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Screenshot aus der Games-Anthologie "The Making of Karateka"

Digital Eclipse

Spielegeschichte

„The Making of Karateka“ ist eine Games-Anthologie. Mit Remakes!

Das fernöstlich inszenierte Abenteuer-Kampfspiel „Karateka“ (1984) war eine Pionierarbeit. Das Game hat früh bewiesen, dass Computerspiele audiovisuell und dramaturgisch beeindrucken können. Jetzt liegt eine zugänglich aufbereitete Sammlung an Archivmaterial vor, die den 40 Jahre alten Entwicklungsprozess des Spiels Schritt für Schritt nachzeichnet.

Von Robert Glashüttner

Um Computerspielarchivierung ist es nicht gut bestellt. Vor wenigen Wochen wurde das in einer Studie der Video Game History Foundation gut sichtbar. Darin wurde festgestellt, dass 87% der US-amerikanischen Computerspiele aus dem Jahr 2009 und davor nicht mehr erhältlich bzw. spielbar sind. Sie sind gefährdet, komplett verlorenzugehen. Der Hauptgrund für dieses triste Zeugnis ist die Tatsache, dass digitale Spiele zuerst ein kommerzielles Produkt waren und erst später zum Kulturgut wurden. Firmen und Konzerne haben sich oft nicht ihrer Geschichte angenommen. Was zählte, waren ausschließlich die Verkaufszahlen der Gegenwart. Das, was hingegen an (alter) Videospielgeschichte existiert, ist in vielen Fällen Fanprojekten wie etwa Mobygames, der Emulatoren-Community und individuellen Dokumentationen und Archiven zu verdanken.

Jordan Mechner, der archivarische Games-Entwickler

Einer, der schon seit frühen Jugendjahren seine Aktivitäten, Tätigkeiten, Vorstöße und Rückschläge dokumentiert hat, ist der Games-Entwicklungs-Pionier Jordan Mechner. Mechner, Jahrgang 1964, hat in den frühen 80er Jahren als Teenager begonnen, Spielhallenspiele der damaligen Zeit (vorrangig „Asteroids“) für den Apple II, den ersten großen Heimcomputer, zu portieren. Offiziell veröffentlicht wurden diese Frühwerke damals nicht, aber sie führten 1984 zu seinem ersten großen Spiele-Release: das Karate-Kampf-Abenteuer „Karateka“. Fünf Jahre später folgte dann der endgültige Durchbruch mit dem orientalischen Action-Abenteuer „Prince of Persia“.

Screenshot aus der Games-Anthologie "The Making of Karateka"

Digital Eclipse

„Deathbounce“ (Remake; Original aus 1982)

Jordan Mechner veröffentlicht bereits seit Jahren dutzende Tagebucheinträge, Briefe, Anzeigen, Fotos und Videos aus seiner frühen Spieleentwicklerzeit. Er hat Bücher und Comics über seine Design- und Programmierprozesse geschrieben und veröffentlicht, und ist in der Videospielkultur wohl jene Person, die über die umfangreichste Dokumentation des eigenen Werkes verfügt. Nun liegt mit „The Making of Karateka“ eine weitere Materialsammlung der ersten Jahre seiner Karriere vor, die jedoch nicht nur die bereits genannten Dokumente zusammenbringt, sondern auch mit aktuellen Interviews und zwei liebevoll gestalteten Remakes begeistert.

Von Sprungbällen zum Kampfabenteuer

„The Making of Karateka“ zeichnet den Weg von einem jugendlichen Programmierwunderkind, das tief in technische Brillanz und Ideenreichtum abtaucht, hin zum erfolgreichen, innovativen Computerspielentwickler. Zuerst wird von Jordan Mechner das Science-Fiction-Steinschießspiel „Asteroids“ auffallend gut geklont, dann mit „Deathbounce“ eine ganz eigene Variante davon entwickelt. Aus mehreren Spielideen formt sich ab 1982 immer stärker die Idee eines Karatekampfspiels heraus. „Karateka“ wird später als jenes Game in die Computerspielgeschichte eingehen, das zum ersten Mal Storytelling, flüssige Figurbewegungen sowie auch den Einsatz komponierter Musik überzeugend einsetzt.

