier stehen: Musikmachen ist super, gemeinsam Musikmachen meistens noch besser. Da gibt’s dann Studiomomente, wo plötzlich alles zusammenfließt und das, was die einzelnen Menschen ausmacht, dieses eine, neue Ding entstehen lässt, Momente einfangen. „Magie!“, sagt Milena, während Philipp laut drüber nachdenkt, wie die Band sich beim Spielen an Gedankenbildern festhält, mal an Schiffen, dann an Wellen, dann an den Wolken, die in Höchstform über ihren Köpfen davonziehen. So oder so ähnlich kennen wir das von Bands wie Big Thief, und der Vergleich führt im Interview zum sanften Blush. Da gehen vier Menschen ins Studio, die sich darauf verlassen, dass die Summe immer mehr ist als alle kleinen Egoteilchen.

„Vielleicht kann ich keine langfristige Zukunft bauen“, auch ein Lieblingssatz im aktuell noch überschaubaren Oeuvre dieser Gruppe, gezupft aus der zweiten Single „Kinder“. Entstanden nach langen Gesprächen über die Frage, wie super, erstrebenswert oder eben nicht das ist, eine Familie zu gründen, ist das ein Kopf-Nagel-Lied, für alle Millenials und die, die nach ihnen die Welt ruinieren. Und weil’s aber eben nicht nur um Kinder und ihr Kriegen geht, sehen wir, wie subtiles Schreiben aus der Spitzenposition geht: die eine, große Fortpflanzungsfrage führt weiter zu noch größeren, denen danach, wie man überhaupt etwas hinterlässt, ob man das will, ob’s nicht gleichwertige Dinge gibt und wie auch einfach die Beziehungen, die wir führen, uns zu den Menschen machen, die wir sind.

Niemand will ein Nichts in einem Niemandsland sein, so hat mal ein kluger Mensch namens Gerbrand Bakker seine Depression beschrieben, ein Wort, das im Interview mindestens zehnmal fällt. Das ewige Suchen nach Anschluss und Verbindung, dabei ist es in dem Moment ja genau das, was fehlt, die Andockstelle zur Außenwelt. Endless Wellness wissen das, sie schreiben ihre Songs zu großen Teilen darüber und wie sie versuchen, die Hände nach vorn auszustrecken.

„Manchmal denk’ ich, es wär leichter, ich gäb’ mich auf“ lautet eine Zeile der kommenden, dritten Single „Schöne Dinge“, „und schlimm wird’s, wenn ich mir das auch noch wirklich glaub’“. Nie einen blöderen Satz gehört als „Kein Mensch ist eine Insel“, jedenfalls nicht von denen, die das alles schon erlebt haben. Wer über Dinge spricht, die so viele Menschen angehen, muss behutsam mit seinen Worten umgehen, und wenn dieser jemand dann sogar noch ein bisschen klüger ist, kommt Tragikomik ins Spiel: „Ich will mich nicht aufgeben, ich bin ja keine Postkarte“.

Was muss er jetzt also haben, der gute Popsong 2023? „Es muss weh tun, es ist nicht die Zeit für Kuschelmusik“, sagt Philipp, „zwischendurch zumindest“, sagt Hjörtur, „etwas zu sagen haben, aber nicht denken, dass man durch das Gesagte allein genug verändern kann“, fügt Milena hinzu. Wir stellen uns einfach mal vor, Verweis Freundschaftsgedankenverbindungen, dass Adele, die im Studio diesmal nicht dabei ist, zustimmend nickt. So also eine mögliche Definition der Musik von Endless Wellness: Weh tun, aber schon auch auf die gute Art. „Ein bisschen wie Therapie“, flüstert Hjörtur noch, sanftes Lachen, wir haben’s oft gehört, wieso soll’s nicht stimmen.

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