FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Szenenbild aus "Des Teufelsbad": Der Nacken einer Frau, sie zieht einen Faden durch die Haut

Filmladen

kino

Aufwühlendes Körperkino: „Des Teufels Bad"

Das österreichische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala steht für Filme im Grenzbereich zwischen Horror und Arthouse. Jetzt übertreffen sich die beiden selbst, mit einem beklemmenden Historiendrama nach Tatsachenberichten. Hauptdarstellerin Anja Plaschg alias Soap&Skin erzählt im Interview mit FM4 von den Dreharbeiten.

Von Christian Fuchs

Pia Reiser & Christian Fuchs mit Veronika Franz & Severin Fiala

Radio FM4 | Rainer Springenschmid

Veronika Franz und Severin Fiala mit Pia Reiser und Christian Fuchs vom FM4 Film Podcast

Veronika Franz und Severin Fiala sind am Montag, 11. März 2024, zu Gast im FM4 Film Podcast.

In unregelmäßigen Abständen tauchen sie auf: Filme, die viel mehr wollen als eskapistisch unterhalten oder auch zum Nachdenken anregen. Filme, die direkt unter die Haut gehen, herausfordern, provozieren, aber abseits der berechenbaren Schocks des Genrekinos. Filme, die körperliche Reaktionen hervorrufen.

„Irréversible“ von Gaspar Noé ist so ein subkutan spürbarer Film, „Antichrist“ von Lars von Trier, aber auch „Possessor“ von Brandon Cronenberg oder „Titane“ von Julia Ducournau. Das österreichische Kino, international oft auch als Feel-bad Cinema berühmt und berüchtigt, hat mit Regisseuren wie Ulrich Seidl oder Michael Haneke einige essenzielle Beiträge zu diesem kontroversen Bereich des Films beigetragen.

Mittendrin in diesen Gefilden und doch nicht bewegen sich Veronika Franz und Severin Fiala. Mit verstörenden Streifen zwischen Horroreinflüssen und Kunstkinoanspruch besetzt das österreichische Regieduo einen eigenen Platz im internationalen Gegenwartskino. Franz und Fiala machten zuerst mit dem gespenstischen Psychodrama „Ich seh Ich seh“ auf sich aufmerksam. Der düstere Thriller „The Lodge“ folgte, mit Elvis-Enkelin Riley Keough. Jetzt sorgen die in persona unglaublich charmanten Filmemacher:innen mit einem historischen Drama für Aufsehen.

Szenenbild aus "Des Teufelsbad": Ein Mann trägt eine Frau über seiner Schulter

Filmladen

Des Teufels Bad“, das ist ein ländliches Martyrium, eine Leidensgeschichte, inspiriert von hunderten Fällen im 18. Jahrhundert, die als „mittelbarer Selbstmord“ katalogisiert wurden. Ein stockdunkler, bedrückender Film. Langsam inszeniert, bildgewaltig (Kameramann Martin Gschlacht wurde bei der Berlinale verdientermaßen preisgekrönt), fantastisch gespielt, mit einer grenzüberschreitenden Anja Franziska Plaschg in der Hauptrolle, die auch den eindringlichen Soundtrack verantwortet.

Das Phänomen des „mittelbaren Selbstmords“

„Es gibt in der Geschichte der Neuzeit wohl kaum ein ungeheuerlicheres Phänomen, das derart übersehen wurde“, heißt es im Presseheft zum Film. „Über ein Jahrhundert lang, in ganz Europa verbreitet, in Deutschland, Schweden, Österreich, Frankreich und England haben (mehrheitlich) Frauen versucht, ihr Leben zu beenden, indem sie fast rituelle Mordtaten begingen. So hofften sie, der ewigen Verdammnis zu entgehen, die Selbstmörder:innen drohte. Denn vor ihrer Hinrichtung konnten sie ihr Verbrechen noch beichten und nach dem Tod von Sünden gereinigt in den Himmel kommen. Alleine im deutschen Sprachraum sind mehr als 400 Fälle dokumentiert.“

Existenzielle Schwärze

Alleine schon dieser Titel. „Des Teufels Bad“ lässt an einen übernatürlichen Gruselschocker denken, aber der Schrecken in diesem Film hat ganz reale Hintergründe. Es geht um Depression und Repression, um eine junge Frau, die sich im Oberösterreich des Jahres 1750 von der Welt entfremdet fühlt. „Bad des Teufels“ ist ein Ausdruck aus der damaligen Zeit für schwere Melancholie.

Anja Plaschg alias Soap&Skin schlüpft in die Figur der Agnes, einer hochsensiblen Bauerntochter, frisch verheiratet, die mit ihrem Mann in eine finstere Steinhütte zieht. Der Ehegatte, ein überraschend ernster und authentisch wirkender David Scheid, versteht die radikalen Stimmungswechsel seiner Frau nicht. Die strenge Schwiegermutter (Maria Hofstätter, überzeugend wie immer) schüttelt nur den Kopf. Agnes wird bald als Außenseiterin gebrandmarkt.

