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Augenzeug:innenberichte und Bilder vom Krieg in der Ukraine

Am 24. Februar 2022 begann die russische Invasion in der Ukraine. Drei Bücher zeigen den persönlichen Kriegsalltag. „Im Krieg“ von Nora Krug, „Berichte aus der Ukraine 2. Tagebuch einer Invasion“ von Igort und „Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis“ – herausgegeben von Aurélie Bros.

Von Zita Bereuter

Der 24. Februar 2022 hat sich in die DNA der Ukrainer:innen eingebrannt. Der Tag der russischen Invasion. Ukrainerinnen und Ukrainer erinnern sich nur zu gut an die russische Invasion. Sie erinnern sich aber auch an ihr Leben, ihren Alltag im Krieg.

„Persönliche Erzählungen werden in der Geschichtsschreibung nicht selten übersehen, und doch gewähren sie uns eine andere Art des Zugangs, ein differenzierteres und emotionales Verständnis dessen, wonach die meisten Historiker, Journalisten und Autoren suchen: der Wahrheit. Fakten sind wichtig und unbestreitbar, wohingegen individuelle Erfahrungen nie weder gänzlich objektiv sein noch ein vollständiges Bild der politischen Situation vermitteln können, aus der sie erwachsen sind. Doch persönliche Erzählungen enthüllen andere Facetten der Wahrheit und sind deshalb ein wichtiger Teil von ihr.“, schreibt Nora Krug im Vorwort zu ihrem Buch „Im Krieg.“ Das und die beiden Werke „Berichte aus der Ukraine 2. Tagebuch einer Invasion“ von Igort und „Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis“ – herausgegeben von Aurélie Bros sollen näher zu dieser Wahrheit führen.

Buchcover "Im Krieg"

Penguin

Nora Krug: Im Krieg. Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg - Übersetzt von Alexander Weber, Nora Krug ist bei Penguin erschienen.

Diese Tagebücher sind auch in Zeitschriften erschienen. Die Serie der L.A. Times ist für den Pulitzer Preis nominiert.

2018 erschien von Nora Krug „Heimat. Ein deutsches Familienalbum“. Das ist in Deutschland Schullektüre geworden.

Nora Krug: Im Krieg. Zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg

Die Idee ist ebenso simpel wie großartig - Die Illustratorin und Autorin Nora Krug zeigt ein Jahr lang ein Tagebuch aus der Ukraine und eines aus Russland. Zu Kriegsbeginn hat sie eine ukrainische Journalistin und einen russischen Künstler mit dieser Idee angeschrieben. Beide kannte sie nur über einen Online-Kontakt. Beide haben umgehend zugesagt. So sieht man auf der linken Seite die Welt von K – einer Journalistin, die in Kiew in der Ukraine lebt. Auf der rechten Seite die von D – einem Künstler, der in St. Petersburg lebt.
Wöchentlich beschreiben sie ihren Alltag, ihre Gedanken, aber auch psychische oder körperliche Folgen, oder wie der Krieg ihre persönlichen Beziehungen verändert hat. Handgeschriebene Textblöcke, dazwischen Illustrationen, reduziert und in Pastellfarben.

In Woche 1 schreibt K in der Ukraine: „Vor meinem Fenster ist eine Bahnstrecke. Alle dreißig Minuten sehe ich, wie Züge voller Zivilisten Richtung Westen fahren und Züge voller Panzer Richtung Osten.“
Gleichzeitig notiert D in Russland: „Ich versuche nur, einen Weg zu finden, das Land zu verlassen. Wir haben zwei Kinder (neun und zehn) und einen Hund. Ich bin der Einzige von uns, der einen Pass und ein Visum besitzt.
Im Folgenden Jahr überlegt D sich, wohin er auswandern könnte.
K bringt ihre Kinder und ihre Mutter aus der Ukraine nach Dänemark und berichtet als Journalistin regelmäßig aus dem Kriegsgebiet. Und das unter erschwerten Umständen: "Wir müssen jetzt im Durchschnitt zwölf Stunden pro Tag ohne Strom auskommen: vier Stunden am Morgen, vier am Nachmittag und vier in der Nacht.“
Ks Energie und Tatkraft sind beeindruckend: "Doch der Krieg treibt mich dazu an, immer härter zu arbeiten. Wie Alice im Wunderland muss ich so schnell rennen, wie ich kann, nur um am selben Fleck zu bleiben.“

Mit diesen Augenzeugenberichten zeigt Nora Krug eine persönliche und alltägliche Ebene des Krieges. Die gegenseitigen Stimmen aus der Ukraine und aus Russland schärfen das Bewusstsein für den Krieg – das berührt und schockiert gleichzeitig.