„The Making of Karateka“, entwickelt und vertrieben von Digital Eclipse, ist für Windows, PS4+5 und Xbox One+Series erschienen.

Besonders interessant, ungewöhnlich und stellenweise auch rührend in der Anthologie „The Making of Karateka“ ist die Begegnung von Jordan Mechner mit seinem Vater Francis, der mittlerweile über 90 Jahre alt ist. Er, der in Wien geborene Vater, war es, der die Idee der Rotoskopie-Technik (für die flüssigen Bewegungen der Spielfigur) eingebracht hat und - als hochtalentierter Hobbypianist - auch die Musikelemente für „Karateka“ komponiert hatte. Beide Männer erinnern sich in Videoclips an unterschiedlichen Stellen innerhalb der Anthologie an den unkonventionellen Entwicklungsprozess des Spiels vor 40 Jahren und überhaupt an die vielseitigen Details ihrer damaligen Zusammenarbeit.

Pionierhaft und doch etwas aus der Zeit gefallen

Jordan Mechner hatte das Glück, in eine äußerst gebildete, weltoffene und empathische Familie hineingeboren worden zu sein, die ihm jenes Leben ermöglicht hat, das er immer noch lebt. Doch trotz dieser perfekten Ausgangssituation waren die Rollen und Ideen des jungen Jordan recht konventionell: Er war zwar geprägt durch sein Umfeld und auch an Kunst, Geschichte und (Pop)Kultur interessiert. Dennoch wurde er - wie einige junge Männer zur damaligen Zeit - erst mal zum eifrigen Programmier-Geek, der vorerst mehr am technischen Experiment und weniger an guten Geschichten interessiert war.

Screenshot aus der Games-Anthologie "The Making of Karateka"

Digital Eclipse

Dass „Karateka“ für sein vermeintlich gutes Storytelling gepriesen wird, beruht eigentlich auf der Verwechslung von einer gut erzählten Geschichte mit einem gut inszenierten Setting. Sowohl dieses Spiel als auch der Nachfolger „Prince of Persia“ haben ein eindimensionales Damsel-in-Distress-Narrativ, wo ein männlicher Held eine weitgehend passive Frauenfigur retten muss. Sehr wohl bahnbrechend waren hingegen die Settings, wo mit den flüssigen Bewegungen der Spielfigur, detaillierten Hintergründen und dem gezielten Einsatz von Musik eine unverwechselbare Aura geschaffen wurde, die es in dieser Form vorher bei Games tatsächlich noch nicht gab.

Spielbare Games-Geschichte und tolle Remakes

Doch auch abseits der Genese von „Karateka“ bietet „The Making of Karateka“ ein Füllhorn an Dokumenten, Aufzeichnungen, Briefen, etc., das einen umfangreichen Einblick in die Entwicklung- und Veröffentlichungsprozesse von Computerspielen in den frühen 80er Jahren ermöglicht. Es bleibt aber nicht beim gut aufbereiteten Archiv: Zum ersten Mal überhaupt kann man hier sowohl frühe Versionen von „Karateka“ als auch das (vorher unveröffentlichte) Vorgängerspiel „Deathbounce“ spielen. Darüber hinaus wurden beiden Games auch liebevoll und authentisch gestaltete Remakes spendiert. Diese orientieren sich allerdings sowohl hinsichtlich Ästhetik als auch technischer Restriktionen an der damaligen Zeit und sind visuell und spielerisch sehr nah an den Originalen dran - wenngleich sie sich markant besser spielen als die Vorlagen.

Screenshot aus der Games-Anthologie "The Making of Karateka"

Digital Eclipse

„The Making of Karateka“ ist ein Schatz für alle, die an Computerspielgeschichte interessiert sind und natürlich auch für jene Menschen ideal, die gerne Retro- oder retro-artige Games spielen. Es ist eine konzeptionelle Fortsetzung der Anthologie „Atari 50“ (FM4 hat berichtet) aus Ende 2022. Hersteller Digital Eclipse fühlt sich nach eigener Aussage der gut aufbereiteten Aufarbeitung von Games-Geschichte verpflichtet und plant mehrere Teile dieser Serie. Sie mögen alle erscheinen und dabei ähnlich gut und inspirierend sein wie die ersten beiden Sammlungen.

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