Von Anfang an hängt eine dunkle Wolke über dem Geschehen, auch in ganz unverfänglichen Momenten, und irgendwann verschluckt die existentielle Schwärze die Figuren und das Publikum. Anja Plaschg verkörpert Agnes (im wahrsten Sinn des Wortes) wie eine Verlorene, die durch das grobe bäuerliche Szenario taumelt – und von der Welt zermalmt wird.

Veronika Franz und Severin Fiala recherchierten für diesen hochemotionalen Film jahrelang und zeigen das Grauen abschreckend und im Detail. Für Agnes, die sich als gläubige Frau vor der Todsünde Selbstmord fürchtet, bleibt nur ein Gewaltakt als Ausweg. Auch wenn die Regisseur:innen verständlicherweise wenig von Triggerwarnungen halten, sei gesagt: „Des Teufels Bad“ ist aufwühlendes Körperkino, ein Blick in eine barbarische Welt, in der Menschen und auch Tiere nicht geschont werden. Ein zutiefst humanistisches Meisterwerk, aber nur für starke Nerven.

Szenenbild aus "Des Teufelsbad": Eine verzweifelte Frau beim Beten

Filmladen

Es war extrem intensiv und wunderschön.

Radio FM4: Hast du von dem sogenannten „mittelbaren Selbstmord“ vor dem Film gehört?

Anja Plaschg: Nein, ich wusste nichts davon. Aber die Erkenntnis war: Ja, fuck, natürlich muss das so gewesen sein. Es hat mich nicht überrascht.

Radio FM4: Haben dich Veronika Franz und Severin Fiala mit diesen tragischen Fällen konfrontiert?

Anja Plaschg: Ja. Zuerst kam die Anfrage, ob ich die Filmmusik machen würde, da haben sie mir gleich von dieser ganzen Thematik erzählt.

Radio FM4: Du hast also das Drehbuch geschickt bekommen und damit sofort etwas anfangen können?

Anja Plaschg: Genau. Also das erste Treffen war noch ohne Drehbuch, wir haben darüber geredet und uns dann grundsätzlich über Musik ausgetauscht, uns einfach einmal kennengelernt. Dann haben sie mir kurz darauf das Skript geschickt.

Radio FM4: Der Film ist großartig, aber auch stockfinster, nimmt einen auch körperlich mit. Wie ist das, wenn man dabei im Zentrum des Geschehens steht? Wie fühlte sich das an, mit dieser Figur und diesem Thema?

Anja Plaschg: Der Film hat einfach insgesamt sehr viel Zeit eingenommen, ungefähr drei Jahre, ab dem Moment, wo sie mich erst mal zur Musik gefragt haben. Dann habe ich das Drehbuch gelesen und geantwortet, wie sehr mich das berührt. Meine relativ lange E-Mail als Antwort hat Veronika und Severin anscheinend dazu gebracht, mich für die Hauptrolle anzufragen. Dann verging ein halbes Jahr, wo ich ständig auf Castings ging oder ihnen schnell im Dialekt irgendwelche Sprach-Memos geschickt habe. Dieses halbe Jahr war auch sehr intensiv, weil ich eben in dieser Ungewissheit war, werde ich es machen oder nicht? Ich habe keinen Moment gezweifelt, dass ich dazu bereit bin. Dann verging eben noch mal ungefähr ein Jahr.

Szenenbild aus "Des Teufelsbad": Eine Reihe von Menschen auf einem herbstlichen Feld bei der Ernte von Erdäpfeln oder Ähnlichem

Filmladen

Für mich war der Dialekt bis dahin wie abgestoßen von mir.

Als ich es dann wusste, ich werde es machen, habe ich mich vorbereitet. In verschiedensten Bereichen, also auch körperlich. Vorbereitung auf die Kälte, zum Beispiel, davor hatte ich sehr Angst, weil ich auf Kälte fast schon allergisch bin. Ich hab am Land, bei meinen Verwandten mitgearbeitet, sehr viel Zeit verbracht am Bauernhof. Feldarbeit, Stallarbeit, solche Dinge, aber auch Handarbeit. Also zum Beispiel Kränze flechten und einfach solche Dinge.

Den Dialekt wiederzuerlangen, war auch eines der schwierigsten Dinge. Das hat mich sehr nervös gemacht, weil ich wusste, wir werden improvisatorisch drehen und ich muss sozusagen jeden Impuls, den ich fühle, oder was ich ausdrücken möchte, im Dialekt ausdrücken können. Für mich war der Dialekt bis dahin wie abgestoßen von mir, er war mir extrem fremd. Es gab in mir eine innere Abwehr gegen diesen Dialekt, weil er immer so etwas Grobschlächtiges symbolisierte, womit man irgendwie nichts ausdrücken kann. Jetzt im Nachhinein ist das auch eins dieser sehr schönen Dinge, die ich daraus gezogen habe aus der Zeit, weil ich mich mit dem Dialekt wieder versöhnt habe, ihn irgendwie wieder sehr schätze.