Buchcover "Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis"

Elisabeth Sandmann Verlag

„Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis“ Briefe von Frauen aus der Ukraine an die freie Welt - herausgegeben von Aurélie Bros ist im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen

Aurélie Bros (HG): Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis. Briefe von Frauen aus der Ukraine an die freie Welt

Seit der russischen Invasion gilt in der Ukraine das Kriegsrecht. Das heißt unter anderem, dass Männer, die zwischen 18 und 60 Jahren alt sind, jederzeit ins Militär einberufen werden können. Deswegen dürfen sie das Land nicht verlassen. Für Frauen aus der Ukraine hat sich die schwierige Frage gestellt, ob sie das Land verlassen sollen. Dass das nicht einfach ist, weiß die Wissenschaftlerin Aurélie Bros: „Sie haben sich tausend Fragen gestellt. Z.B: ist das legitim, als Mutter die Kinder vom Vater zu trennen. Und falls ja - wie lange? Was hat Priorität: die Großeltern, die nicht ausreisen dürfen, weil sie krank sind? Oder die Kinder, die einen sicheren Ort brauchen?“
Leicht ist es keiner Frau gefallen, die Ukraine zu verlassen. Aurélie Bros bietet 38 Frauen eine Bühne - vom Mädchen zur Seniorin erzählen sie in Briefen von ihren Erfahrungen im Krieg. Von ihrer Flucht aus der Ukraine. Davon, wie es ihnen im Ausland geht. Was sie vermissen, wovon sie träumen. Von jeder Frau sind auch Fotos im Buch – professionelle Schwarz-Weiß-Bilder von selbstbewusst wirkenden Frauen.

Die Fotos stammen auch von Kristina Parioti, die auch einen Brief geschrieben hat. Darin erzählt die mittlerweile 22-jährige aus Mariupol, wie sie sich mit ihrer Mutter und ihrem Bruder wochenlang in einem Keller verstecken musste. Wie die drei dann gemeinsam mit einer Nachbarin und deren Kind schließlich in einem PKW flüchten. Eine Woche später kommen sie in Deutschland an. Währenddessen ist ihr Freund Pavlo bereits im Militär. „Im Mai erfuhr ich, dass er von der russischen Armee gefangen genommen wurde. Und in einem Gefängnis eingesperrt worden ist. Ich hatte Angst, als dieses Gefängnis Ende Juli 2022 bombardiert wurde und mehr als 50 Ukrainische Soldaten dabei ums Leben kamen.“ Ende November erhält sie einen Anruf von Pavlos Mutter. „Sie sagt: ‚Pavlo lebt.‘“ Er ist im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in die Ukraine gekommen. „Pavlo schickte mir an dem Tag ein sms mit der Frage: ‚Erinnerst du dich noch an mich?‘ Und in diesem Moment spürte ich, wie Schmetterlinge im Bauch flattern."
Kristina und Pavlo haben mittlerweile geheiratet. Kristina ist allerdings weiterhin in Deutschland, während Pavlo in der Ukraine ist.
Mit ihrem Brief in dem Buch, den sie übrigens vor der Hochzeit geschrieben hat, will sie den Leuten im Westen ihre Gefühle im Krieg erzählen und diejenigen unterstützen, "die durch die Hölle gehen.“

Buchcover "Tagebuch einer Invasion"

Reprodukt

„Berichte aus der Ukraine 2 – Tagebuch einer Invasion“ von Igort - aus dem Italienischen übersetzt von Myriam Alfano - ist bei Reprodukt erschienen.

Igort: Berichte aus der Ukraine 2. Tagebuch einer Invasion

Der italienische Comiczeichner Igort hat mehrere Jahre in der Ukraine gelebt. Noch vor der Invasion hat er die Graphic Novel „Berichte aus der Ukraine. Erinnerungen an die Zeit der UdSSR“ geschrieben. Darin geht’s vor allem um den Holodomor, den Krieg durch Verhungern. Nach der russischen Invasion am 22. Februar 2022, war er in ständigem Kontakt mit Leuten aus der Ukraine, wie er im Vorwort schreibt: "Seit Tagen klingelt das Telefon ohne Unterbrechung. Die Nachrichten, die ihr lesen werdet, sind Augenzeugenberichte von Frauen und Männern unter Belagerung. Menschen, die sich niemals hätten träumen lassen, im Rampenlicht zu stehen. Menschen, die ein ganz normales Leben führten.“

Er erzählt etwa von Maksim. Der 27-jährige Ukrainer lebt eigentlich in Belgien und ist im Februar 2022 zur Beerdigung seiner Mutter in die Ukraine gekommen - die an Covid gestorben ist. „Er wollte seine Familie wiedersehen. Jetzt sitzt er in der Falle und bittet uns um ein Einladungsschreiben, damit er rauskommt. Aber die Flughäfen sind alle geschlossen.“ Maksim kann nicht mehr nach Belgien zurück und muss ins Militär einrücken.

Leute erzählen Igort, dass es keine Medikamente mehr gibt. Weder für Menschen. Schon gar nicht für Tiere. Und auch kein Salz mehr. Das haben die Älteren aufgekauft. Sie wissen aus früheren Kriegen, dass das Essen irgendwann nach nichts mehr schmeckt.

Igort gibt wie in all seinen Berichten auch Einblick in Hintergründe und Fakten der ukrainischen Geschichte – wie etwa der Besetzung der Krim. Diese Zeichnungen, Skizzen und Texte sind wie ein großes Mosaik mit vielen kleinen Steinen. Das Bild ist nach wie vor bruchstückhaft – aber man kriegt eine Ahnung von den Entbehrungen, von den Misshandlungen durch russische Soldaten, von der Angst und dem Schrecken, die den Alltag prägen.
Das geht nahe. Bleibt hängen. Macht betroffen. Und unterstreicht das Zitat, das Igort dem Buch vorangestellt hat: „Ein Krieg ist immer nur ein schmutziger Krieg. Keine Helden, kein Ruhm, nur Elend."

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