Radio FM4: Der Film wurde ja chronologisch gedreht und schon als Zuschauer:in zieht es einen immer mehr in die Psyche deiner Figur hinein. Gab es da Momente, wo du gar nicht mehr abschalten konntest nach dem Dreh?

Anja Plaschg: Es hat mich schon sehr eingenommen, ich hatte Albträume, es war extrem intensiv. Aber was irgendwie für mich so wunderschön war gleichzeitig, dass ich sozusagen die ganze Zeit aus meinem Inneren geschöpft habe, aber mit dem Wissen: Es geht nicht um mich. Das hatte eine eigenartige psychologische Auswirkung, weil es dadurch auch etwas Erlösendes hatte.

Radio FM4: Du sagst, es geht nicht um dich. Die Frage bitte nicht falsch verstehen, aber ich hatte beim Zusehen das Gefühl: Du bist trotz deiner Filmerfahrungen kein Schauspielprofi, eher eine Art Medium. Die ganzen Themen strömen auf dich ein und auch das, was vielleicht die beiden Regisseur:innen dir gesagt haben. Du nimmst das einfach in dich auf. Kannst du damit etwas anfangen?

Anja Plaschg: Es ist ein sehr schönes Kompliment und freut mich. Also ich habe es tatsächlich so wahrgenommen, die ganze Zeit. Ich gebe mich her und ich diene dieser Sache. Genau da komme ich wieder auf das zurück, was für mich so befreiend war, dass ich wusste, auch wenn es mein Körper nicht verstanden hat: Es geht nicht um mich am Ende, sondern es ist einfach ein großes Thema, das viele weibliche Schicksale einbezieht.

Anja Plaschg und Christian Fuchs

Valerie Besl

Anja Plaschg und Christian Fuchs

Radio FM4: Weil du das Frauenthema ansprichst: Man könnte diesen Film ja auch als ganz klassische, rein patriarchalische Repressionsgeschichte erzählen. Aber „Das Teufels Bad“ legt viel Wert auf Zwischentöne. Es gibt auch eine schwierige Frauenfigur, es gibt sanfte Männer auf der Gegenseite.

Anja Plaschg: Also genau diesen Punkt schätze ich so sehr und bin da synchron mit dem künstlerischen Anspruch, den Veronika Franz und Severin Fiala auch haben, dass sie einerseits natürlich nichts beschönigen wollen und andererseits nach Grautönen suchen, nicht dem erstbesten Klischee. Sicher wurde damals zuhauf sexuelle Gewalt ausgeübt, aber in dieser Geschichte ist einfach jeder irgendwie Täter, aber auch Opfer dieser Gesellschaft. Dieser Zugang berührt mich sehr und ich finde ihn auch so wichtig. Gerade in der heutigen Zeit, wo die Leute zur Vereinfachung tendieren, schwarz, weiß, links, rechts, alles. Es gibt nur noch diese Polaritäten und man muss sich entscheiden, die Leute sprechen zu wenig über das Dazwischen.

Radio FM4: Ich glaube, das ist auch ein Schlüsselthema in anderen Filmen von Franz und Fiala, diese Zwischentöne zu suchen. Du hast dann auch noch die Mammutaufgabe der Filmmusik gehabt. Der Film hat dich wirklich eine Zeit lang komplett verschluckt. Wie bist du, unabhängig von deiner Rolle, an den Soundtrack herangegangen?

Anja Plaschg: Ich wollte unbedingt mit den Klangfarben, mit den Instrumenten dieser Zeit arbeiten, aber es sollte auch in die Gegenwart führen. Ich wollte unbedingt mit meinem experimentellen Zugang zu Produktion, zur Elektronik und auch meiner Stimme arbeiten, die als abstrakte innere Welt der Agnes funktionieren kann.

Radio FM4: Es wird natürlich ein Soundtrackalbum erscheinen?

Anja Plaschg: Es kommt eine limitierte Vinylausgabe und ein digitaler Release.

Radio FM4: Du hast ja schon vorher in Filmen gespielt, das ist jetzt die ganz große Hauptrolle. Reizt dich das, dieses Sich-Hingeben und vielleicht nicht selber so als Kontrollfreak an der Musik zu arbeiten?

Anja Plaschg: Ja, es ist seltsam. Was mich daran unglaublich anzieht, ist dieser luxuriöse Arbeitsvorgang, in einem Team eingebunden zu sein. Man hat aufzustehen, man weiß, was zu tun ist. In gewisser Weise gibt es da eine Regelmäßigkeit, in die man integriert wird. Etwas, das ich als freischaffende Musikerin, die immer nur solo die Eigenverantwortung für alles hat, nicht kenne. Das ist schon etwas, was ich zunehmend vermisse, dieses Eingebundensein, zusammen an einer größeren Sache zu arbeiten, mit anderen Menschen.

Radio FM4: Aber jetzt stürzt du dich doch wieder in die Solo-Welt. Du arbeitest an einem neuen Album mit Coverversionen, hab ich gelesen.

Anja Plaschg: Ja, das soll auch Ende des Jahres rauskommen.

Radio FM4: Vielen Dank für das Gespräch!

mehr Film:

Aktuell: